Entwicklungshilfe durch künstliche Intelligenz besser steuern

Ein Forschungsteam der ETH Zürich und der LMU München analysiert mit Hilfe von künstlicher Intelligenz 3,2 Millionen Entwicklungshilfeprojekte weltweit. Dadurch werden Trends und Finanzierungslücken sichtbar.
Das neue Analyseverfahren ermöglicht erstmals einen globalen Überblick über Geldflüsse in der Entwicklungshilfe. (Bild: Adobe Stock)

Mit Entwicklungshilfegeldern werden in ärmeren Ländern Schulen gebaut, Dörfer ans Stromnetz angeschlossen oder die Gesundheitsversorgung ausgebaut. Ein detaillierter und aktueller Überblick über Entwicklungshilfeprojekte wäre wichtig, um die damit verbundenen Gelder so effizient wie möglich einzusetzen. Bisher war dies aufgrund der hohen Anzahl an Projekten und Geberinstitutionen aber schwierig umzusetzen.

Malte Toetzke und Nicolas Banholzer, Doktorierende am MTEC Departement der ETH Zürich, gemeinsam mit Professor Stefan Feuerriegel, der kürzlich von der ETH Zürich an die LMU München wechselte, sorgen nun mit einem neuen Analyseverfahren für mehr Durchblick in der globalen Entwicklungshilfe. Die Forscher nutzen künstliche Intelligenz (KI) um Geldflüsse in thematische Gruppen einzuteilen. Dadurch wird sichtbar, wie die Finanzierung auf Themen, Länder und Jahre verteilt ist und wo unter Umständen Handlungsbedarf besteht. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal Nature Sustainability veröffentlicht.

Wie der Algorithmus funktioniert

Der Analyse liegen 3,2 Millionen Entwicklungshilfeprojekte zwischen 2000 und 2019 zugrunde, in deren Rahmen insgesamt 2,8 Billionen US-Dollar investiert wurden. Basierend auf deren Projektbeschreibungen unterteilte der KI-basierte Algorithmus die Projekte in 173 thematische Kategorien. Dabei musste berücksichtigen werden, dass sich diese Berichte nicht formal aufgebaut waren: sie unterschieden sich zum Beispiel in der Sprache und der Textlänge.

«Man kann sich den Prozess als Versuch vorstellen, eine ganze Bibliothek zu lesen und ähnliche Bücher in themenspezifische Regale zu einzusortieren», erklärt Malte Toetzke, Erstautor und Doktorand am Lehrstuhl für Nachhaltigkeit und Technologie der ETH Zürich. «Unser Algorithmus berücksichtigt 200 verschiedene Dimensionen, um zu ermitteln, wie ähnlich diese 3,2 Millionen Projekte einander sind. Für einen Menschen wäre ein solcher Aufwand nicht zu bewältigen.»

Im Unterschied zu bisherigen Ansätzen ist diese Kategorisierung differenzierter und ergibt sich aus den analysierten Projekten, und nicht aus einer bestehenden Klassifizierung. «Wir können die vielen Projekte sehr detailliert strukturieren, ohne im Vorhinein genau wissen zu müssen, wonach wir suchen», sagt Toetzke. «Dadurch konnten wir Kategorien finden, die bisher nicht systematisch analysiert wurden oder erst seit kurzem aktuell sind.»

Trends und Transparenz

Die Analyse lässt auf thematische Trends in der Entwicklungshilfe schliessen, berichtet Toetzke: «In den letzten Jahren flossen immer mehr Gelder in Projekte in den Bereichen Inklusion und Gleichberechtigung von benachteiligten Gruppen, Klimawandel und Nachhaltigkeit sowie Unterstützung der Privatwirtschaft.»

Im Themenbereich Klimawandel schürfen die Autoren sogar noch tiefer: Sie zeigen einerseits, dass sich die Entwicklungshilfe für Projekte, die sich der Anpassung an die Folgen des Klimawandels widmen, seit dem Paris Klimaabkommen von 2015 verdoppelt hat.

Gleichzeitig gingen die Zahlungen für den gesamten Umweltsektor, der neben der Anpassung an den Klimawandel auch andere Themen wie die Reduktion von Treibhausgasemissionen, Energieeffizienz oder Biodiversität umfasst, seit 2015 leicht zurück. Auf Basis dieser Erkenntnisse kommen die Autoren zum Schluss, dass die Staatengemeinschaft ihrem in Paris gegebenen Versprechen – die Entwicklungshilfe für Projekte, die auch den Klimawandel adressieren, zu erhöhen – nur bedingt gerecht wurde.

Bessere Koordination durch globalen Überblick

Das Forschungsprojekt ermöglicht erstmals einen globalen Überblick über Geldflüsse in der Entwicklungshilfe. «Nur wenn wir wissen, welche Länder, Bereiche und Organisationen unterstützt werden, lassen sich Projekte sinnvoll auf globaler Ebene koordinieren», sagt Nicolas Banholzer von der Professur für Wirtschaftsinformatik der ETH und einer der Autoren.

Das KI-gestützte Monitoring kann Organisationen im Bereich Entwicklungshilfe ausserdem dabei unterstützen, bessere, auf Daten beruhende Entscheidungen im Sinne der von den Vereinten Nationen beschlossenen Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu treffen.

Entwicklungshilfeprojekte in der Webapplikation

Das Forschungsteam hat eine Webanwendung entwickelt, in der nachverfolgt werden kann, wann und wohin die Entwicklungshilfegelder der 3,2 Millionen erfassten Projekten geflossen sind. Dabei kann spezifisch nach den per KI ermittelten Kategorien gesucht werden.