Chemie fördert Medikamentenbibliotheken

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL haben einen Weg gefunden, eine grosse Anzahl von makrozyklischen Verbindungen zu synthetisieren, die für die Entwicklung von Medikamenten gegen schwierige Krankheitsziele benötigt werden.
Ein 80-Nanoliter-Reaktionsvolumen in einer Vertiefung einer Mikrotiterplatte (etwa 1 mm Durchmesser), wie sie beim Hochdurchsatz-Screening verwendet wird. Bildrechte: Mischa Schüttel (EPFL)

Wenn pharmazeutische Unternehmen nach einem Arzneimittelkandidaten suchen, wenden sie ein Filterverfahren an, das als «Hochdurchsatz-Screening» bekannt ist. Dabei wird eine grosse Anzahl verschiedener chemischer Verbindungen getestet, um herauszufinden, welche an ein Protein binden, das das Ziel der zu behandelnden Krankheit ist.

Pharmaunternehmen verfügen über Bibliotheken mit 1 bis 2 Millionen «niedermolekularen» Verbindungen, die sie über Jahre hinweg gesammelt haben. Aber in vielen Fällen können durch das Screening klassischer niedermolekularer Verbindungen keine Arzneimittelkandidaten identifiziert werden, weil sie keine Verbindung enthalten, die ausreichend stark an das Zielprotein bindet.

Eine Lösung wurde in den «Makrozyklen» gefunden, einer neuen Klasse von Molekülen, die sich als ideal für die Bindung schwieriger Ziele wie Proteine mit flachen Oberflächen oder sogar Proteine, die an andere Proteine gebunden sind, erwiesen haben. Das Problem besteht darin, dass die derzeitigen Makrozyklen-Bibliotheken nur weniger als 10 000 Verbindungen enthalten, wodurch die Chance, Arzneimittelkandidaten zu finden, die ein bestimmtes Krankheitsziel binden können, begrenzt ist.

Eine Gruppe von Chemiefachleuten an der EPFL hat nun jedoch einen Weg gefunden, eine grosse Anzahl von Makrozyklen zu erzeugen, wodurch die verfügbaren Bibliotheken erheblich vergrössert werden können. Der Durchbruch geht auf die Arbeit der Gruppe von Professor Christian Heinis an der EPFL-Fakultät für Grundlagenwissenschaften zurück.

«Unser Ansatz basiert auf der Kombination einer grossen Anzahl ‹m› verschiedener makrozyklischer Gerüste mit einer Vielzahl von ‹n› chemischen Fragmenten, um ‹m×n› verschiedene makrozyklische Verbindungen zu erzeugen», sagt Heinis. «Wir haben zum Beispiel eine Bibliothek von 19 968 Makrozyklen erzeugt, indem wir 192 makrozyklische Gerüste mit 104 Carbonsäurefragmenten umgesetzt haben.»

«Derzeit wenden wir den Ansatz zur Entwicklung makrozyklischer Verbindungen auf eine Reihe von Krankheitszielen an, für die Pharmaunternehmen nur schwer Medikamente auf Grundlage klassischer kleiner Moleküle entwickeln können.»      Christian Heinis, Professor an der EPFL

Mit Hilfe der Biomolecular Screening Facility der EPFL führten die Forschenden die Reaktionen in winzigen Volumina von 40 Nanolitern durch und transferierten die Reagenzien mit Hilfe von Schallwellen, was enorm schnell ist. Durch die Miniaturisierung und die hohe Geschwindigkeit konnte die Bibliothek mit 19 968 makrozyklischen Verbindungen in nur einem halben Tag zusammengestellt werden.

Um die Methode zu testen, nutzte der projektleitende Doktorand Sevan Habeshian sie, um nanomolare Hemmstoffe gegen Thrombin und die Protein-Protein-Interaktion MDM2:p53 zu entwickeln, die Angriffspunkte für Schlaganfälle und Krebs sind.

In Zusammenarbeit mit Forschenden der Universitäten Padua und Venedig erhielt das Team eine Röntgenstruktur des Thrombin-Inhibitors, während er das Protein band. «Die Strukturanalyse hat den Ansatz des Screenings von Verbindungen mit makrozyklischen Kernen und seitlich verbundenen chemischen Fragmenten validiert», sagt Habeshian.

«Wir wenden den Ansatz zur Entwicklung makrozyklischer Verbindungen derzeit auf eine Reihe von Krankheitszielen an, für die Pharmaunternehmen Schwierigkeiten haben, Medikamente auf der Grundlage klassischer kleiner Moleküle zu entwickeln», sagt Heinis. «Aufgrund der geringen Grösse und der begrenzten polaren Oberfläche makrozyklischer Verbindungen haben sie eine hohe Chance, Zellmembranen zu passieren, was bedeutet, dass sie für die Entwicklung von Medikamenten für intrazelluläre Ziele oder sogar für Medikamente, die oral eingenommen werden, verwendet werden können.»