Gehen trotz schwerer neurodegenerativer Krankheit

Ein elektronisches Implantat reaktiviert die Rückenmarksnerven eines Patienten mit einer neurodegenerativen Krankheit, die einen dramatischen Blutdruckabfall verursacht.
Von der Synkope zum Gehen: erste Schritte nach der Operation. © Jimmy Ravier / EPFL 2021

Eine Patientin, die an einer schwächenden neurodegenerativen Krankheit leidet, konnte nach über einem Jahr Bettlägerigkeit wieder aufstehen und gehen, dank eines innovativen Systems, das von einem Team des Forschungszentrums NeuroRestore unter der Leitung von Jocelyne Bloch, Neurochirurgin am Universitätsspital Lausanne (CHUV) und Professorin an der Universität Lausanne UNIL, und Grégoire Courtine, Professor für Neurowissenschaften an der EPFL, entwickelt wurde. Ihr System besteht aus einer direkt in das Rückenmark implantierten Elektronik, die die Neuronen reaktiviert, die den Blutdruck regulieren, und so verhindert, dass die Patientin in aufrechter Haltung das Bewusstsein verliert.

Das Implantat wurde bereits zur Behandlung von niedrigem Blutdruck bei Tetraplegikern eingesetzt, aber dies war das erste Mal, dass es bei dieser Art von neurodegenerativer Erkrankung angewandt wurde, was die Lebensqualität des Patienten erheblich verbesserte.

Die Studie mit dem Titel «Implanted System for Orthostatic Hypotension in Multiple System Atrophy» wurde im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Die Patientin in der Studie leidet an Multipler Systematrophie vom Parkinson-Typ (MSA-P), einer neurodegenerativen Erkrankung, die mehrere Teile des Nervensystems, einschliesslich des sympathischen Nervensystems, angreift. Nachdem die Patientin 18 Monate lang bettlägerig war, kann sie jetzt bis zu 250 Meter weit gehen.

«Dies ist das erste Mal, dass wir die Blutdruckregulierung bei Menschen mit MSA verbessern konnten.»      Jocelyne Bloch, Leiterin des Forschungszentrums NeuroRestore

MSA-P führt zum Verlust von Sympathikusneuronen, die den Blutdruck regulieren, so dass dieser dramatisch abfällt, sobald sich die Patienten in einer aufrechten Position befinden – ein Problem, das als orthostatische Hypotonie bekannt ist und in einigen Fällen zu Ohnmacht führt. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit von Stürzen, schränkt die Fähigkeit zum Stehen und Gehen ein und kann schliesslich die Lebenserwartung verkürzen. Die Lebensqualität der Patientinnen wird dabei erheblich beeinträchtigt, da sie in einer liegenden Position verharren müssen, um nicht ohnmächtig zu werden.

Das Implantat der Forschenden besteht aus Elektroden, die mit einem elektrischen Impulsgeber verbunden sind, der üblicherweise zur Behandlung chronischer Schmerzen eingesetzt wird. Nach der Implantation ihres Geräts direkt am Rückenmark der Patientin stellten die Forschenden eine Verbesserung der körpereigenen Fähigkeit zur Blutdruckregulierung fest, die es der Patientin ermöglichte, längere Zeit in aufrechter Position bei Bewusstsein zu bleiben und eine Physiotherapie zu beginnen, um wieder gehen zu können.

Für Jocelyne Bloch ebnet dieser Fortschritt den Weg zu wichtigen klinischen Durchbrüchen bei der Behandlung degenerativer Erkrankungen: «Wir haben bereits gesehen, wie diese Art von Therapie bei Patienten mit einer Rückenmarksverletzung angewendet werden kann. Jetzt können wir Anwendungen zur Behandlung von Defiziten infolge von Neurodegeneration erforschen.» «Es ist das erste Mal, dass wir die Blutdruckregulierung bei MSA-Patienten verbessern konnten», fügt Grégoire Courtine hinzu, «diese Technologie war ursprünglich für die Schmerzlinderung gedacht, nicht für diese Art von Anwendung. In Zukunft planen wir und unser Unternehmen Onward Medical die Entwicklung eines Systems, das speziell auf orthostatische Hypotonie ausgerichtet ist und Menschen auf der ganzen Welt helfen kann, die mit dieser Störung zu kämpfen haben.»