Wie ein Lernender mit «erfundenen» Elektronen Zeit für die Forschung gewinnt

Das passiert nicht oft: Ein Elektronik-Lernender der ETH hat in seiner Abschlussarbeit ein Testgerät angefertigt, dank dem Physiker:innen bei der Entwicklung eines neuartigen Mikroskops viel Zeit einsparen können. Seine Arbeit ist in einer Wissenschaftszeitschrift veröffentlicht worden.
Mit dem Testsignalgenerator, den Jingo Bozzini gebaut hat, können die Forschenden viel Zeit bei der Entwicklung des neuartigen Mikroskops einsparen. (Bild: Fabio Merino)

Mit viel Fingerspitzengefühl und Konzentration lötet der Elektroniker Jingo Bozzini die winzigen Beinchen eines Chips auf die grüne Platine. «Löten ist nicht meine Stärke», schmunzelt er. Viel mehr liegt ihm das Programmieren der Schaltung auf dem Chip. Dies stand auch im Fokus seines Lehrabschlusses im vergangenen Jahr. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit (sog. individuelle praktische Arbeit IPA) entwickelte er gemeinsam mit Yves Acremann aus der Forschungsgruppe für Festkörperphysik einen Testsignalgenerator, der Experimentdaten simuliert. So unscheinbar dieses silberne Kästchen aussieht, so wertvoll ist es für den Aufbau eines neuartigen Mikroskops, mit dem die Forschenden einzelne Elektronen beobachten können.

«Fotografieren» mit Röntgenblitzen

Am Bau des richtungsweisenden Instruments sind neben der ETH Zürich weitere Universitäten der ganzen Welt beteiligt. Das sogenannte «k-microscope» wird nach seiner Fertigstellung an den Freie-Elektronen-Laser LCLS-II, einen Teilchenbeschleuniger in Stanford, angeschlossen. Dieser bewegt die Elektronen in einem Slalomkurs, sodass sie starke Röntgenblitze aussenden. Die Röntgenstrahlen werden dann auf eine Probe im Mikroskop gerichtet, wodurch sich Elektronen aus der Probe lösen. Ein Detektor am Ende des Mikroskops fängt die abgegebenen Elektronen auf und berechnet deren Austrittswinkel und Flugzeit. Anhand der Daten können die Forschende mehr über die elektronischen Eigenschaften einer Probe, zum Beispiel von neuen Halbleitern, erfahren. Mit den superschnellen Blitzen lassen sich zudem dynamische Vorgänge wie eine chemische Reaktion beobachten.

«Der Testsignalgenerator simuliert die auf dem Detektor auftreffenden Elektronen», erklärt Physiker Acremann. «Er kann bequem in einem Büro an die Detektorelektronik angeschlossen werden, um die Software für das Mikroskop zu programmieren.» Bozzinis Simulator ermöglicht es den Forschenden die Software bereits während des Aufbaus des Mikroskops zu entwickeln. Er erspart ihnen dadurch viel Zeit und Geld, weil die Software bereits voll einsatzfähig ist, wenn die Forschenden das Mikroskop an den Teilchenbeschleuniger anschliessen.

In die Forschungsgruppe integriert

Für die IPA müssen die Lehrlinge ebenfalls einen detaillierten Zeitplan erstellen. «Das Testen des Generators und die Dokumentation der Arbeit haben länger gedauert als geplant», erzählt Bozzini. Dies vor allem, weil er seine Arbeit – wie in der Forschung üblich – im Programm «LaTeX» und in Englisch verfasst habe. Nicht nur das macht Bozzinis Arbeit aussergewöhnlich: «Diese Abschlussarbeit geht weit über die grundlegenden Fähigkeiten eines Elektronikers hinaus», sagt Acremann. Im Januar konnte Bozzini sogar ein wissenschaftliches Paper über den Testsignalgenerator im «Journal of Instrumentation» veröffentlichen – eine nicht alltägliche Leistung für einen Lernenden.

Als Lernender war Bozzini voll in die Forschungsgruppe integriert. «Ich konnte mit dem Paper zum Output der Gruppe beitragen», erzählt er. Die enge Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Lernenden zeichnet die Berufsbildung der ETH aus. Die angehenden Elektroniker:innen verbringen die ersten beiden Jahre ihrer Ausbildung im Elektronik-Lehrlabor, wo sie grundlegende Kenntnisse der Schaltungstechnik, Fertigungs- und Messtechniken sowie Programmieren erlernen. Die nächsten zwei Jahre nehmen sie einen Ausbildungsplatz innerhalb der ETH – beispielsweise in einem Forschungslabor – ein. «Gerade in der Experimentalphysik ist es wichtig, dass wir Fachleute haben, die technische Probleme lösen und effektiv Dinge umsetzen können», erklärt Acremann.

Dass er mit seiner Abschlussarbeit einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung geleistet hat, findet Bozzini zwar cool, doch er bleibt bescheiden: «Das ist meine Arbeit und dafür werde ich bezahlt», sagt er. Ob er in Zukunft selbst in die Forschung möchte, weiss er noch nicht. Zurzeit absolviert er die einjährige Vollzeit-Berufsmatura. An seinen erfolgreichen Lehrabschluss an der ETH erinnert er sich gerne zurück: Nach der IPA durfte er mit Acremann nach Hamburg reisen, wo das Mikroskop derzeit aufgebaut wird. «Das war eine aufregende Erfahrung für mich. Da habe ich gesehen, dass meine Arbeit tatsächlich einen Beitrag zur Grundlagenforschung leisten kann», erzählt er freudig.

Literaturhinweis

Bozzini, J, Acremann, Y. Test signal generator for simulating electron events from a momentum microscope. Journal of Instrumentation, Volume 18, January 2023: DOI: 10.1088/1748-0221/18/01/P01014