Mit DeepBreath Atemwegserkrankungen erkennen

Ein neuer KI-Algorithmus, der an der EPFL und dem Universitätsspital Genf (HUG) entwickelt wurde, wird ein intelligentes Stethoskop – Pneumoscope – antreiben, das das Potenzial hat, die Behandlung von Atemwegserkrankungen in ressourcenarmen und abgelegenen Gebieten zu verbessern.
Das Pneumoskop © Cyrille Verdon / Renaud Defrancesco BUREAU 141 / EPFL 2023

Wenn die Luft durch das Labyrinth der kleinen Atemwege in unserer Lunge strömt, gibt sie ein charakteristisches Zischgeräusch von sich. Wenn diese Gänge durch eine asthmatische Entzündung verengt sind oder durch infektiöse Sekrete bei Bronchitis verstopft werden, verändert sich das Geräusch auf charakteristische Weise. Die Suche nach diesen diagnostischen Signaturen mit Hilfe eines Stethoskops, das auf den Brustkorb aufgesetzt wird, ein Verfahren, das Auskultation genannt wird, ist zu einem unumgänglichen Bestandteil fast jeder Gesundheitsuntersuchung geworden.

Doch trotz der zweihundertjährigen Erfahrung mit Stethoskopen ist die Interpretation der Auskultation immer noch sehr subjektiv, so dass jede Ärztin etwas anderes hören wird. Je nachdem, wo auf der Welt man sich befindet, kann ein einziges Geräusch als Brutzeln, Knallbonbon, Klettverschluss, bratender Reis und vieles mehr beschrieben werden. Die Genauigkeit wird ausserdem durch die Erfahrung des medizinischen Personals und dessen Spezialisierung beeinflusst.

Diese Komplikationen machen sie zu einer idealen Herausforderung für Deep Learning, das das Potenzial hat, Audiomuster objektiver zu unterscheiden. Deep Learning hat bereits gezeigt, dass es die menschliche Wahrnehmung bei der Interpretation einer Reihe komplexer medizinischer Untersuchungen, wie Röntgenaufnahmen und MRT-Scans, verbessern kann.

Eine in Nature Digital Medicine veröffentlichte neue Studie der EPFL-Forschungsgruppe Intelligent Global Health (iGH), die im Labor für maschinelles Lernen und Optimierung angesiedelt ist, einem Zentrum für interdisziplinäre KI-Spezialisten in der Fakultät für Informatik und Kommunikation, beschreibt ihren KI-Algorithmus DeepBreath, der das Potenzial der automatischen Interpretation bei der Diagnose von Atemwegserkrankungen aufzeigt.

«Was diese Studie besonders einzigartig macht, ist die Vielfalt und die rigorose Sammlung der Auskultationsgeräusche», sagte die Hauptautorin der Studie, Dr. Mary-Anne Hartley, eine Ärztin und biomedizinische Datenwissenschaftlerin, die das iGH leitet. Fast sechshundert ambulante pädiatrische Patientinnen und Patienten wurden in fünf Ländern – Schweiz, Brasilien, Senegal, Kamerun und Marokko – rekrutiert. Die Atemgeräusche wurden bei Patienten unter 15 Jahren aufgezeichnet, die an den drei häufigsten Arten von Atemwegserkrankungen litten – röntgenologisch bestätigte Lungenentzündung, klinisch diagnostizierte Bronchiolitis und Asthma.

«Wiederverwendbare, verbrauchsmittelfreie Diagnoseinstrumente wie dieses intelligente Stethoskop haben den einzigartigen Vorteil der garantierten Nachhaltigkeit.»      Dr. Mary-Anne Hartley, Leitung iGH

«Atemwegserkrankungen sind die häufigste Ursache für vermeidbare Todesfälle in dieser Altersgruppe», erklärt Professor Alain Gervaix, Leiter der Abteilung für Kindermedizin an der HUG und Gründer von Onescope, dem Start-up-Unternehmen, das dieses intelligente Stethoskop mit integriertem DeepBreath-Algorithmus auf den Markt bringen wird: «Diese Arbeit ist ein perfektes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen der HUG und der EPFL, zwischen klinischen Studien und Grundlagenforschung. Das DeepBreath-Pneumoskop ist eine bahnbrechende Innovation für die Diagnose und Behandlung von Atemwegserkrankungen», so Hartley weiter.

Dr. Hartleys Team leitet die KI-Entwicklung für Onescope und ist besonders begeistert vom Potenzial des Instruments in ressourcenarmen und abgelegenen Umgebungen: «Wiederverwendbare, verbrauchsmittelfreie Diagnosewerkzeuge wie dieses intelligente Stethoskop haben den einzigartigen Vorteil, dass sie garantiert nachhaltig sind», erklärte sie und fügte hinzu: «KI-Werkzeuge haben auch das Potenzial, sich selbst ständig zu verbessern, und ich bin zuversichtlich, dass wir den Algorithmus mit weiteren Daten auf andere Atemwegserkrankungen und Bevölkerungsgruppen ausweiten können.»

DeepBreath wurde an Patientinnen und Patienten aus der Schweiz und Brasilien trainiert und dann an Aufnahmen aus dem Senegal, Kamerun und Marokko validiert, was einen Einblick in die geografische Verallgemeinerbarkeit des Tools gibt. «Sie können sich vorstellen, dass es viele Unterschiede zwischen Notaufnahmen in der Schweiz, in Kamerun und im Senegal gibt», sagt Dr. Hartley und zählt Beispiele auf, «die Geräuschkulisse, die Art, wie die Ärztin oder der Arzt das Stethoskop hält, mit dem er die Geräusche aufnimmt, die Epidemiologie und die lokalen Diagnoseprotokolle.»

Bei ausreichender Datenmenge sollte ein Algorithmus gegenüber diesen Nuancen robust sein und das Signal im Rauschen finden. DeepBreath zeigte trotz der geringen Patientenzahl an verschiedenen Standorten eine beeindruckende Leistung, was darauf hindeutet, dass er sich mit mehr Daten noch weiter verbessern kann.

Ein besonders einzigartiger Beitrag der Studie war die Einbeziehung von Methoden, die darauf abzielten, das Innenleben der «Black Box» des Algorithmus zu entmystifizieren. Die Autorinnen und Autoren konnten nachweisen, dass das Modell tatsächlich den Atemzyklus für seine Vorhersagen verwendet und zeigen, welche Teile davon am wichtigsten sind. Der Nachweis, dass der Algorithmus tatsächlich die Atemgeräusche nutzt und nicht «schummelt», indem er die verzerrten Signaturen im Hintergrundrauschen verwendet, ist eine kritische Lücke in der aktuellen Literatur und kann das Vertrauen in den Algorithmus mindern.

Das multidisziplinäre Team arbeitet daran, den Algorithmus für den praktischen Einsatz in seinem intelligenten Stethoskop Pneumoscope vorzubereiten. Eine wichtige nächste Aufgabe ist die Wiederholung der Studie an weiteren Patientinnen und Patienten unter Verwendung von Aufzeichnungen dieses neu entwickelten digitalen Stethoskops, das auch die Temperatur und die Sauerstoffsättigung des Blutes aufzeichnet. «Die Kombination dieser Signale wird die Vorhersagen wahrscheinlich noch weiter verbessern», so Dr. Hartley.

Weitere Informationen

Zu Dr. Hartleys Studententeam, das an der Entwicklung von DeepBreath beteiligt war, gehören Julien Heitmann, Jonathan Doenz, Julianne Dervaux und Giorgio Mannarini, die alle ihre Masterarbeiten zu diesem Projekt abgeschlossen haben.