Neue Katalysatoren für Pharmahersteller

PSI-Forschende entwickeln gemeinsam mit Roche neue, potenziell effizientere Katalysatoren für die Herstellung von medizinischen Wirkstoffen.
Marco Ranocchiari am Röntgendiffraktometer seiner Arbeitsgruppe. Hier untersuchen er und seine Mitarbeitenden routinemässig pulverförmige MOFs: metallorganische Gerüstverbindungen, die in den Herstellungsprozessen von Pharmazeutika zum Einsatz kommen könnten. (Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer)

Katalysatoren sind Stoffe, die chemische Reaktionen erleichtern, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Sie kommen unter anderem in der pharmazeutischen Industrie zum Einsatz. Gerade hier führen oft erst mehrstufige Reaktionen zu den gewünschten komplexen Molekülen, die als medizinische Wirkstoffe eingesetzt werden können. Zudem fällt bei der Produktion von Arzneimitteln eine vergleichsweise grosse Menge Abfallprodukte an.

Diese Probleme wollen Forschende am PSI in einer beispielhaften Zusammenarbeit mit dem Pharmaunternehmen F. Hoffmann-La Roche lösen. Die Forschenden untersuchen dabei Katalysator-Materialien aus der Klasse der sogenannten MOFs: metallorganische Gerüstverbindungen (englisch: metal-organic frameworks). Diese Feststoffe zeichnen sich durch besonders viele Poren mit grosser Oberfläche aus: «Ein Gramm eines MOFs kann insgesamt eine Oberfläche von mehreren Fussballfeldern haben», sagt Marco Ranocchiari, Chemiker am PSI und einer der an dieser Zusammenarbeit beteiligten Forschenden. Die grossen Poren enthalten aktive Oberflächen, an denen Moleküle andocken können.

Potenzial für mehr Effizienz in der Pharmazeutika-Herstellung

Eine Kennzahl, die in der pharmazeutischen Industrie wichtig ist, ist die sogenannte Prozessmassenintensität, abgekürzt PMI. Sie beinhaltet das Verhältnis der Gesamtmasse aller im Produktionsprozess verwendeten Chemikalien und der Masse des gewünschten Endprodukts. Die PMI ist also letztlich ein Mass für die Menge des entstehenden Abfalls. Ist die PMI klein, spricht man von einem effizienten Herstellungsprozess. In der Pharmaindustrie aber kann die PMI hoch sein, da aufgrund der Komplexität der Wirkstoffmoleküle mehrstufige Herstellprozesse angewandt werden müssen. Gerade bei neuen Wirkstoffen steht zudem ein schneller Anlauf der Produktion im Vordergrund, um erste klinische Studien möglichst rasch beliefern zu können. Typischerweise wird darum erst in einer späteren Entwicklungsphase die Herstellung auch hinsichtlich ihrer Effizienz verbessert, die PMI also immer weiter reduziert.

«Genau in diese Richtung geht unsere Forschung mit den MOFs: Wir wollen helfen, die PMI in der Pharmaindustrie zu verbessern. Damit dort zukünftig weniger Abfall entsteht und die Produktion von medizinischen Wirkstoffen somit umweltfreundlicher werden könnte», so Ranocchiari. «Anders gesagt: Das übergeordnete Ziel unseres Forschungsprojektes ist es, die Herstellung von Wirkstoffen effizienter und nachhaltiger zu machen.»

Die Vorteile der MOFs

Neben ihrer grossen inneren Oberfläche eignen sich die MOFs auch aus weiteren Gründen als Katalysatoren in der Herstellung von Pharmazeutika: «Wie der Name schon sagt, haben sie organische und metallische Anteile. Metalle sind anorganische Materie», erklärt Daniele Cartagenova, Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Ranocchiari und spezialisiert in organischer Chemie. «Für uns Chemiker bedeutet das: Wir haben quasi doppelt so viele Möglichkeiten, diese Stoffe herzustellen und auf ihrem benötigten Zweck anzupassen, denn wir können sowohl die Werkzeuge der organischen als auch die der anorganischen Chemie nutzen.»

Einen weiteren Vorteil bieten MOFs auch deshalb, weil sie als kristalline Feststoffe in der Lösung bestehen bleiben. Die kleinen Kristalle lassen sich deutlich leichter aus dem Reaktionsgemisch herausfiltern als die gelösten Katalysatoren, welche standardmässig in der Herstellung von Wirkstoffen eingesetzt werden.

Und schliesslich ist die kristalline Eigenschaft der MOFs auch vorteilhaft für deren Charakterisierung. Kristalle lassen sich vergleichsweise leicht untersuchen – konkret: Die Position jedes Atoms im Kristallgitter kann bestimmt werden und die MOFs können daraufhin gezielt angepasst werden. Die PSI-Forschenden nutzen dafür ein Röntgendiffraktometer. Zusätzlich führen sie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI zeitaufgelöste Messungen durch: «Da können wir sozusagen live zuschauen, was exakt während des katalytischen Prozesses passiert», sagt Ranocchiari.

Ein Standard-Prozess im Fokus

Eine Reaktion, die in der Herstellung von Pharmazeutika häufig zum Einsatz kommt, ist die sogenannte Suzuki-Miyaura-Reaktion. Bei dieser Reaktion entsteht eine Bindung zwischen zwei Kohlenstoff-Atomen: die C-C-Bindung. Die Bildung der C-C-Bindung wird unter anderem benötigt, um wichtige klinische Wirkstoffe wie Navoximod oder Fenebrutinib herzustellen. Navoximod dient der Behandlung von Krebs, während Fenebrutinib bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose und Lupus erythematodes eingesetzt wird.

Genau auf diesen Reaktionstyp hat sich Ranocchiari und sein Team daher in den letzten drei Jahren konzentriert. Dafür verändern sie gezielt MOFs und analysieren routinemässig deren Struktur und Eigenschaften sowohl vor als auch nach ihres Einsatzes als Katalysator.

«Meinem Team und mir gefällt die Zusammenarbeit mit Roche, weil wir wichtige Grundlagenforschung machen können, die dennoch ein Ziel vor Augen hat», so Ranocchiari. «Es besteht die Chance, dass daraus direkt eine Anwendung folgen könnte, die erkrankten Menschen zugutekommt. Und zugleich können wir dazu beitragen, neue und ergänzende Verfahren einzuführen, um die Abfallmenge in der Herstellung von Pharmazeutika zu reduzieren. Diese zwei Punkte motivieren uns sehr.»

Weiterführende Informationen

Dreidimensionaler Blick in aktive Katalysatoren – Text vom 15. Dezember 2020

Originalveröffentlichung

Heterogeneous metal-organic framework catalysts for Suzuki-Miyaura cross coupling in the pharma industry
D. Cartagenova, S. Bachmann, J. A. Van Bokhoven, K. Püntener, M. Ranocchiari
Chimia, 24. November 2021
DOI: 10.2533/chimia.2021.972

Kontakt/Ansprechpartner

Dr. Ranocchiari
Leiter der Forschungsgruppe Syncat, Forschungsbereich Energie und Umwelt
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 58 43, E-Mail: marco.ranocchiari@psi.ch [Deutsch, Englisch, Italienisch]