Ungenutzte Sonnen- und Windenergie in den Schweizer Bergen

Forschendende der EPFL und des SLF zeigen, welche Art von erneuerbarer Energie an welchen Standorten in der Schweiz installiert werden sollte, um eine maximale CO2-Neutralität und Energieunabhängigkeit des Landes zu gewährleisten.
Die neue Methode zeigt, welche erneuerbaren Energien am besten für die Schweiz geeignet sind. ©iStock

Laut einer neuen Studie ist der effektivste Weg für die Schweiz, klimaneutral und energieautark zu werden, die Installation einer Kombination aus Windturbinen und Sonnenkollektoren in den Alpenregionen. Das «optimale Szenario» der Studie schlägt vor, neue Kapazitäten in einem Verhältnis von 75 % Windkraft und 25 % Solarenergie hinzuzufügen, um die bestehenden Wasserkraftanlagen des Landes zu ergänzen. Die Studie wurde gemeinsam von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Labors für Kryosphärenwissenschaften (CRYOS) der EPFL und des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds und des Bundesamts für Energie durchgeführt. Ihre Ergebnisse wurden soeben in Environmental Research Letters veröffentlicht. «Wir wissen, dass unser optimales Szenario provokativ ist, aber wir wollten eine vollständige Strategie entwerfen und den effektivsten Weg vorschlagen, auch wenn er radikal erscheint», sagt Jérôme Dujardin, Hauptautor der Studie und Doktorand in Umweltwissenschaften und -technik am CRYOS. «Die politischen Entscheidungstragenden werden sich sicherlich für einen Mittelweg zwischen unserem optimalen Szenario und dem Status quo entscheiden.»

Die Vorteile der Schweiz im Bereich der erneuerbaren Energien

Die Studie verwendet eine neue Methode, um zu bestimmen, welche Art von erneuerbarer Energie für bestimmte Regionen am besten geeignet ist. Dabei werden die Topografie, das Mikroklima, das Speicherpotenzial von Wasserkraft und die Möglichkeit des Stromhandels mit den Nachbarländern berücksichtigt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stützten ihre Berechnungen auf meteorologische Daten (z. B. Windgeschwindigkeit und Sonneneinstrahlung) sowie Satellitendaten und berücksichtigten die aktuelle Wasserkraftinfrastruktur der Schweiz.

Um ihre Empfehlungen zu entwickeln, führten sie eine granulare Analyse der Schweizer Landschaft durch und konfigurierten ihr Modell so, dass ein Abstand von mindestens 500 Metern zwischen neu gebauten Windturbinen und Häusern eingehalten wird, während Gletscher, steile Hänge, Wälder und Nationalparks gemieden werden. Für Sonnenkollektoren wurde das Modell so konfiguriert, dass nördliche Ausrichtungen ausgeschlossen wurden. Die Forschenden entwarfen ihr Modell für das geplante Stromnetz der Schweiz im Jahr 2025, um sicherzustellen, dass das gesamte Stromsystem des Landes funktionsfähig bleibt.

Jura am besten für Windkraft geeignet

Die Studie zeigt, dass der Jura die Region mit dem grössten Potenzial für die Windenergieerzeugung ist, vor allem in seinen unbewohnten Gebieten. Das Modell schlägt vor, 40 % der neuen Windturbinen des Landes in dieser Region zu errichten, gefolgt von den Alpen und Voralpen. Darüber hinaus stellt die Studie fest, dass die Installation von Solarzellen auf Dächern im Flachland aufgrund der anhaltenden Bewölkung im Winter keine effektive Lösung darstellt.

Solarmodule eine gute Wahl für die Alpen

Eine weitere Erkenntnis der Wissenschaftlerinnen ist es wert, weiter untersucht zu werden: «Wir haben gesehen, dass die Installation von Sonnenkollektoren in den Alpen echte Vorteile bringen könnte, auch aus wirtschaftlicher Sicht», sagt Michael Lehning, Mitautor der Studie und ordentlicher Professor an der EPFL sowie Leiter von CRYOS: «Die Alpen bekommen im Winter viel Sonne, und die bereits vorhandene Infrastruktur für Wasserkraft könnte genutzt werden, um Solarenergie in das Hauptnetz zu übertragen. Das gilt auch für die Windenergie, deren erhebliches Potenzial in den Alpen noch weitgehend ungenutzt und aufgrund der komplexen Topographie der Berge teilweise unbekannt ist.»

Lehning glaubt, dass die Ergebnisse seines Teams die politischen Entscheidungstragenden anspornen sollten, diese Möglichkeiten zu erforschen: «Die Schweiz hat im Sommer reichlich Wasserkraft, aber das ist nicht die Jahreszeit, in der sie am meisten gebraucht wird – vor allem angesichts der wachsenden Anzahl von Menschen, die Solaranlagen auf ihren Dächern installieren. Unsere Studie zeigt, dass der Ausbau der Solarkapazitäten in den Alpen, um das Sonnenlicht im Winter einzufangen, und die Kombination mit der bereits erzeugten Wasserkraft die Energiemenge, die die Schweiz im Winter importieren muss, um etwa 80 % reduzieren könnte», sagt er.

Fallbeispiel

Die Schweiz diente als Fallbeispiel für die Forschenden, deren Methode eine «Evolutionsstrategie» verwendet, die von der natürlichen Evolution der Arten inspiriert ist. Dabei werden verschiedene Szenarien durchgespielt, um die optimale Aufteilung zwischen den verschiedenen Arten von erneuerbaren Energien zu finden. Ihr Modell ist das erste, das so viele verschiedene Variablen berücksichtigt und die beste Art der erneuerbaren Energieerzeugung für jede Region innerhalb eines Landes berechnet. Die Fähigkeit, die effektivsten Strategien zu identifizieren, um CO2-neutral zu werden, könnte ein echter Segen für politische Entscheidungstragende in der Schweiz und darüber hinaus sein.