Welttoilettentag 2021: Die Toilettenrevolution ist da

Mit einem Team aus Forschenden und Designern hat Kai Udert ein Toilettensystem entwickelt, welches das Recycling der Nährstoffe aus Abwasser vor Ort möglich macht. Dadurch können wertvolle Nährstoffe wiedergewonnen und als Dünger eingesetzt werden und gelangen nicht mehr in Seen und Meere, wo sie grossen Schaden anrichten. Gemeinsam mit Industriepartnern will er das System nun zur Marktreife bringen.
Kai Udert vor dem «Blue Diversion Autarky»-Toilettensystem (Foto: Eawag)

In Fachkreisen wird von einer Toiletten-Revolution gesprochen. Was braut sich denn da zusammen?

Es geht nicht nur um die Toilette an sich, sondern auch stark um die Behandlung der Ausscheidungen. Sie werden heute als Ressourcen und nicht mehr als Abfall gesehen. Das hat auch Auswirkungen auf das eigentliche «User Interface», also die WC-Schüssel. Diese muss so gestaltet sein, dass man die Ausscheidungen möglichst effizient behandeln kann. Die Toilette wird also nicht mehr als wassergespülter Abfallkübel, sondern als Wertstoffsammelstelle gesehen. Hilfreich ist dabei, wenn die Stoffströme, also Urin, Fäkalien und gegebenenfalls Spülwasser getrennt gesammelt werden. So können sie anschliessend effizient rezykliert und, beispielsweise Urin, wieder als Dünger eingesetzt werden.

Dass die Felder mit Gülle und Mist gedüngt werden ist ja nichts Neues, auch menschlicher Urin wurde früher als Dünger genutzt. Weshalb wird an der Eawag noch daran geforscht?

Diese Aussage zeigt, dass der Sinneswandel schon in vollem Gange ist. Lange Zeit traf die Idee, Urin als Dünger auszubringen, auf wenig Akzeptanz bei Fachleuten und in der Bevölkerung. Es gibt auch noch politische Entscheidungsträger, die skeptisch sind. Und sicher gibt es wichtige Kritikpunkte, die berücksichtigt werden müssen:  Bei der Verwendung von Urin als Dünger darf kein gesundheitliches Risiko durch Krankheitserreger oder Arzneimittelrückstände entstehen, die Nährstoffe müssen hauptsächlich von den Pflanzen aufgenommen werden und nicht in die Luft oder ins Grundwasser verloren gehen. Nicht zu vergessen ist die Geruchsbelästigung, die verhindert werden muss.

Welchen Beitrag kann die Nutzung der Ressourcen aus dem Abwasser in Bezug auf den Klimawandel leisten?

Der Klimawandel ist nur eines der grossen weltweiten Umweltprobleme. Die Belastungsgrenzen der Erde sind auch bei den Nährstoffen Phosphor und Stickstoff überschritten. Sie führen weltweit zu einer Überdüngung der Meere. Hier ist der Nutzen der Ressourcenrückgewinnung aus Abwasser offensichtlich. Durch die Rückgewinnung der Nährstoffe aus den Ausscheidungen und deren Rückführung in die Landwirtschaft können wir die Produktion von synthetischen Düngern verringern und somit den Gesamtverlust von Nährstoffen in die Umwelt reduzieren. Dazu kommt, dass eine Verringerung des Verbrauchs von fossilen Ressourcen, ob es nun Erdgas für die Stickstofffixierung oder Phosphatgestein ist, einen positiven Effekt aufs Klima haben. Wichtig ist allerdings auch, dass nicht zu viel Energie für die Rückgewinnung von Ressourcen aus dem Abwasser verbraucht wird.

Welttoilettentag 2021

Der Welttoilettentag 2021 der Vereinten Nationen steht unter dem Motto «nachhaltige Abwasserentsorgung und Klimawandel». Wir veröffentlichen dazu Interviews mit unseren Forschenden Tove Larsen [SKR1] (Mitglied Direktion, Gruppenleiterin) und Kai Udert (Gruppenleiter), welche beide seit vielen Jahren daran arbeiten, Ressourcen aus Abwasser rückzugewinnen. Wie sie gemeinsam mit weiteren Forschenden der Eawag die Trennung der Stoffströme entwickelt haben, wurde von Luke Keogh in «Flows of Science» dargestellt.

Abwasser enthält viele Nährstoffe, aber auch Schadstoffe und Medikamentenrückstände. Wie geht ihr damit um?

Medikamente sind ein ganz wichtiges Thema. Beim Bewilligungsverfahren für unseren Dünger «Aurin» hat das Bundesamt für Landwirtschaft gefordert, dass wir die Medikamente aus dem Produkt entfernen. Wir erreichen das durch Aktivkohleadsorption, also mit einem ähnlichen Verfahren, das auch in der Abwasserreinigung angewendet wird. Wir konnten damit die Konzentrationen der Indikatorsubstanzen bis unter die Nachweisgrenze senken.

Sie forschen seit längerer Zeit an einer autarken Toilette, welche das Recycling des Abwassers vor Ort ermöglicht, ganz ohne Kanalisation und grosse Kläranlage. Was haben Sie erreicht und wie ist der jetzige Stand?

Die Blue Diversion Autarky-Toilette besteht aus vier Modulen: je eines für Urin, Fäkalien und Spülwasser und dem «User Interface», das aus einem Waschbecken, einem Urinal und einer urinseparierenden Toilette besteht. Das Gesamtsystem wurde zusammen mit anderen Projekten, die im «Reinvent the Toilet»-Programm entwickelt wurden, 2018 in Peking vorgestellt. Seitdem waren wir mit einigen Industrieunternehmen in Kontakt. Eine Firma hat die Wasserbehandlung übernommen und zurzeit diskutieren wir mit einer anderen Firma die Zusammenarbeit zur Urinbehandlung.

Auch wenn wir bis jetzt noch keine Firma gefunden haben, die das Gesamtsystem industrialisieren möchte, so haben wir mit unserem Projekt doch wichtige Impulse für die Entwicklung von Vorort-Abwasserreinigungsanlagen gegeben. Die hydrothermale Oxidation, die von unserem Partner Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) unter Leitung von Prof. Frédéric Vogel für die Behandlung der Fäkalien entwickelt wurde, wird ausserdem in einem anderen von der Gates Foundation unterstützten Projekt weiterentwickelt, ebenso die Trennung der Abwasserströme im «User Interface». Der Ansatz der Trennung von Fäkalien und Urin wurde ebenfalls von anderen Entwicklungsprojekten übernommen.

Was ist Ihre Vision – und bis wann liesse sie sich umsetzen?

Die vier Module werden parallel von uns, unseren Partnern oder von der Industrie weiterentwickelt. Die österreichische Design-Firma EOOS NEXT arbeitet bereits an mehreren Toilettentypen, die Urin und Fäkalien trennen können. Wasser- und Urinbehandlung könnten schon in wenigen Jahren industrialisiert sein und zu einem marktfähigen Preis verkauft werden. Bei der Behandlung der Fäkalien hoffe ich, dass wir im Rahmen der Forschung im Water Hub geeignete Verfahren finden. Ich denke, in ein paar Jahren könnten die industrialisierten Module dann zu einem funktionierenden Gesamtsystem kombiniert werden. Damit diese Vision allerdings Wirklichkeit wird, brauchen wir engagierte und starke Industriepartner.