Viel mehr als bunt

Farben können auf ganz unterschiedliche Weisen entstehen. Doch Farbenreichtum ist nicht einfach nur schön anzusehen, Farben können auch eine wichtige Funktion haben.
ETH-​Forschende haben in die Oberfläche der Schokolade ein Profil eingeprägt, das die einfallenden Lichtstrahlen in seine Spektralfarben aufspaltet. Die Schokolade schimmert in den schönsten Regenbogenfarben – und dies ganz ohne Zusatzstoffe. (Bild: ETH Zürich / Giulia Marthaler)

«Warum Schokolade braun ist, ähnelt der Frage, warum der Himmel blau ist», sagt Ralph Spolenak. Er ist Professor für Nanometallurgie am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich. Es sind Partikel – im Fall der Schokolade jene des Kakaopulvers, in der Atmosphäre die Luftmoleküle –, die das Licht so streuen, dass letztlich nur der braune beziehungsweise blaue Anteil in unseren Augen landet. Die Partikel bestimmen auch die Intensität der Farbe. Je mehr Kakao in der Schokolade ist, desto stärker wird sein Einfluss auf die Streuung der einfallenden Lichtstrahlen und desto dunkler die Schokolade.

Henning Galinski, Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Spolenak, hat sich der Wissenschaft der Schokolade angenommen: «Wir haben die Schokolade als optisches Material betrachtet und uns gefragt, ob es möglich ist, Schokolade ohne Beigabe zusätzlicher Stoffe zu färben.» Dabei hat der Physiker intensiv mit den ETH-Forschungsgruppen für Komplexe Materialien und für Lebensmittelverfahrenstechnik sowie mit der Fachhochschule Nordwestschweiz zusammenbearbeitet.

Zunächst hat sich das Team neben der Lichtstreuung auch die Lichtreflexion angeschaut. Beim Reflexionsprozess fällt der Lichtstrahl auf eine Oberfläche und wird im Gegensatz zur Streuung in einem fixen Winkel reflektiert. Das passiert zum Beispiel bei Metalloberflächen oder Spiegeln. «Wir haben in die Oberfläche der Schokolade ein bestimmtes Profil eingeprägt, um das reflektierte Licht an diesem optischen Gitter zu beugen», sagt Galinski. Damit spaltet das Profil die einfallenden Lichtstrahlen in seine Spektralfarben auf: Die 
Schokolade schimmert in den schönsten Regenbogenfarben – und dies ganz ohne chemische Veränderung oder zusätzliche Beschichtungen.

Von blossem Auge

«Die schillernde Schokolade ist optisch attraktiv. Aber das liegt natürlich immer im Auge des Betrachters», meint Spolenak. Doch Farben können viel mehr sein als attraktiv. Und sie können durchaus objektiv beurteilt werden. Galinski blickt zurück: «Wir hatten uns gefragt, ob wir Farben benutzen können, um Materialeigenschaften abzulesen.» Wie verändert sich beispielsweise die Härte einer Legierung, wenn sie heiss wird?

Der Wissenschaftler erzählt von einer konkreten Anwendung: Überhitzt eine Turbine bei 
einem Windrad, kann das Material Schaden nehmen. Es wird instabil. Aber Turbinen in Windparks auf offener See mit dem Hubschrauber zu überwachen, ist aufwendig und sehr teuer. «Wir haben ein System entwickelt, um mit einer einfachen optischen Messung Eigenschaftsänderungen permanent ablesen zu können», erklärt Galinski. «Wir konnten eine Änderung der Farbe direkt mit einer Härteänderung des Materials verbinden oder mit einer Änderung des elektrischen Widerstands.»

Galinski macht ein weiteres Beispiel: Gemeinsam mit der Empa haben die ETH-Wissenschaftler das Sensorkonzept auf Textilien übertragen. «Wir haben ein thermo-chromisches System auf textile Fasern aufgebracht, das hitzebedingte Materialschäden farblich signalisiert.» Das kann unter Umständen lebensrettend sein. Feuerwehrleute sind oft Situationen ausgesetzt, die sehr kritisch sind. Überhitzt ein Material wie ein Seil oder Kleidungsstück wegen Feuer oder starker Reibung, wird seine Funktion beeinträchtigt. Die Änderung der Farbe signalisiert den Schaden und warnt vor dem weiteren Gebrauch.

Damit wird die Farbe zum Abbild der Funktion und zu einer sensorischen Komponente. «Wir Menschen beurteilen ja den ganzen Tag unsere Umwelt anhand der Farben. Rot im Strassenverkehr bedeutet zum Beispiel ‹Stopp›», sagt Galinski. Und Spolenak ergänzt: «Die Materialschäden sind im Grunde mikroskopisch klein, aber unser Schichtsystem verstärkt die Effekte und so werden sie durch die Farbänderung schliesslich mit blossem Auge sichtbar.» Das System auf den textilen Fasern besteht aus mehreren Schichten. Auf die Temperatur reagiert allerdings nur die äusserste, die lediglich 20 Nanometer dünn ist. Sie kristallisiert und die Farbe ändert sich.

Wenig Material, viel Licht

«Wir interessieren uns aber auch für grossflächige Lichtwechselwirkungen, die auf dünnen Schichten basieren», erzählt Ralph Spolenak. Dies aus gutem Grund: Wenn viel Licht in wenig Material eingefangen werden kann, bis es vollständig absorbiert ist, hat das ein enormes Potenzial im Bereich Solarzellen und anderen Energiematerialien. «Braucht diese Art der Lichtkonzentration, die auch zur Farbentstehung verwendet werden kann, nur ein geringes 
Materialvolumen, ist das sehr effizient», ergänzt der Physiker Galinski.

Kürzlich hat die Gruppe von Spolenak ein Prinzip entwickelt, um mit nanoskopischen Netzwerken effizient Licht einzufangen. Diese Netzwerke bestehen aus einer speziellen Legierung und erlauben es weitgehend unabhängig vom Lichteinfallswinkel bis zu 99 Prozent des Lichts zu absorbieren.

Bereits vor ein paar Jahren hat die Gruppe gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam erfolgreich ein Prinzip entwickelt, um Metallbeschichtungen in verschiedenen Farben herzustellen. Das Beschichtungsmaterial besteht aus einer speziellen Feinstruktur, die sich aus zwei unterschiedlichen Schichten zusammensetzt. Die untere Schicht besteht aus einem Netzwerk aus Metallen, das von winzigen Poren durchsetzt ist. Der obere Teil besteht aus einer dünnen Oxidschicht. Die Farbe entsteht vor allem durch die Wechselwirkung des Lichts mit der ungeordneten Grenzschicht der beiden Materialien. Dabei bestimmt die Dicke dieser Schicht die Farbe: 12 Nanometer machen das Material beispielsweise grünlich, 24 Nanometer gelb und 48 Nanometer blau.

Auch Claudiadele Polinari vom Gymnasium Rämibühl hat im Rahmen ihrer Maturaarbeit Strukturfarben hergestellt. Sie wollte eine möglichst grosse Farbpalette abbilden und nicht nur wenige einzelne Farben. Mit ihrem Zwei-Schichten-Prinzip ist die Nachwuchsforscherin bei den Grüntönen aber an ihre Grenzen gestossen. Gelernt hat sie trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – sehr viel während ihres kurzen Forschungsaufenthalts an der ETH. Und die vielen erfolgreichen Farbproben hängen nun eingerahmt als Bild über dem Besprechungstisch an der Wand. Schön, wenn Forschungsergebnisse optisch so viel hergeben.