Ein tiefer Blick ins Universum

Wie ist die Materie in unserem Universum verteilt? Und woraus besteht die mysteriöse Dunkle Energie? HIRAX, ein neues Grossteleskop bestehend aus Hunderten von kleinen Radioteleskopen, soll darauf Antworten liefern. An der Entwicklung der Anlage sind auch Physiker der ETH Zürich beteiligt.
So soll das Hirax-​Teleskop in der Karoo Halbwüste in Südafrika dereinst im Endausbau aussehen. (Bild: Cynthia Chiang / Hirax)

«Es ist ein aufregendes Projekt», erklärt Alexandre Refregier, Professor für Physik an der ETH Zürich, wenn er die futuristisch anmutende Visualisierung aus Südafrika betrachtet. Mitten in der Karoo Halbwüste, weit fernab von grösseren Siedlungen, zeigt das Bild ein Feld mit über 1000 Parabolspiegeln, die in Reih und Glied auf den gleichen Punkt ausgerichtet sind. Dabei handelt es sich nicht um ein Solarkraftwerk, wie man zunächst denken könnte, sondern um ein grosses Radioteleskop, das den Kosmologinnen und Kosmologen in den nächsten Jahren neue Einsichten über die Struktur und die Geschichte unseres Universums liefern soll.

Wasserstoff als Schlüsselelement

Mit dem Hirax-Projekt – das Akronym steht für «Hydrogen Intensity and Real-time Analysis Experiment» – öffnet sich ein neues Kapitel bei der Erkundung des Weltalls. Das neue Grossteleskop wird Radiosignale im Frequenzbereich von 400 bis 800 MHz aufzeichnen. Anhand dieser Signale wird es möglich sein, die Verteilung von Wasserstoff im Universum grossräumig zu vermessen. «Wenn wir anhand des Wasserstoffs, dem häufigsten Element im Universum, erfahren, wie die Materie im Weltall verteilt ist, können wir daraus Rückschlüsse ziehen, aus was die Dunkle Materie und die Dunkle Energie bestehen», erklärt Refregier.

Bei der Dunklen Energie und der Dunklen Materie handelt es sich um zwei mysteriöse Komponenten, welche den weitaus grössten Teil des Universums ausmachen.  Diese spielen eine dominante Rolle bei der Bildung von Strukturen und der beschleunigten Ausdehnung des Universums. Aus was genau diese beiden Komponenten bestehen, darüber rätselt die Fachwelt allerdings noch immer. Hirax soll nun helfen, die Natur dieser beiden Komponenten genauer einzugrenzen. Gleichzeitig hoffen die Forschenden, dass sie mit der neuen Anlage auch Erkenntnisse über blitzartige Radiosignale und Pulsare erhalten werden.

Hunderte Einzelsignale verbinden

Refregier wird sich mit seiner Gruppe aber nicht nur an der wissenschaftlichen Auswertung der Daten beteiligen, sondern er engagiert sich mit seinem Postdoc Devin Crichton und dem Ingenieur Thierry Viant auch an der Entwicklung der neuen Anlage. «Hirax ist nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht ein bemerkenswertes Vorhaben, sondern es ist auch eine grosse technologische Herausforderung», erklärt er. Die ETH-Forschenden entwickeln in ihrem Teilprojekt zusammen mit Wissenschaftlern der Universität Genf einen sogenannten digitalen Korrelator, der die Signale der einzelnen rund 6 Meter grossen Teleskope miteinander verbindet. «Die Hirax-Anlage besteht nicht aus einem einzelnen grossen Teleskop, sondern aus zahlreichen kleineren Radioteleskopen, die miteinander korreliert werden», erläutert Refregier. «Dies ermöglicht es uns, ein Teleskop zu bauen, das eine viel höhere Sammelfläche und Auflösung hat als Messgerät mit nur einem Parabolspiegel.»

Testläufe in der Schweiz

Die Technik des digitalen Korrektors haben die Physikerinnen und Physiker zunächst hier in der Schweiz mit einer Pilotanlage erprobt. Sie nutzen dazu die beiden historischen Radioteleskope am Standort Bleien im Kanton Aargau. Basierend darauf werden sie nun einen digitalen Korrektor entwickeln, der 256 Spiegel miteinander verbinden kann. «Das Hirax-Teleskop wird schrittweise ausgebaut, so dass wir die Technik nach und nach weiterentwickeln können», hält Refregier fest. Die notwendige Finanzierung für dieses Teilprojekt wurde vor kurzem sichergestellt.

Für den digitalen Korrelator verwenden die ETH-Physiker leistungsfähige Grafikprozessoren, die ursprünglich für Video- und Spielanwendungen entwickelt wurden. Auch bei der Kalibration gehen die Forschenden neue Wege: Um die Messsignale der einzelnen Antennen zu synchronisieren, nutzen sie ein Radiosignal, das von einer Drohne ausgesendet ist. Deren Position muss sehr genau bestimmt werden, damit das Teleskop später mit der geforderten Präzision arbeiten kann.

Ein idealer Standort

Dass das Hirax-Teleskop in der Karoo Halbwüste gebaut wird, ist kein Zufall. Es handelt sich um einen geschützten Ort, an dem es noch wenig Störsignale von Mobilfunkantennen gibt. «Es ist paradox», meint Refregier: «Auf der einen Seite profitieren wir bei der Entwicklung des Teleskops sehr stark von der Mobilfunk-Technologie. Auf der anderen Seite macht Radioastronomen genau diese Technologie das Leben schwer, weil Mobilfunkantennen in ähnlichen Frequenzbereichen senden.»

Ideal ist der Standort im Karoo auch, weil dort ein Teil des geplanten «Square Kilometre Array» zu stehen kommen wird. Das dereinst grösste Radioteleskop verbindet Anlagen in Südafrika und Australien und wird der Radioastronomie nochmals einen grossen Schub verleihen. «Im Karoo haben wir also einen Standort, der trotz der abgelegenen Position mit Strom- und Datenleitungen gut erschlossen ist», erklärt Refregier. Tatsächlich ist das Vorhaben auch in dieser Hinsicht eine Herausforderung, wird das neue Teleskop doch pro Sekunde eine Datenmenge von 6,5 Terabyte generieren. «Wir werden den digitalen Korrektor deshalb direkt vor Ort installieren, damit die Datenmenge in einem ersten Schritt reduziert werden kann, bevor sie dann andernorts weiterverarbeitet wird», meint der Refregier.

Türöffner für das nächste Grossprojekt

Nicht zuletzt ist das Hirax-Projekt, an dem sich auch zahlreiche andere Hochschulen aus verschiedenen Ländern beteiligen, aus forschungspolitischen Gründen von Bedeutung. Zum einen stärkt es die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Südafrika und ermöglicht jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von dort, hier in der Schweiz zu forschen. Zum anderen sind die Entwicklungsarbeiten für das Hirax-Projekt ein willkommener Türöffner für eine Schweizer Beteiligung am Square Kilometre Array, erklärt Refregier: «Damit können wir dazu beitragen, dass die Schweizer Hochschulen auch bei diesem zukunftsweisenden Projekt mit von der Partie sind und damit mit der Entwicklung in der Radioastronomie mithalten können.»