KI ermöglicht wirksamere humanitäre Massnahmen

Forschende der EPFL und der ETH Zürich haben in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Bin Khalifa Universität (Katar) ein Programm entwickelt, das Schätzungen der Bevölkerungsdichte mit bisher unerreichter Präzision erstellen kann und nur eine grobe Schätzung auf regionaler Ebene benötigt, um zu lernen.
Visueller Vergleich von Zanzibar City in Tansania: Karte der Bevölkerungsdichte in hoher Auflösung (links) und mit POMELO (rechts). (© EPFL)

In den meisten Ländern, in denen das IKRK tätig ist – sei es als Reaktion auf eine Krise oder einen Konflikt oder zur Unterstützung des Wiederaufbaus – sind keine aktuellen Volkszählungsdaten verfügbar. Und dort, wo Volkszählungen durchgeführt werden, sind sie aufgrund des raschen Bevölkerungswachstums und der demografischen Verschiebungen oft schnell veraltet. Doch wenn humanitäre Helfer die Wasserversorgung wiederherstellen, Nahrungsmittel verteilen oder die Durchführbarkeit eines Präventionsprogramms beurteilen müssen, können sie viel effizienter arbeiten, wenn sie wissen, wie viele Menschen sich in einem bestimmten Gebiet aufhalten. Aus diesem Grund haben Ingenieurfachleute der EPFL und der ETH Zürich gemeinsam mit dem IKRK ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Programm namens Pomelo entwickelt. Die Software kompiliert grosse Mengen öffentlicher Daten aus Fernerkundungssystemen – wie etwa Daten zu Gebäudezahlen, durchschnittlichen Gebäudegrössen, Nähe zu Strassen, Strassenkarten und Nachtbeleuchtung – und aggregiert sie auf der Grundlage von Gewichtungen, die von einem neuronalen Netzwerk gelernt wurden. Pomelo wurde bereits in mehreren afrikanischen Ländern erfolgreich getestet und liefert außergewöhnlich genaue Ergebnisse für Flächen von nur einem Hektar. Die Ergebnisse der Forschenden werden in Scientific Reports veröffentlicht.

Genauigkeit bis auf einen Hektar

Zwar gibt es bereits mehrere Methoden der Bevölkerungskartierung, doch keine von ihnen kann Schätzungen mit der für humanitäre Einsätze, Stadtplanung und Umweltüberwachung erforderlichen Genauigkeit liefern. Diese Methoden beruhen im Allgemeinen entweder auf der Extrapolation von Daten aus detaillierten, aber lokalen Erhebungen, um größere Gebiete abzudecken, oder auf der Verwendung öffentlich verfügbarer Geodaten (z. B. Drohnen- und Satellitenbilder), die über grosse Gebiete gewonnen wurden und nach verschiedenen Kriterien aufgeschlüsselt werden, um eine viel feinere Auflösung zu erreichen. Das IKRK verwendet derzeit eine Software, die sich auf die Grundrisse von Gebäuden stützt: «Unsere Software berücksichtigt jedoch keine anderen Faktoren wie die Art der Nutzung von Gebäuden», sagt Thao Ton-That Whelan, Projektleiter beim IKRK, «das ist wichtig, weil die Art der Hilfe, die in einem bestimmten Gebiet benötigt wird, davon abhängt, ob es sich beispielsweise um ein Industrie-, Verwaltungs- oder Wohngebiet handelt.» Prof. Devis Tuia, Leiter des Environmental Computational Science and Earth Observation Laboratory der EPFL, fügt hinzu: «Es gibt einige andere Programme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, aber sie alle benötigen eine genaue Volkszählung, um mit dem Lernen zu beginnen, das sie dann mit anderen Daten verfeinern. Wir brauchen nur eine Schätzung der Bevölkerung auf grober regionaler Ebene».

Pomelo wurde im Rahmen der «Engineering Humanitarian Action»-Initiative entwickelt – einer Partnerschaft zwischen der EPFL, der ETH Zürich und dem IKRK, um neue Technologien und technisches Know-how zu nutzen, um das Leben von Menschen in Not zu verbessern. Das Ziel von Pomelo war es, ein KI-Programm zu entwickeln, das genaue Bevölkerungskarten für einzelne Parzellen mit einer Grösse von einem Hektar oder 100 m Länge und 100 m Breite erstellen kann. Das Programm ist dank der Fülle an öffentlichen Datensätzen, auf die es zurückgreift, in der Lage, diese Präzision zu liefern.

Getestet in Tansania, Sambia und Mosambik

So kann Pomelo auf der Grundlage der offenen Daten für ein bestimmtes Gebäude die Bevölkerung in Abhängigkeit von dessen Nutzung schätzen: «In städtischen Gebieten sind die Gebäude tendenziell höher als in Vorstädten, und in Gebieten mit mehr nächtlicher Beleuchtung leben tendenziell mehr Menschen», sagt Tuia. «All diese Informationen helfen, die Bevölkerungsdichte genauer zu schätzen. Zuerst dachten wir daran, Daten aus sozialen Medien zu verwenden, aber dann wurde uns klar, dass diese Apps in Krisengebieten, insbesondere in ländlichen Gebieten, nicht weit genug verbreitet sind.»

Die Ingenieurfachleute testeten ihr Programm mit Daten aus mehreren afrikanischen Ländern, darunter Tansania, Sambia und Mosambik – Länder, in denen auch das IKRK tätig ist. Mit Pomelo erstellten sie eine Reihe digitaler Karten mit Schätzungen der Bevölkerungsdichte pro Hektar und verglichen die Ergebnisse mit Schätzungen anderer Programme. Pomelo erwies sich als präziser als andere Programme – nicht nur auf Hektar-Ebene, sondern auch in grösseren und gröberen Massstäben, auch bei niedrigen Bevölkerungsdichten (1000 – 2000 Einwohnende).

«Die Zusammenarbeit mit diesen beiden Universitäten hat es uns ermöglicht, fortschrittliche Technologien einzusetzen, für deren Entwicklung wir beim IKRK nicht unbedingt die Zeit oder die Kapazitäten gehabt hätten», sagt Ton-That Whelan, der glaubt, dass Pomelo für Planungszwecke sehr nützlich sein wird. Und das Programm kann uns nicht sagen, ob Gebäude leer stehen – aber wir haben Teams vor Ort, die uns diese Art von Informationen liefern können.» Die Forschenden planen, bis April 2023 eine einfach zu bedienende Version der Software für Nicht-Experten herauszubringen.