Der Fussabdruck im Wasser

Wie der Mensch mit Mikroplastik und tausenden Chemikalien unsere Gewässer belastet.
Mikroplastikpartikel entstehen durch Zerfall oder Zersetzung grösserer Plastikteile. (Bild: Adobe Stock)

Auf dem Zürichsee vor dem Bellevue dümpelt eine Plastik-Sandwichverpackung. Sie wird von der Strömung der Limmat erfasst und treibt flussabwärts. Am Ufer der Werd-Insel strandet sie. Dem Sonnenlicht ausgesetzt, zerfällt sie in immer kleinere Stücke, die der nächste Regen wieder dem Fluss zuführt. Zwischen den Kieselsteinen am Grund der Limmat werden die Fragmente weiter zerrieben – bis man sie mit blossem Auge kaum mehr sieht: Aus der Sandwichverpackung ist Mikroplastik geworden.

Mikroplastik, also Plastikteilchen, die kleiner als fünf Millimeter gross sind, ist mittlerweile überall auffindbar: «In Bergseen, in Quellwasser, selbst in entfernten Winkeln der Weltmeere sind die winzigen Kunststoffpartikel allgegenwärtig», sagt Denise Mitrano. Die Professorin für Umweltchemie von Anthropogenem Material der ETH Zürich erforscht, woher Mikroplastik stammt, wie es sich in der Umwelt verhält – und ob es eine Gefahr für Wasserorganismen darstellt.

Mikroplastik stammt nicht nur aus achtlos weggeworfenem Plastikabfall. Auch Reifenabrieb, Textilfasern und Körperpflegeprodukte wie Duschgels oder Zahnpasta mit Plastikpartikeln als Scheuermittel leisten der Verschmutzung mit Mikroplastik Vorschub.

Gesamter Nährstoffkreislauf

Wie gefährlich die Partikel für Umwelt, Mensch und Tier sind, ist Gegenstand aktueller Forschung. Denn eine der Schwierigkeiten ist, Mikroplastik mengenmässig zu erfassen. Denise Mitrano und ihre Mitarbeitenden haben deshalb eine neue Analysemethode entwickelt. Kern der Methode ist ein Polymer, dem ein Metall beigemengt wird. Der Kunststoff wird danach zu Mikro- und Nanoplastik, das sogar kleiner als ein Mikrometer ist, zerrieben. In Wasser-, Boden- oder Gewebeproben lässt sich dann anhand des Metalls in den Polymerpartikeln die Menge des Mikroplastiks messen. So können die Forschenden Transport und Verbleib der Plastikteilchen in der Umwelt und durch Organismen erforschen.

«In Bergseen, in Quellwasser, selbst in entfernten Winkeln der Weltmeere sind die winzigen Kunststoffpartikel allgegenwärtig.»      Denise Mitrano

Die Professorin hat unter anderem untersucht, ob Nanoplastik Daphnien (Wasserflöhe) schädigt. Diese Krebstierchen filtrieren Planktonnahrung aus dem Wasser und nehmen so auch Plastikpartikel auf. Die Untersuchung zeigt aber «nur», dass Daphnien tatsächlich Nanoplastik aufnehmen, aber auch unbeschadet wieder ausscheiden. Weder Wachstum noch Fortpflanzung scheinen sich zu verändern. Erst nach ein paar Generationen zeigen sich Einschränkungen im Energiestoffwechsel der Tierchen.

Auch bei Fischen konnte die Forscherin nachweisen, dass Nanoplastik die Darmschranke passiert und ins Muskelfleisch der Tiere gelangt. «Die Fische starben jedoch nicht daran. Akut toxisch sind die Teilchen also eher nicht», fasst Mitrano zusammen.

Dennoch kann und will sie keine Entwarnung geben. Die Plastikteilchen verklumpen sich nämlich im Süss- und Meerwasser mit planktonisch lebenden Algen. Dies erhöht die Sedimentationsrate der Algen. Auf diese Weise können Plastikteilchen den gesamten Nährstoffkreislauf eines Gewässers beeinflussen – ein unterschätzter indirekter Effekt der Verschmutzung. «Die bisherige Mikroplastikforschung konzentrierte sich stark auf direkte Effekte. Wir sollten jedoch unsere Forschungsanstrengungen ausweiten, um auch negative Auswirkungen auf der Ökosystem-Ebene zu bewerten und den ökologischen Standpunkt zu untersuchen», gibt die Umweltchemikerin zu bedenken.

