Besseres Verständnis von Innovationsdynamiken

Vor 25 Jahren waren urinseparierende Toiletten erst eine Idee, die das zentrale Paradigma für Kläranlagen in Frage stellte. Doch seither gewinnen modulare Wassertechnologien zusehends an Bedeutung. Forschende der Eawag haben diese Entwicklung mit einer neuen Methode nachgezeichnet.
Dieses Netzwerk zeigt die Aspekte Technologie (T), Regulation (R) und Designparadigma (P) für Kläranlagen (violett) und für Urinseparierung (grün). Etablierte Technologien stehen im Zentrum; neue Technologien am Rand. Je grösser ein Knoten ist, desto mehr Akteure unterstützen das entsprechende Konzept. (Grafik: Jonas Heiberg et al., Elsevier B.V.)

«Die längste Zeit war das Sammeln des Abwassers in Kläranlagen das zentrale Paradigma für Abwasseraufbereitung in der Schweiz. Dabei machen die Leitungen 80 Prozent der Kosten aus, nur ein Fünftel des Gelds geht wirklich in die Behandlung des Abwassers», sagt Bernhard Truffer, Leiter der Abteilung Umweltsozialwissenschaften an der Eawag und Professor an der Universität Utrecht. «Die Annahme, dass das die beste Lösung ist, wird immer mehr in Frage gestellt.»

Visualisieren von ideellen Verknüpfungen

Als mögliche Alternative gewinnen die so genannten modularen Wassertechnologien zusehends an Bedeutung. In der Schweiz haben Eawag-Forschende vor 25 Jahren mit einer ersten Publikation über urinseparierende Toiletten die Entwicklung eines Sektors angestossen, in dem nun mehrere Start-Ups, aber auch internationale Akteurinnen und Akteure wie die Bill & Melinda Gates Foundation wichtige Rollen spielen. Diese Entwicklung haben Jonas Heiberg, Christian Binz und Prof. Bernhard Truffer nun anhand von Interviews mit Expertinnen und Experten nachgezeichnet, und zwar mit einer Methode, die das Team neu erarbeitet hat: Die so genannte sozio-technische Konfigurationsanalyse tönt ungefähr so kompliziert, wie die Grafiken mit miteinander verbundenen Kreisen und Dreiecken auf den ersten Blick aussehen. Doch die Netzwerke visualisieren, welche Akteure ähnliche Werte hochhalten – und ideell miteinander verknüpft sind.

Vermittlung zwischen gegensätzlichen Lagern

«Ökologisch orientierte Akteure finden die Urinseparierung attraktiv, weil sie sich mit Lowtech-Verfahren wie etwa der Kompostierung von Fäkalien vereinbaren lässt», schreiben die Forschenden. «Doch die BMGF favorisiert – aufgrund ihrer auf Software-Entwicklung basierenden Unternehmenskultur – seit jeher Hightech-Lösungen.» Erst als die Wasserfachleute mit einem Designteam zusammenarbeiteten – und ein deutlich verbessertes Toilettendesign vorschlugen, das auch mit einer Hightech-Behandlung kompatibel ist, erkannte die BMGF das kommerzielle Potenzial der Urinseparierung an. «Diese zweifache Ausrichtung ermöglichte es den Fachleuten, zunehmend zwischen den gegensätzlichen Lagern zu vermitteln.»

Originalpublikation

Heiberg, J.; Truffer, B.; Binz, C. (2022) Assessing transitions through socio-technical configuration analysis – a methodological framework and a case study in the water sectorResearch Policy, 51(1), 104363 (19 pp.), doi:10.1016/j.respol.2021.104363Institutional Repository