Blutplättchen auf Abruf

Blutplättchen können nur bis zu einer Woche aufbewahrt werden, und in den Spitälern wird diese lebensrettende Ressource oft knapp. Um dieses Problem zu lösen, hat das EPFL-Start-up HemostOD eine Technologie entwickelt, mit der Blutplättchen in grossen Mengen und auf Abruf produziert werden können.
Das Start-up-Team mit der ersten Tasche mit Blutplättchen, die mit seinem System hergestellt wurden © 2022 HemostOD

Viele Erkrankungen wie Leukämie, andere Krebsarten, bestimmte angeborene Krankheiten und Erkrankungen, die eine Herzoperation erfordern, können die Qualität oder Quantität der Blutplättchen von Patientinnen und Patienten verringern. Thrombozyten spielen eine wesentliche Rolle bei der Blutgerinnung; wenn die Thrombozytenzahl zu niedrig ist, besteht die Gefahr von Blutungen, und es wird häufig eine Transfusion verschrieben. Gemäss dem Haemovigilance-Bericht 2021 von Swissmedic werden in der Schweiz jährlich etwa 35 000 bis 40 000 Thrombozytentransfusionen durchgeführt. Der Bedarf an Thrombozyten ist jedoch sicher höher, da die Transfusionsanfragen, die aufgrund eines Mangels nicht erfüllt werden können, in den offiziellen Zahlen nicht berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass sich der Mangel in den kommenden Jahren aufgrund des Bevölkerungswachstums, der zunehmenden Zahl älterer Menschen, der steigenden Inzidenz von Blutkrebs und der Fortschritte bei der Behandlung von Blutkrebs noch verschärfen wird. Dieser Mangel wird für die Spitäler, in denen die Durchlaufzeiten kurz sind, eine echte Herausforderung darstellen: Thrombozyten werden bei Raumtemperatur gelagert. Wegen der möglichen bakteriellen Verunreinigung können sie nur vier bis sieben Tage aufbewahrt werden. Das System von HemostOD kann den Spitälern bei der Lösung dieses Problems helfen, indem es ihnen die Möglichkeit gibt, Blutplättchen nach Bedarf aus adulten Stammzellen herzustellen.

«In den meisten Spitälern sind Thrombozyten nicht nur schwer zu bekommen, sondern viele Patientinnen und Patienten, die sie benötigen, haben in der Vergangenheit bereits mehrere Transfusionen erhalten, d. h. sie haben Antikörper gegen Spenderthrombozyten entwickelt.»      Olaia Naveiras, Professorin am Labor für Regenerative Hämatopoese der UNIL

Universal-Plättchen

Blutplättchen sind Zellfragmente, die aus einer Art von Knochenmarkszellen, den Megakaryozyten, entstehen, die wiederum von grösseren Stammzellen, den Megakaryoblasten, abstammen. Blutplättchen entstehen, wenn sich Megakaryozyten in die Blutgefässe ausdehnen, Bänder bilden und dann unter dem Druck des Blutstroms in Fragmente zerfallen. Das Gerät von HemostOD zielt darauf ab, diesen Prozess ex vivo nachzubilden, so dass Blutplättchen schnell und in grossem Massstab im Labor hergestellt werden können: «In unserem System fliesst eine Flüssigkeit, die Megakaryozyten enthält, in einem mikrofluidischen Gerät mit winzigen Hindernissen, die die Bildung von Bändern auslösen, wodurch sich die Megakaryozyten ausdehnen und anschliessend in Blutplättchen zerfallen», erklärt Élodie Dahan, die HemostOD zusammen mit ihrem EPFL-Kollegen Faouzi Khechana gegründet hat. Sie haben die letzten zwei Jahre damit verbracht, ihr System an der EPFL zu entwickeln. Dabei stützten sie sich auf Patente, die sie von einer französischen Universität erworben hatten, nachdem sie das Potenzial einer solchen Technologie erkannt hatten. Dahan und Khechana haben ihr System nun fertiggestellt und sind bereit, es in grösserem Umfang zu implementieren. Dahan erinnert sich noch gut an den aufregenden Moment, als sie ihren ersten Beutel mit künstlichen Blutplättchen herstellten: «Nach mehreren Monaten Entwicklungsarbeit haben wir endlich bewiesen, dass unser System funktioniert», sagt sie.

Das System von HemostOD verwendet Blut- oder Knochenmarkstammzellen, die anonymisiert wurden, d. h. so behandelt wurden, dass die Expression von Antigenproteinen auf der Oberfläche verhindert wird, die den Zellen sonst einen «Fingerabdruck» verleihen würden. Das bedeutet, dass die von den Zellen produzierten Blutplättchen universell sind: Sie können jeder Person verabreicht werden, unabhängig von ihrer Blutgruppe oder möglichen Kontraindikationen. Prof. Olaia Naveiras vom Labor für regenerative Hämatopoese an der Universität Lausanne erklärt: «In den meisten Spitälern sind Thrombozyten nicht nur schwer erhältlich, sondern viele Patientinnen und Patienten, die sie benötigen, haben in der Vergangenheit bereits mehrere Transfusionen erhalten, was bedeutet, dass sie Antikörper gegen Spenderthrombozyten entwickelt haben. Durch die Verwendung von Thrombozyten, die von programmierten Zellen ohne Antigene stammen, können wir eine Reaktion erzielen, die eher den Blutzellen eines gesunden Menschen entspricht.» Naveiras arbeitet zusammen mit HemostOD an einem Innosuisse-Projekt.

Der Mangel an Blutplättchen ist ein globales Problem und Unternehmen auf der ganzen Welt suchen nach Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Einige von ihnen, etwa in Japan, haben Systeme entwickelt, die eines Tages auf den Markt kommen könnten: «Die Lösung, die wir entwickeln, hat den Vorteil, dass wir nicht auf mehrere Stammzellspenden zurückgreifen müssen. Wir sind in der Lage, aus einer einzigen Zellspende langfristig eine industrielle Produktion von gleichbleibender Qualität zu gewährleisten», sagt Khechana, «damit ist unser System ideal geeignet, um den weltweiten Bedarf an Blutplättchen zu decken.»

Innosuisse-finanzierte Forschung zum Nachweis der Machbarkeit im grossen Massstab

Die nächste Phase der HemostOD-Forschung wird gemeinsam mit dem Universitätsspital Lausanne (CHUV), der Universität Lausanne und der Universität Genf im Rahmen eines von der Innosuisse finanzierten zweijährigen Projekts durchgeführt. Ziel ist es, den Nachweis zu erbringen, dass das System in der Lage ist, eine grosse Menge an Blutplättchen herzustellen und es anschliessend in klinischen Versuchen zu testen. Khechana hat bereits Erfahrung mit Unternehmensgründungen, da er ein EPFL-Spin-off gegründet hat, das 2015 von Intel übernommen wurde. Auch die Aussichten für HemostOD, sein aktuelles Projekt, sind vielversprechend: Das Unternehmen schloss im Mai 2021 eine Seed-Finanzierungsrunde in Höhe von 650 000 CHF ab. «Wir suchen aktiv nach weiteren Investoren und hoffen, 2025 unsere ersten Transfusionsversuche am Menschen durchführen zu können», sagt Khechana. «Unser Ziel ist es, das System 2027 auf den Markt zu bringen.»