Innovative Arthritisbehandlung kombiniert Wärme mit Bewegung

EPFL-Ingenieurfachleute haben herausgefunden, dass eine Erhöhung der Knorpeltemperatur im Knie bei körperlicher Anstrengung die Degeneration des Knorpels verhindern könnte.
Naser Nasrollahzadeh und Dominique Pioletti © Alain Herzog 2022 EPFL

«Gegenwärtig gibt es keine Behandlung für Kniearthrose; wir können nur eine palliative Behandlung anbieten, um die Symptome zu lindern», sagt Prof. Dominique Pioletti, Leiter des Labors für biomechanische Orthopädie an der EPFL Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie. Pioletti beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Knorpelproblemen. Er und Naser Nasrollahzadeh, der zu diesem Thema promovierte, haben vor kurzem gezeigt, dass es möglich ist, die ersten Anzeichen von Arthrose zu verlangsamen oder sogar zu verhindern, indem man während der Physiotherapie Wärme direkt auf das Knie aufbringt. Diese Entdeckung ist das Ergebnis von mehr als acht Jahren Forschung und drei Dissertationsprojekten. Die jüngsten Ergebnisse wurden in der Zeitschrift eLife veröffentlicht.1

Die Knorpeltemperatur steigt bei körperlicher Aktivität

Der Knorpel wirkt als Stossdämpfer zwischen den Knochen in unseren Gelenken. Im Laufe der Zeit verliert der Knorpel im Knie seine Fähigkeit, Stösse abzufangen: «Die Faktoren, die eine Arthritis auslösen, sind noch nicht vollständig geklärt, aber wenn der Prozess der Knorpeldegeneration einmal begonnen hat, kann er nicht mehr rückgängig gemacht werden und führt schliesslich zu Schmerzen im verletzten Knie», sagt Pioletti. «Wir wollten untersuchen, wie der Knorpel aus biomechanischer Sicht funktioniert, um Wege zu finden, die Gewebezellen vor Erschütterungen zu schützen und die ursprünglichen Eigenschaften des geschädigten Knorpels wiederherzustellen». 2

In ihrer Forschung fanden die Ingenieure heraus, dass die Kombination einer Temperaturerhöhung mit einer mechanischen Stimulation des Knorpels die Produktion von Zellgewebe fördert und die Integrität des Knorpels bewahrt: «Knorpel enthält keine Blutgefässe und neigt daher dazu, Wärme zu speichern, wenn wir gehen oder laufen», sagt Pioletti. Durch den Wärmestau im Knorpel steigt die Temperatur von 32 °C im Ruhezustand des Knies auf 37 °C nach körperlicher Anstrengung.

In-vitro-Versuche

Die Doktorierenden, die in Piolettis Labor arbeiten, stellten sich freiwillig als Versuchskaninchen für die ersten Experimente zur Verfügung. Ihre Knie wurden im Ruhezustand gescannt und dann erneut, nachdem sie acht Treppenstufen hinaufgestiegen waren. Die Ergebnisse zeigten, dass die Temperatur des Knorpels ansteigt, wenn er einer Belastung ausgesetzt ist.3

Die Ingenieurfachleute versuchten daraufhin, diese Ergebnisse im Labor zu reproduzieren: «Wir wollten sehen, was mit den Knorpelzellen passiert, wenn ein Temperaturanstieg in Verbindung mit körperlicher Aktivität auftritt», sagt Pioletti. Er und sein Team entwickelten einen Bioreaktor, in den sie Proben mit Knorpelzellen aus In-vitro-Kulturen gaben. Sobald die mechanischen und thermischen Effekte kombiniert wurden, konnten wir feststellen, dass die Knorpelzellen dazu neigten, grössere Mengen an Genen zu exprimieren, die mit der Erhaltung des Knorpels zusammenhängen», sagt Pioletti.

Beendigung des Teufelskreises

Die Entdeckung der Ingenieure könnte Menschen, die an frühzeitiger Arthritis leiden, Hoffnung geben. Wenn der Knorpel zu degenerieren beginnt, verliert er seine Fähigkeit, Wärme zu speichern, wodurch die Temperatur des Gewebes nicht mehr ansteigen kann. Und ohne Temperaturerhöhung funktionieren die Knorpelzellen nicht mehr optimal: «Es ist ein Teufelskreis», sagt Pioletti, «einmal in Gang gesetzt, lässt er sich nicht mehr aufhalten und der Knorpel degeneriert weiter. Wenn es uns jedoch gelingt, den Knorpel durch körperliche Anstrengung zu erwärmen, könnten wir die Zellen dazu anregen, wieder Knorpelgewebe zu produzieren und schliesslich das Fortschreiten der Knorpeldegeneration umzukehren». Innerhalb der nächsten drei Jahre sollten die Ingenieurfachleute in der Lage sein, zu bestätigen, ob es einen Zusammenhang zwischen Knorpelbildung, Temperatur und mechanischer Belastung gibt. Sie planen, eine Kombination aus physikalischer Therapie und lokaler Erwärmung des Knies an Patienten mit früher Arthritis zu testen.

Tierversuchsfreie Forschung

Die Ingenieure in Piolettis Labor haben sich gegen Tierversuche entschieden: «Die Verwendung von Tieren wäre für unsere Studie nicht praktikabel gewesen, vor allem weil Tiere eine andere Körpertemperatur haben als Menschen», sagt Pioletti. In einem nächsten Schritt wird die qualitative Entwicklung des Knorpels bei Patienten untersucht, die sich der neuen physiotherapeutischen Behandlung unterzogen haben.