Mein Aufruf, zur Wissenschaft zu stehen

Für Didier Queloz braucht Forschung zwingend internationale Netzwerke und Know-how. Er appelliert an die Politik, britische und Schweizer Forschende zu Horizon Europe zuzulassen.
Didier Queloz, Professor für Physik an der ETH Zürich und Nobelpreisträger für Physik 2019. (Foto: ETH Zurich)

Als das Vereinigte Königreich nach seinem Austritt aus der EU mit Brüssel ein neues Handels- und Kooperationsabkommen aushandelte, sahen beide Parteien vor, dass die Wissenschaft weiterhin an Europas Flaggschiffprogramm für Forschung und Innovation, Horizon Europe, teilnehmen werde. Mehr als ein Jahr später ist die Vereinbarung immer noch nicht unterzeichnet. Forschende aus dem Vereinigten Königreich, die sich um Fördermittel beworben oder europaweit kooperiert haben, stellen nun fest, dass sie die zugesprochenen Grants nur dann erhalten, wenn sie an eine Hochschule im europäischen Forschungsraum wechseln.

Schweizer Forschende stecken in einer ähnlichen Situation, wenn auch aus anderen Gründen (ETH-News berichtete). Nachdem die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen im vergangenen Mai gescheitert waren, hob die EU-Kommission die Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe bis auf weiteres auf.

Brüssel schliesst zwei starke Forschungssysteme aus, die sich zuvor jahrelang am Programm beteiligten. In beiden Fällen liegen die Ursachen in anderweitigen politischen Streitereien mit der Kommission. Ich sage es unverblümt: Hier setzt die Politik die Forschung als Druckmittel für weitere Verhandlungen ein.

Bei diesem Spiel verlieren alle

Die Verantwortlichen gefährden damit ein fantastisches Instrument, das die EU jahrzehntelang entwickelt hat. Wenn zwei der wichtigsten Akteure den Zugang zu diesem Programm verlieren aus Gründen, die absolut nichts mit Forschung zu tun haben, dann ist das tragisch. Denn hier wird äusserst kurzsichtig agiert. Zweifellos liegt es in unsere aller Interesse, dass die besten Wissenschaftler:innen über Landesgrenzen hinweg zusammenarbeiten können.

In meinem Fachgebiet etwa sind Fortschritte ohne den kollektiven Effort von sich fachlich ergänzenden Teams schlicht nicht möglich. Ich erforsche das Leben im Universum. Wenn man an vorderster Front mithalten will, sind Ressourcen und Expertise rar. Wer erfolgreich sein will, braucht zwingend internationale Netzwerke und Zugang zu Talenten und Infrastruktur.

Langfristige Interessen versus kurzfristige Vorteile

Doch vielleicht musste es so kommen. Wissenschaft ist ein langfristiges Geschäft, während die Politik durch kurzfristige Sachzwänge getrieben wird – die Krise von heute und die Wahlen von morgen prägen ihre Entscheidungen, und diese bringen stets Gewinnerinnen und Verlierer hervor.

So sieht Frankreich, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, bereits den Wahlen in wenigen Monaten entgegen; und die EU-Kommission weiss, dass es sich mit Zuckerbrot und Peitsche am besten verhandelt. Zudem fordert die drohende Eskalation in der Ukraine ganz Europa heraus. Das Vereinigte Königreich ist derweil mit seiner Regierungskrise beschäftigt, während sich die Schweiz gerade einen Weg aus der Pandemie freibahnen will.

«Ich bitte alle Involvierten, die Wissenschaft aus der Geiselhaft zu entlassen und unsere Forschenden baldmöglichst an Horizon Europe zuzulassen – davon würden alle profitieren.»      Didier Queloz

Trotz all der Wirrungen hoffe ich, dass Politiker und Entscheidungsträgerinnen einen Moment innehalten werden, wenn sie den kollektiven Protest vernehmen, den die geeinte europäische Wissenschaft mit der frisch lancierten Kampagne Stick to Science zum Ausdruck bringt: Aus allen Teilen Europas, von Universitäten, Forschungsinstituten, Netzwerken und namhaften Personen ertönt der klare Aufruf an die politischen Parteien, die Machtspiele beiseite zu legen und dafür zu sorgen, dass die Schweiz und das Vereinigte Königreich wieder an Horizon Europe teilnehmen können.

Das Richtige tun

Als Wissenschaftler, der sowohl an der Universität Cambridge als auch an der ETH Zürich forscht, bin ich mir bewusst, dass ich nicht gänzlich unvoreingenommen bin. Aber da ich auf die 60 zugehe, wird dieser Aufruf meine Karriere nicht mehr gross beeinflussen. Ich setze mich nicht für mich selbst ein, sondern für die künftige Generation von Forschenden, die durch das Versagen der Politik ausgebremst werden.

Wenn das Vereinigte Königreich und die Schweiz sich vom Ziel einer Voll-Assoziierung verabschieden, schadet das nicht nur den beiden Ländern – das Horizon-Budget wird schrumpfen; es werden weniger junge Wissenschaftler:innen an unseren Top-Universitäten forschen; und es wird für sie schwierig werden, mit Schweizer und britischen Kolleginnen zusammenzuarbeiten.  

Momentan macht die Politik das, was ihr als sinnvoll erscheint. Wer ein Druckmittel hat, verzichtet nicht umsonst darauf. Aber aus jeder anderen Perspektive macht das keinen Sinn.

Deshalb bitte ich alle Involvierten, die Wissenschaft aus der Geiselhaft zu entlassen und unsere Forschenden baldmöglichst an Horizon Europe zuzulassen – davon würde alle profitieren, Europa, das Vereinigte Königreich und die Schweiz. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Financial Times.