«IMPACT ist für den internationalen Wettbewerb sehr wichtig»

Für eine zukunftsweisende Forschung braucht es Anlagen, die immer wieder auf den neuesten Stand gebracht werden. Daher plant das PSI derzeit an seiner Protonenbeschleunigeranlage mit dem Projekt IMPACT ein signifikantes Upgrade. Daniela Kiselev ist Leiterin der Abteilung Strahlbetrieb und Anlagenentwicklung am PSI. Die Physikerin leitet zudem das Projektmanagementteam für IMPACT. Im Interview spricht sie über die kleinsten Teilchen und die grossen Pläne des Umbaus.
Daniela Kiselev leitet am PSI die Abteilung Strahlbetrieb und Anlagenentwicklung und ist führend an den Vorbereitungen von IMPACT beteiligt. (Foto: Scanderbeg Sauer Photography)

Frau Kiselev, das Projekt IMPACT ist noch in der Planungsphase. Wollen Sie etwas Werbung dafür machen?

Mit IMPACT wollen wir ein entscheidendes Upgrade an einer grossen und zentralen Anlage am PSI realisieren, nämlich an unserer Protonenbeschleunigeranlage HIPA. Mit der geplanten Erweiterung werden wir dazu beitragen, die Forschungslandschaft der Schweiz auf dem bisherigen Spitzenniveau zu halten. Deshalb ist IMPACT von strategischer Bedeutung für das PSI. Voraussetzung ist aber noch, dass das Schweizer Parlament zustimmt. Dies ist der etablierte Prozess für Grossprojekte, die im Rahmen der Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen gefördert werden sollen.

Abkürzungen

HIPA ist die Protonenbeschleunigeranlage des PSI. HIPA steht für «High Intensity Proton Accelerator» («Hochintensiver Protonenbeschleuniger»).

IMPACT ist ein an HIPA geplantes Upgrade, welches für die Forschungsförderungsperiode ab 2025 ansteht. IMPACT bedeutet «Isotope and Muon Production with Advanced Cyclotron and Target Technologies» («Isotopen- und Myonenproduktion mit modernen Zyklotron- und Targettechnologien»). IMPACT sieht zwei bedeutende Veränderungen an HIPA vor: erstens den Umbau eines Teils der bisherigen Myonen-Anlage und zweitens eine neue Einrichtung zur Isotopenproduktion, an der sogenannte Radionuklide für gezielte Krebstherapie und -diagnostik hergestellt und erforscht werden. An IMPACT sind das PSI, die Universität Zürich und das Universitätsspital Zürich gemeinschaftlich beteiligt.

Und IMPACT ist bereits auf dieser Roadmap?

Ja, seit dem Sommer 2023. Da hat das Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI seine BFI-Botschaft 2025–2028 veröffentlicht. Das Schweizer Parlament wird Ende 2024 über diese BFI-Botschaft entscheiden und somit über die Finanzierung von IMPACT. Am PSI haben wir bereits Erfahrung mit diesem Prozess: Unter anderem für den Bau unserer neuesten Grossforschungsanlage SwissFEL und für das derzeitige Upgradeprojekt SLS 2.0 unserer Synchrotronlichtquelle Schweiz haben wir es erfolgreich durchlaufen.

Was macht nun die Protonenbeschleunigeranlage HIPA so besonders?

Im Februar 2024 feiert HIPA sein 50-Jahr-Jubiläum. Und man kann sagen, die Anlage ermöglicht schon seit fünf Jahrzehnten Spitzenforschung in vielen verschiedenen Fachrichtungen. Anlagen dieser Grösse verlieren nicht an Bedeutung. Sie steigen sogar im Wert, wenn man stetig in sie investiert. Das tun wir nun unter anderem mit dem geplanten Upgrade und so kann HIPA auch zukünftigen Forschungsgenerationen dienen. Denn auch andere, vergleichbare Anlagen weltweit investieren in die Zukunft und holen auf.

Heisst das, dass HIPA weltspitze ist?