Eine weitere indirekte Folge: Mikroplastik kann Schadstoffe freisetzen. Polymeren werden hunderte Zusatzstoffe beigemischt, um gewünschte Eigenschaften zu erzielen. «Eine wichtige Frage ist deshalb, was wirklich schädlich ist: die Polymere selbst, Form und Grösse des Mikroplastiks – oder die Zusätze, die aus den Polymeren austreten?», fragt Denise Mitrano.

Abertausende Chemikalien

Substanzen, die aus Mikroplastik entweichen, sind bei weitem nicht die einzigen Chemikalien im Wasser. Die chemische Industrie hat in den vergangenen Jahrzehnten hunderttausende Verbindungen geschaffen. Jedes Jahr werden allein in Europa 26 000 neue Substanzen in Mengen von mindestens einer Tonne in Verkehr gebracht. Was damit geschieht, ist in den meisten Fällen unklar.

«Bis die Behörden basierend auf wissenschaftlichen Studien Regulatorien erlassen oder gar Verbote aussprechen, vergehen 30 bis 40 Jahre.»      Kristopher McNeill

Mit solchen Fragestellungen beschäftigt sich seit langem der ETH-Umweltchemiker Kris McNeill. In seiner Forschung untersucht er, wie sich künstliche organische Moleküle, insbesondere Medikamentenwirkstoffe, als Gifte in der Umwelt verhalten und wie sie abgebaut werden. «Medikamente, Kosmetika, Pestizide und Düngemittel – alles, was wir täglich anwenden, endet irgendwann in Flüssen und Seen», sagt der Professor für Umweltchemie der ETH Zürich.

Wie der antimikrobielle Wirkstoff Triclosan beispielsweise. Er wurde in den USA zuerst in Handdesinfektionsmitteln in Krankenhäusern eingesetzt, in den 1970er-Jahren aber auch auf zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs ausgeweitet. Anfang 2000 waren in den USA 95 Prozent aller Flüssighandseifen mit Triclosan versetzt. Später realisierte man, wie unnötig dieser Zusatz war.

McNeill und sein Kollege William Arnold konnten nachweisen, dass Sonnenlicht Triclosan im Abwasser in ein gefährliches Zerfallsprodukt zerlegt: in Dioxin. «Sonnenlicht kann viele Schadstoffe unschädlich machen. Hier aber erhielt man etwas viel Schlimmeres», so McNeill. Der Bundesstaat Minnesota, wo sie dies erforschten, war der erste, der Triclosan in Konsumgütern verbot. 2016 beschloss die Food and Drug Administration (FDA), Triclosan und weitere antimikrobielle Wirkstoffe aus bestimmten Produkten zu verbannen. Einer der seltenen Triumphe für den Umweltchemiker: «Ich mag den Gedanken, dass unsere Resultate dabei eine wichtige Rolle gespielt haben.»

Dieser Fall zeigt exemplarisch auf: Die Umweltchemie hinkt der chemischen Industrie hinterher. Erst erfindet sie neue Substanzen, die rasch im grossen Massstab vertrieben und angewendet werden. Jahre später finden Umweltchemiker wie Kris McNeill heraus, dass die Chemikalien der Umwelt, dem Menschen und den Tieren schaden. «Bis die Behörden basierend auf wissenschaftlichen Studien Regulatorien erlassen oder gar Verbote aussprechen, vergehen 30 bis 40 Jahre», erklärt der Forscher. Er fordert deshalb, dass der Prozess umgekehrt wird: erst die umweltchemischen Abklärungen, dann die Anwendung der Chemikalien. «Nur so können wir als Gesellschaft vermeiden, dass sich die Tragödien von Triclosan und all den anderen Umweltgiften wie der Industriechemikalie PCB oder dem Insektizid DDT nicht ständig wiederholen», betont McNeill.