Die Entfernung der Sterne an ihrer Melodie erkennen

Ein Team von Astronomiefachleuten hat mit Hilfe der Asteroseismologie, d. h. der Untersuchung von Sternschwingungen, die Entfernung von Sternen zur Erde genau gemessen. Die Forschenden untersuchten Tausende von Sternen und überprüften die Messungen, die im Rahmen der Gaia-Mission zur Erforschung des nahen Universums durchgeführt wurden.
Der Gaia-Satellit öffnet ein Fenster zum nahen Universum und liefert astronomische Messungen von fast zwei Milliarden Sternen. ©ESA

Für die meisten von uns scheinen die unzähligen hellen Flecken am nächtlichen Himmel allesamt Sterne zu sein. Tatsächlich handelt es sich bei einigen dieser Flecken aber um Planeten, ferne Sonnen oder sogar ganze Galaxien, die Milliarden von Lichtjahren entfernt sind. Was genau man sieht, hängt davon ab, wie weit es von der Erde entfernt ist. Deshalb ist die Messung der genauen Entfernung zu Himmelsobjekten ein so wichtiges Ziel für Astronominnen und Astronomen – und eine der grössten Herausforderungen, die sie derzeit angehen.

Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Weltraumorganisation (ESA) vor zehn Jahren die Gaia-Mission gestartet. Die vom Gaia-Satelliten gesammelten Daten öffnen ein Fenster zum nahen Universum und liefern astronomische Messungen – wie Position, Entfernung von der Erde und Bewegung – von fast zwei Milliarden Sternen.

Die Forschungsgruppe «Standard candles and distances» unter der Leitung von Prof. Richard Anderson an der EPFL hat sich zum Ziel gesetzt, die gegenwärtige Expansion des Universums zu messen, und sieht Gaia als wertvolles Instrument: «Gaia hat die Zahl der Sterne, deren Parallaxen gemessen werden, um den Faktor 10 000 erhöht, dank einer massiven Verbesserung der Genauigkeit gegenüber der Vorgängermission Hipparcos der ESA», sagt er. Heute verwenden Forschende Parallaxen, um die Entfernung von Sternen zu berechnen. Bei dieser Methode werden die Parallaxenwinkel mit Hilfe des Satelliten durch eine Art Triangulation zwischen dem Standort von Gaia im Weltraum, der Sonne und dem betreffenden Stern gemessen. Je weiter ein Stern entfernt ist, desto schwieriger wird die Messung, da die Parallaxe mit zunehmender Entfernung kleiner wird.

Forschende nutzen Parallaxen, um die Entfernung zu den Sternen zu messen.©ESA

Trotz des durchschlagenden Erfolgs von Gaia ist die Messung der Parallaxe komplex, und es gibt weiterhin kleine systematische Effekte, die überprüft und korrigiert werden müssen, damit die Gaia-Parallaxen ihr volles Potenzial entfalten können. Daran haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL und der Universität Bologna in Italien gearbeitet, indem sie Berechnungen an über 12 000 oszillierenden roten Riesensternen durchgeführt haben – die bisher grösste Stichprobe und genaueste Messung.

«Wir haben die Gaia-Verzerrungen gemessen, indem wir die vom Satelliten gemeldeten Parallaxen mit den Parallaxen derselben Sterne verglichen haben, die wir mit Hilfe der Asteroseismologie bestimmt haben», sagt Saniya Khan, Wissenschaftlerin in Andersons Forschungsgruppe und Hauptautorin einer heute in Astronomy & Astrophysics veröffentlichten Studie.

Stellare Erdbeben

So wie Geologen die Struktur der Erde anhand von Erdbeben untersuchen, nutzen Astronominnen die Asteroseismologie, insbesondere die Vibrationen und Schwingungen von Sternen, um Informationen über deren physikalische Eigenschaften zu erhalten. Stellare Schwingungen werden als winzige Schwankungen der Lichtintensität gemessen und in Schallwellen übersetzt, woraus sich ein Frequenzspektrum dieser Schwingungen ergibt.

«Anhand des Frequenzspektrums können wir feststellen, wie weit ein Stern entfernt ist, und so asteroseismische Parallaxen ermitteln», sagt Khan, «in unserer Studie haben wir der ‹Melodie› einer grossen Anzahl von Sternen gelauscht – einige von ihnen waren 15 000 Lichtjahre entfernt!»

Künstlerische Darstellung, die zeigt, wie sich einzelne Schallwellen im Inneren von Sternen wie der Sonne ausbreiten. Einige breiten sich entlang der Oberflächenschichten aus, während andere direkt durch das Zentrum des Sterns laufen. ©ESA

Um den Schall in Entfernungsmessungen umzuwandeln, ging das Forschungsteam von einer einfachen Tatsache aus. Die Geschwindigkeit, mit der sich Schallwellen im Weltraum ausbreiten, hängt von der Temperatur und der Dichte im Inneren des Sterns ab. «Durch die Analyse des Frequenzspektrums stellarer Schwingungen können wir die Grösse eines Sterns abschätzen, ähnlich wie man die Grösse eines Musikinstruments durch die Art des Klangs, den es erzeugt, bestimmen kann – man denke nur an den Unterschied in der Tonhöhe zwischen einem Violon und einem Cello», sagt Andrea Miglio, ordentlicher Professor an der Fakultät für Physik und Astronomie der Universität Bologna und dritter Autor der Studie.

Anspruchsvolle Analysen

Nachdem die Astronominnen und Astronomen die Grösse des Sterns berechnet hatten, bestimmten sie seine Leuchtkraft und verglichen diese mit der auf der Erde wahrgenommenen Leuchtkraft. Diese Informationen verknüpften sie mit den aus der Spektroskopie gewonnenen Werten für die Temperatur und die chemische Zusammensetzung und liessen diese Daten durch ausgeklügelte Analysen laufen, um die Entfernung des Sterns zu berechnen. Schliesslich verglichen sie die auf diese Weise gewonnenen Parallaxen mit den von Gaia gemeldeten, um die Genauigkeit der Messungen des Satelliten zu überprüfen.

«Die Asteroseismologie ist die einzige Möglichkeit, die Genauigkeit der Parallaxen von Gaia über den gesamten Himmel hinweg zu überprüfen, d. h. sowohl für Sterne mit geringer als auch mit hoher Intensität», sagt Anderson. Und die Zukunft in diesem Bereich ist vielversprechend, wie Khan erläutert:

«Zukünftige Weltraummissionen wie TESS und PLATO, die Exoplaneten aufspüren und vermessen sollen, werden die Asteroseismologie einsetzen und die erforderlichen Datensätze für immer grössere Himmelsregionen liefern. Methoden, die den unseren ähneln, werden daher eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Parallaxenmessungen von Gaia spielen, die uns dabei helfen werden, unseren Platz im Universum zu bestimmen, und von denen eine Vielzahl von Teilbereichen der Astronomie und Astrophysik profitieren wird.»