Das ist sie in einigen ihrer Parameter tatsächlich. HIPA liefert einen intensiven, kontinuierlichen Strahl beschleunigter Protonen. Protonen sind positiv geladene Teilchen, die auch in jedem Atom stecken. Am PSI werden die beschleunigten Protonen in riesigen Hallen zu verschiedenen Grossforschungsanlagen geführt, wo man mit ihnen weitere sogenannte Sekundärteilchen erzeugt. Mit diesen Sekundärteilchen werden schliesslich an über 30 unterschiedlichen Experimentierstationen wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt.

Eine Sorte Sekundärteilchen, die wir am PSI viel nutzen, sind die Myonen. Das sind etwas weniger bekannte Elementarteilchen, doch auch sie entstehen beispielsweise ganz natürlich in unserer Atmosphäre. Am PSI erzeugen wir sie gezielt. Wir haben die weltweit höchste Intensität an Myonen, die in Experimenten genutzt werden können. Andere Anlagen auf der Welt holen nun mit ihren Weiterentwicklungen teilweise auf. IMPACT ist im Sinne des internationalen Wettbewerbs sehr wichtig, denn damit werden wir hier am PSI unseren maximalen Myonenfluss um den Faktor 100 erhöhen und künftig 10 Milliarden Myonen pro Sekunde für die Forschung im Bereich Teilchenphysik und Materialwissenschaften zur Verfügung stellen.

Und weshalb braucht es überhaupt diese enorme Zahl an Myonen?

Myonen sind instabil und zerfallen daher nach kurzer Zeit in andere Teilchen. Wissenschaftlich sind solche Teilchenzerfälle sehr spannend, denn sie verraten uns viel über die grundlegenden Regeln der Physik. In diese Richtung geht ja auch die Forschung des CERN.

Am PSI suchen wir bei den Myonen beispielsweise nach bestimmten Zerfällen, die in eine Welt jenseits des sogenannten Standardmodells der Teilchenphysik zeigen würden. Dieses Standardmodell soll möglichst unser gesamtes Universum beschreiben, doch es gibt mehrere astrophysikalische Beobachtungen, die ihm widersprechen. Daher wird in internationalen Kollaborationen an diesen besonderen Zerfällen geforscht und führende Experimente finden bei uns am PSI statt. Mit dem bisher verfügbaren Myonenfluss haben wir bald die Möglichkeiten ausgereizt, die kritischen Teilchenzerfälle zu finden. In dieser Forschungsfrage werden wir daher künftig nur weiterkommen, indem wir dank IMPACT unseren Myonenfluss noch weiter erhöhen.

Wird IMPACT auch bei irdischen Fragestellungen und Problemen weiterhelfen?

Wir nutzen die Myonen auch zur Untersuchung von neuartigen Materialien. Damit werden grundlegende Materialeigenschaften aufgedeckt, was für die Entwicklung neuer Technologien wichtig ist. IMPACT wird dazu führen, dass wir viel kleinere Proben schneller messen und einen grösseren Bereich als bisher von der Oberfläche bis in die Feststoffe hinein untersuchen können. Damit gewinnen wir neue Einblicke in der Materialwissenschaft.

Und zweitens wird IMPACT auch in der Nuklearmedizin weiterhelfen. Wir planen eine ganz neue Anlage, die der Forschung hin zu einer gezielten, personalisierten Krebstherapie dienen wird. Hier geht es um die Entwicklung von sogenannten Radionukliden beziehungsweise Radiopharmaka für die Medizin. Für einige wenige Krebsarten setzt man diese heute schon ein. Wir wollen für jede Krebsart und für jedes Krebsstadium das passende Radionuklid bereitstellen können. Unser Augenmerk richtet sich dabei auf Radionuklide desselben chemischen Elements, mit denen man den Krebs sowohl diagnostizieren als auch anschliessend bekämpfen kann. Dieser doppelte Einsatz hat den grossen Vorteil, dass man bereits bei der Diagnose recht gut vorhersagen kann, wie der Körper auf die Behandlung reagieren wird, sodass man gegebenenfalls die Dosis anpassen kann.

Nun entscheidet das Schweizer Parlament erst Ende 2024 über die Finanzierung und dennoch muss für IMPACT derzeit schon vieles vorbereitet werden. Wie geht das?

