Eintauchen in die natürlichen Flecken des Genfersees

Ein EPFL-Forscher hat zum ersten Mal «Wasserflecken» – diese visuell auffälligen, sich bewegenden Flecken aus glattem Wasser – dokumentiert und erklärt, was unter der Oberfläche passiert.
Der unbemannte, GPS-gesteuerte Katamaran, der zur Beobachtung des Sees eingesetzt wird. © Alain Herzog / EPFL

Natürliche Wasserflecken sind ein mysteriöses und faszinierendes Phänomen für alle, die gerne auf den Genfersee blicken, darunter Passanten, Pendlerinnen – und jetzt auch lokale Forschende: «Wenn man im Internet nach Informationen darüber sucht, findet man nicht viel», sagt Andrew Barry, Leiter des Ecological Engineering Laboratory (ECOL) an der EPFL-Fakultät für Bau, Architektur und Umwelt (ENAC). Mehrshad Foroughan, Doktorand am ECOL, war neugierig auf natürliche Flecken und widmete seine Doktorarbeit diesem Thema. Einige seiner Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters veröffentlicht und stellen die erste dokumentierte Studie darüber dar, was solche Flecken über die Hydrodynamik von Seen verraten können.

Gemälde von Ferdinand Hodler, «Genfersee am Abend von Chexbres aus», 1895. Ferdinand Hodler

Der Schweizer Maler Ferdinand Hodler hat das zarte Spiel des Lichts auf den glatten Oberflächen des Sees und ihre charakteristische Textur gekonnt eingefangen: «Natürliche Wasserflecken und die Materialien, aus denen sie bestehen, spielen eine wichtige Rolle für den Energietransfer zwischen Wasser und Luft und damit für den Energiegehalt des Sees», sagt Foroughan. Er und seine Kolleginnen und Kollegen am ECOL untersuchen die physikalischen Prozesse im See, von den tiefen Schichten bis zur Oberfläche, und konzentrieren sich dabei auf die Mechanismen des Energie- und Materialtransports auf verschiedenen Skalen und ihre biogeochemischen Auswirkungen. Der Genfersee ist in der Tat ein ideales Freiluftlabor, um die zahlreichen Phänomene zu untersuchen, die grosse Wasserkörper beeinflussen.

Der Genfersee ist 309 Meter tief und weisst grosse und kleine Wirbel auf, die durch Windereignisse ausgelöst und durch die Erdrotation beeinflusst werden. Starke Winde können auch ein Phänomen auslösen, das als Küstenauftrieb bekannt ist: die Bewegung von kaltem Wasser aus tieferen Schichten an die Wasseroberfläche entlang einiger Seeufer. Die kombinierten Auswirkungen dieser Prozesse üben einen grossen Einfluss auf die Hydrodynamik der Seen aus, was sich in den natürlichen Wasserflecken zeigt. Daher beschloss Foroughan, im Rahmen seiner Doktorarbeit zu untersuchen, ob diese glatten Flächen Informationen über die Oberflächenwasserströme liefern können.

Mehrshad Foroughan setzte eine Reihe von Messinstrumenten ein, einschliesslich eines unbemannten, GPS-gesteuerten Katamarans. © Alain Herzog

Foroughan setzte eine Reihe von Messinstrumenten ein, um Daten zu sammeln, die durch eine detaillierte hydrodynamische Modellierung unterstützt wurden. Neben der Analyse von Luft- und Wassergeschwindigkeiten und -temperaturen nahm er auch Wasserproben und analysierte Bilder des Sees aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Bilder wurden mit Kameras aufgenommen, die an Stationen im Lavaux und in der Nähe des Rhoneausflusses installiert waren und einen weiten Blick ermöglichten, sowie mit Kameras auf einem unbemannten, GPS-gesteuerten Katamaran, der Bilder von der Wasseroberfläche aufnahm. Das ECOL-Team sammelte alle Daten in Echtzeit von einem zweiten Boot aus, das auch einen 400 m hohen Heliumballon mit einer weiteren Kamera aufsteigen liess.

Bei leichtem Wind kann die zufällige Beobachterin des Sees feststellen, dass bestimmte Bereiche der Wasseroberfläche rau werden, während andere glatt bleiben. Die rauen Bereiche werden durch vom Wind erzeugte Oberflächenwellen verursacht, während die glatten Bereiche, die an Spiegel erinnern, dieser Wellenbildung standhalten können. Durch die Analyse der Zusammensetzung des Oberflächenwassers in diesen beiden Bereichen hat Foroughan herausgefunden, warum sie sich so unterschiedlich verhalten: Die glatten Bereiche weisen eine höhere Konzentration von Biotensiden auf, d. h. von Oberflächenstoffen, die entweder durch die biologische Aktivität des Phytoplanktons entstehen oder aus terrestrischen Quellen stammen.

Ein 10 km langer Frontalschleier

Am 30. September 2020 zwischen 14.00 und 16.30 Uhr filmte die Kamera des Lavaux mit Blick auf den Genfersee die Bildung einer stationären, rund 10 km langen Frontfläche, die sich vom Nordufer des Sees in Richtung Südufer erstreckt. Im Zeitraffer zeigt dieses faszinierende Video, wie mehrere sich schnell bewegende kleine glatte Flächen allmählich zusammenkommen und in den Hauptflecken münden. «Diese grosse Spiegel-Formation wird im Allgemeinen erwartet, wenn auf starke Winde eine leichte Brise folgt, meist in den wärmeren Jahreszeiten», sagt Foroughan, «aber wir hatten auch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Ausrüstung zu sein.»

Starke Winde traten bereits mehrere Tage vor der Entstehung der Frontfläche auf. Am Tag der Beobachtung traf eine Kaltwasserströmung, die durch Winde aus dem Nordwesten transportiert wurde, auf warmes Wasser in einem grossen Wirbel im östlichen Teil des Sees. Das kalte Wasser, das kleine, sich schnell bewegende Flecken mit sich führte, sank unter das wärmere Wasser und hinterliess Biotenside, die nicht absinken konnten und nach und nach in dem grösseren, stationären Wasserflecken verschmolzen.

Ein weiteres Instrument zur Bewirtschaftung der Wasserressourcen

Die Messungen des ECOL-Teams haben bewiesen, dass natürliche Wasserflecken wichtige hydrodynamische Merkmale in einem grossen See erfassen können. In diesem Fall bildet der grosse Flecken die Grenze zwischen zwei Wirbeln ab und zeigt die Komplexität der Oberflächenwasserbewegung. «Die Dokumentation der Entstehung und Entwicklung natürlicher Flecken ist wichtig, weil sie die Interaktion mehrerer kritischer physikalischer Prozesse im See veranschaulichen. Diese Informationen können genutzt werden, um die Wasserressourcen effektiver zu bewirtschaften und herauszufinden, wo sich möglicherweise Schadstoffe verstecken», sagt Foroughan, «Schadstoffe wie Mikroplastik finden sich in der Regel in höheren Konzentrationen in glatten Flächen, die bereits grosse Mengen an Biotensiden enthalten.»