Den Tubulin-Code knacken

Tubuline sind die Bausteine der Mikrotubuli, die das Skelett der Zelle bilden. Eine neue Methode ermöglicht die detaillierte Untersuchung ihrer Rolle bei Krankheiten, insbesondere bei Krebs.
Eine Illustration von Tubulin, das mit einer metaphorischen Pinzette bearbeitet wird. Credit: Beat Fierz (EPFL)

Tubulin ist ein Protein, das eine entscheidende Rolle für die Struktur und Funktion von Zellen spielt. Es ist der Hauptbestandteil von Mikrotubuli, langen, hohlen Fasern, die die Zelle strukturell stützen, ihr bei der Teilung helfen, ihr ihre Form geben und als Bahnen für den Transport molekularer Fracht innerhalb der Zelle dienen.

Es gibt zwei Arten von Tubulin: Alpha-Tubulin und Beta-Tubulin. Zusammen bilden sie dimere (zweiteilige) Bausteine, die sich spontan zu Mikrotubuli zusammenfügen, die weitere kontinuierliche Zyklen des Auf- und Abbaus durchlaufen.

Der Tubulin-Code

Zur Feinabstimmung der Mikrotubuli werden die Dimere verschiedenen posttranslationalen Modifikationen (PTM) unterzogen. Dabei handelt es sich um chemische Modifikationen, die nach ihrer Synthese auftreten und ihre Struktur, Aktivität und Wechselwirkungen mit anderen Molekülen beeinflussen können.

Zwei wichtige PTMs finden am unstrukturierten Schwanz von Alpha-Tubulin statt: Polyglutamylierung, bei der Ketten von Glutamat-Aminosäuren hinzugefügt werden, und Detyrosinierung, bei der die letzte Tyrosin-Aminosäure entfernt wird. Diese PTMs sind neben anderen in stabilen Mikrotubuli, z. B. in Neuronen, zu finden.

Kombinationen von PTMs bilden das, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als «Tubulin-Code» bezeichnen, der mit spezifischen Funktionen von Mikrotubuli verbunden ist. Tubulin-PTMs sind entscheidend für das ordnungsgemässe Funktionieren der Mikrotubuli.

Dysregulationen von PTMs wurden mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter Krebs, Neurodegeneration und Entwicklungsstörungen. Daher ist das Verständnis der Bedeutung von Tubulin-PTMs von entscheidender Bedeutung, um unser Wissen über diese Krankheiten zu erweitern und potenzielle Therapien zu entwickeln. Das Problem ist, dass die Mechanismen, die solche PTM-Muster steuern, nicht gut verstanden sind, vor allem weil wir nicht über die Instrumente verfügen, um die Funktion und Regulierung von Tubulin-PTMs zu entschlüsseln.

«Designer»-Tubuline helfen, den Tubulin-Code zu knacken

Forschende der EPFL und der Universität Genf (UNIGE) haben nun eine chemische Methode entwickelt, um voll funktionsfähiges Tubulin mit präzisen Kombinationen von posttranslationalen Modifikationen (PTMs) herzustellen. Die Studie wurde von Professor Beat Fierz (EPFL) und Assistenzprofessorin Charlotte Aumeier (UNIGE) in Zusammenarbeit mit den Labors von Pierre Gönczy (EPFL) und Carsten Janke (Institut Curie) geleitet und gibt Aufschluss darüber, wie spezifische PTMs die Funktion von Tubulin in Zellen regulieren.

Die Methode nutzt chemo-enzymatisches Protein-Splicing, um synthetische Alpha-Tubulin-Schwänze, die mit unterschiedlichen Graden von Polyglutamat modifiziert wurden, an menschliche Tubulin-Moleküle anzuhängen. Die Verwendung dieser «Designer-Tubuline» ermöglichte es den Forschenden erstmals, homogen modifizierte Mikrotubuli zusammenzusetzen.

Sie fanden auch heraus, dass die Polyglutamylierung von Alpha-Tubulin dessen Detyrosinierung erleichtert, indem sie die Aktivität des Proteinkomplexes Vasohibin/SVBP, des für diese Modifikation verantwortlichen Schlüsselenzyms, erhöht. Das Team bestätigte seine Ergebnisse, indem es die Menge an Polyglutamat in lebenden Zellen veränderte und die Auswirkungen auf den Tyrosinabbau beobachtete.

Die Studie stellt einen neuen Ansatz für die Entwicklung von Tubulinen mit spezifischen PTMs vor und deckt ein neues Zusammenspiel zwischen zwei wichtigen Regulierungssystemen auf, die die Funktion von Tubulin steuern: Polyglutamylierung und Detyrosinierung.

Die neue Methode zur Herstellung von Tubulinen mit definierten PTMs kann unser Verständnis ihrer molekularen Funktion verbessern und Erkenntnisse darüber liefern, wie eine Dysregulation dieser PTMs zu Krankheiten führt.

Basierend auf dieser Arbeit haben die Labors von Fierz und Aumeier zusammen mit Jens Stein von der Universität Freiburg und Michael Sixt vom ISTA Wien ein Sinergia-Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds erhalten, um zu untersuchen, wie Tubulin-PTMs das Zytoskelett in wandernden Immunzellen kontrollieren.

Mehr Informationen

Andere Mitwirkende

  • EPFL Swiss Institute for Experimental Cancer Research (ISREC)
  • EPFL Biomolecular Screening Facility
  • Université Paris Sciences & Lettres
  • Université Paris-Saclay

Finanzierung

  • Kanton Genf (DIP)
  • Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
  • NCCR Chemische Biologie
  • EPFL
  • Nationale Forschungsagentur Frankreichs (ANR)
  • Fondation pour la Recherche Medicale (FRM)

Literaturhinweis

Eduard Ebberink, Simon Fernandes, Georgios Hatzopoulos, Ninad Agashe, Nora Guidotti, Timothy M. Reichart, Luc Reymond, Marie-Claire Velluz, Fabian Schneider, Cédric Pourroy, Carsten Janke, Pierre Gönczy, Beat Fierz, Charlotte Aumeier. Tubulin engineering by semisynthesis reveals that polyglutamylation directs detyrosination. Nature Chemistry 29 June 2023. DOI: 10.1038/s41557-023-01228-8