Falls Ende 2024 positiv über die Finanzierung entschieden wird, müssen die ersten physischen Umbauten schon kurz darauf starten, denn IMPACT ist für die Forschungsförderungsperiode ab 2025 vorgesehen. Also müssen die Planung und viele vorbereitende Arbeiten schon jetzt erledigt werden. Dafür investiert das PSI selber und hat für die Jahre 2022, 2023 und 2024 jeweils 1,2 Millionen Franken für die Vorarbeiten zugesichert.

Was sind konkrete Beispiele für diese Vorarbeiten?

Zunächst haben wir im Januar 2022 einen 300-seitigen „Conceptual Design Report“ (CDR) erstellt. Er enthält von der wissenschaftlichen Motivation bis zu ersten technischen Konzepten und Berechnungen bereits das grundsätzliche Vorhaben. Dieser Bericht war die Grundlage für die PSI-eigene Vorfinanzierung. Als nächstes steht der „Technical Design Report“ (TDR) an, der die technische Ausarbeitung der Konzepte enthält. Bei einem Hausbau würde das wohl dem detaillierten Bauplan unter Einhaltung der jeweiligen geltenden Bestimmungen entsprechen. Dafür erstellen wir derzeit von jedem einzelnen zukünftigen Bauteil die Konzepte und CAD-Modelle, also die rechnerunterstützten Konstruktionsmodelle. Das sind Tausende CAD-Modelle, die wir derzeit in riesigen dreidimensionalen Puzzles mit enorm vielen Details und technischen Herausforderungen zusammenfügen.

Der Umbau wird ja mehrere Areale in den Hallen rund um HIPA betreffen.

Richtig, und wir nutzen diese Chance, um Wege und Prozesse zu optimieren. Beispielsweise die Fluchtwege in der Halle: Wir haben es geschafft, dass diese durch die Umbauten kürzer werden als bisher und zukünftig keine Treppen mehr beinhalten. Das macht unsere Anlagen sicherer und kommt natürlich allen zugute.

Ausserdem muss eine Kryo-Station, an der flüssiges Helium für den Experimentierbetrieb abgefüllt wird, weichen. Wir haben das zum Anlass genommen, sie an eine neue Stelle zu versetzen, die besser zugänglich sein wird. Bisher steht die Kryo-Station erhöht, weshalb praktisch alle Abfüllbehälter mit dem Kran dorthin und zurück transportiert werden müssen, was über das Jahr gerechnet viel Zeit kostet. Am neuen Ort wird sie viel leichter zugänglich sein und von den jährlich 2000 Kranfahrten können mehr als die Hälfte wegfallen.

Wie lässt sich so ein komplexes Grossprojekt überhaupt stemmen?

Ich würde sagen: mit einem engagierten Projektleitungsteam und mehr als 100 weiteren involvierten Fachleuten aus fünf Fachbereichen des PSI. Das Upgradeprojekt IMPACT betrifft die Forschenden in der Biologie und Chemie, in der Neutronen- und Myonenforschung, in der Nuklearen Energie und Sicherheit und darüber hinaus die Leute im Bereich Grossforschungsanlagen und schliesslich in der Logistik. Das ist selbst für das interdisziplinäre PSI eine einmalige Zusammenarbeit an einem Grossprojekt.

Das zu koordinieren ist zwar aufwendig, aber auch sehr spannend, weil all diese Fachpersonen sehr wertvollen Input haben. Und genau diese Vielfalt der Kompetenzen hier am PSI ist unsere Stärke. Von den Forschenden an den Strahllinien über die Fachleute für sogenannte Targets, Magnete, Strahldiagnostik, Simulationen bis hin zur Entwicklung von Detektoren, der notwendigen Infrastruktur, ohne die nichts geht, und noch vieles mehr, alles unter dem wachsamen Auge der Arbeitssicherheit – wir haben all das vor Ort und brauchen sie alle.

Kontakt

PD Dr. Daniela Kiselev
Leiterin Abteilung Strahlbetrieb und Anlagenentwicklung
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 30 37, E-Mail: daniela.kiselev@psi.ch [Deutsch, Englisch]