Wir sollten über Tierversuche sprechen

Es ist gut, wenn in der Gesellschaft breit über Tierversuche diskutiert wird, findet Detlef Günther, wichtig ist aber, dass diese Diskussionen fair und faktenbasiert stattfinden.
Tierversuchsdurchführender beim Versetzen einer Maus von einem Mäusekäfig in ein Beobachtungsexperiment. (Bild: ETH Zürich / Alessandro Della Bella)

Am 13. Februar 2022 stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über eine Volksinitiative ab, die alle Tierversuche grundsätzlich verbieten möchte. Diese Initiative betrifft die ETH Zürich und den ganzen Forschungsplatz Schweiz unmittelbar und massiv. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns im Vorfeld der Abstimmung intensiv mit dem Thema Tierversuche beschäftigen. Für mich ist klar, dass es sehr viele gute Gründe gegen ein Verbot von Tierversuchen gibt – ich habe diese hier im Zukunftsblog bereits ausführlich dargelegt (Ein Verbot wäre ein Rückschlag, Tierversuche bleiben wichtig). Deshalb möchte ich hier darauf fokussieren, wie wir über das komplexe Thema „Tierversuche“ sprechen sollten.  

«Wir müssen über die Argumente von beiden Seiten diskutieren – aber diese müssen sich auf Fakten stützen. Für Fehlinformationen hat es hier keinen Platz.»      Prof. Detlef Günther

Diskurs bringt uns weiter

Die Gesellschaft befindet sich im Wandel, wenn es darum geht, wie wir mit unserer Umwelt umgehen. Auch die vermehrte Sorge um das Tierwohl ist eine aus meiner Sicht positive gesellschaftliche Entwicklung. Viele reduzieren oder verzichten bewusst auf das Essen von Fleisch, damit weniger Nutztiere gebraucht werden. Forschende sind ein Teil der Gesellschaft und selbstverständlich geht an ihnen dieser Diskurs nicht einfach vorbei, denn auch sie sind sehr an einem stärkeren Umweltbewusstsein interessiert und sorgen sich um das Tierwohl.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind darauf fokussiert, Wissen zu generieren und Probleme zu lösen. Die medizinische Forschung kann nicht ohne Tierversuche auskommen, der gesellschaftliche Diskurs über Tierversuche ist aber sehr sinnvoll, denn er treibt die Forschung an, sich in diesem Bereich weiterzuentwickeln. Wir haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte bei sogenannten 3R-Ansätzen (replace, reduce, refine) gemacht. Nur ein Beispiel: Kolleginnen und Kollegen der Uni Bern haben es geschafft Atemwegszellen so zu kultivieren, dass sie mit ihrem Modell für Infektionskrankheiten der Atemwege, wie z. B. Covid-19, bestimmte Experimente ersetzen können, für die sonst Tiere erforderlich gewesen wären.[i] Die intensive Forschung an 3R ist das, was die Wissenschaft beim Thema Tierversuchen konkret zum Tierwohl beitragen kann und wir tun das mit grosser Intensität – Forschung ist also auch ein wesentlicher Teil der Lösung.

«Die Initiative will vorschreiben, wie in der Schweiz geforscht werden darf. Dies bedeutet im Endeffekt, dass man ganze Forschungsgebiete im Bereich der Medizin und Lebenswissenschaften verunmöglicht.»      Prof. Detlef Günther

Wissenschaftliche Erkenntnis verhindern?

Normalerweise, wenn in der Gesellschaft und der Politik über wissenschaftliche Themen debattiert wird, geht es um die Resultate der Forschung. Der Klimawandel und die Corona-Pandemie zeigen uns, wie schwierig diese Debatten manchmal sein können, und dass es unter Umständen lange dauert, bis wissenschaftliche Erkenntnisse in der Gesellschaft breit akzeptiert werden. Bei erfolgreichen Medikamenten, die oft einen längeren Weg brauchen, hat man oft schon vergessen, welche notwendigen Versuche zu einem solchen Erfolg beigetragen haben.

Die von der Initiative angeregte Debatte hat aber eine ganz andere Qualität. Ein Verbot von Tierversuchen trifft die Forschung ins Mark. Die Initiative will vorschreiben, wie in der Schweiz geforscht werden darf. Dies bedeutet im Endeffekt, dass man ganze Forschungsgebiete im Bereich der Medizin und Lebenswissenschaften verunmöglicht. Mit dem Verbot einer zentralen wissenschaftlichen Herangehensweise – was Tierversuche sind – verhindert man bewusst neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Es wäre so, also ob wir einer Klimaforscherin sagen müssten, dass sie nun keine Computersimulationen mehr machen dürfe, weil diese zu viel Energie brauchen. Forschung entsteht nie im luftleeren Raum – sie benötigt Infrastruktur und Ressourcen. Und ja, ein Teil der Forschung braucht Versuchstiere – das mag einem nicht gefallen, aber sich dieser Realität einfach zu verschliessen, löst keine Probleme.

Fair und faktenbasiert

Ich verstehe sehr gut, dass Tierversuche ein sehr emotionales Thema sind. Trotzdem brauchen wir in diesem Land eine faire und faktenbasierte Diskussion. Wenn Gegnerinnen und Gegner von Tierversuchen behaupten, dass 99 Prozent der Ergebnisse aus Tierversuchen zu nichts führen und nicht auf den Menschen anwendbar seien, dann ist das schlicht falsch. Unzählige Medikamente, die nur mit Tierversuchen entwickelt werden konnten, beweisen das Gegenteil. Wir müssen über die Argumente von beiden Seiten diskutieren – aber diese müssen sich auf Fakten stützen. Für Fehlinformationen hat es hier keinen Platz.

Dass heute Forschenden, die sich zum Klimawandel oder zu Corona äussern, ernsthaft an Leib und Leben bedroht werden, ist inakzeptabel. Forschende, die in den nächsten Wochen vor der Abstimmung erklären, warum sie Tierversuche machen und warum diese nötig sind, müssen sich frei und ohne Angst in diesem gesellschaftlichen und politischen Diskurs äussern können. Sie haben ein Recht darauf, angehört zu werden. Hier sehe ich die Initianten und Initiantinnen in der Pflicht.

Als Vizepräsident für Forschung der ETH Zürich bin ich überzeugt, dass wir Tierversuche in der Forschung auch in Zukunft brauchen werden. Ich versichere aber, dass wir unabhängig von dieser Initiative und aus eigenem Antrieb alles daransetzen werden, um diese wann immer möglich zu reduzieren, zu ersetzen und durch weitere Forschung im 3R-Verbund unserem neuen Wissenstand anzupassen.

Dieser Zukunftsblog-​Beitrag erscheint auch in der NZZ.