Der Klimawandel findet hier und jetzt statt

Sonia Seneviratne arbeitete am jetzt erschienenen Sachstandsbericht des IPCC mit. Dieser zeige deutlich, dass wir in Sachen Klimawandel keine Zeit mehr zu verlieren haben, so die Klimaforscherin.
Mit zunehmender globaler Erwärmung werden noch mehr Regionen von extremen Ereignissen wie beispielsweise Waldbränden betroffen sein und diese werden häufiger auftreten und intensiver ausfallen. (Bild: Adobe Stock)

Der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats (kurz: AR6) über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels wurde heute nach mehr als drei Jahren Arbeit von über 230 Klimaforschenden veröffentlicht. Es handelt sich um die lang erwartete Aktualisierung des letzten großen Sachstandsberichts (AR5), der vor 8 Jahren 2013 veröffentlicht wurde. Ich war eine koordinierende Hauptautorin des Kapitels über Wetter- und Klimaextreme. Weitere Forschende der ETH Zürich haben an verschiedenen Kapiteln des aktuellen Berichts mitgearbeitet. Erich Fischer war am Kapitel zu globalen Klimaprojektionen beteiligt. Martin Wild arbeitete beim Kapitel über den Energiehaushalt der Erde, Klima-Rückkopplungen und Klimaempfindlichkeit mit. Kurz zusammengefasst zeigt die gesamte Evidenz im Bericht klar: Der Klimawandel ist nicht länger eine vage Bedrohung in der Zukunft. Er findet hier und jetzt statt, und unser Verbrauch von fossilen Energieträgern ist hauptsächlich dafür verantwortlich.

Noch nie dagewesene Ereignisse

Mein Forschungsgebiet sind Wetter- und Klimaextreme und noch nie wurde ich so häufig als Expertin angefragt, wie in den vergangenen Wochen. Die jüngsten Klimaereignisse auf der gesamten Nordhalbkugel - von Hitzewellen und Bränden in Kanada, Griechenland und der Türkei bis hin zu Starkniederschlägen und Überschwemmungen in der Schweiz und Deutschland haben viele Menschen bedroht und verunsichert.  

Natürlich gab es schon immer extreme Klimaereignisse, nur: Seit dem AR5 haben sich die Beweise für die beobachteten Veränderungen bei den Extremen verdichtet. Mit zunehmender globaler Erwärmung werden noch mehr Regionen von extremen Ereignissen betroffen sein und diese werden häufiger auftreten und intensiver ausfallen. Oder mit anderen Worten: Es wird vermehrt zu noch nie dagewesenen Extremereignissen kommen. Ein Begriff wie «Jahrhundertunwetter» wird obsolet werden.

Und was mir besonders Sorge bereitet: Es werden auch Geschehnisse zunehmen, die sich aus der Kombination verschiedener Veränderungen im Klimasystem ergeben. So steigt einerseits der Meeresspiegel an, weil das Polareis schmilzt und andererseits kommt es öfters zu starken Niederschlägen, beides zusammen wird zu mehr Überschwemmungen an den Küsten führen. Oder es treten vermehrt heisse und trockene Bedingungen gleichzeitig auf, was zu einem deutlich höheren Feuerrisiko führt.

Nicht ohne menschgemachten Klimawandel

Unsere Schlussfolgerungen im Bericht zeigen auch deutlich: Wir können diese heftigen Ereignisse noch klarer dem vom Menschen gemachten Klimawandel zuordnen, als dies beim AR5 der Fall war. So wären einige Hitzewellen, die wir in den letzten Jahren beobachteten, ohne den Einfluss des Menschen auf das Klimasystem höchstwahrscheinlich gar nicht aufgetreten.

«Aufgrund der neuesten Erkenntnisse der Klimaforschung ist es klar, dass kein Weg an einer Netto-Null-CO2-Welt vorbeiführt.»      Sonia Seneviratne

Wir haben die Wahl: Wollen wir aufhören die Klimabedingungen weiter zu verschlechtern oder lassen wir diese immer stärker werden Ereignisse, die aufgrund unserer CO2-Emissionen auftreten, einfach über uns hereinbrechen? Wenn wir eine weitere Zunahme dieser Extremereignisse aufhalten wollen, müssen wir unsere CO2-Emissionen Schritt für Schritt und Jahr für Jahr reduzieren und so früh wie möglich unseren Netto-Ausstoss an CO2 auf null bringen. Die Dringlichkeit zu handeln, nimmt dabei laufend zu.

Und in der Schweiz?

Regionale Auswertungen für West-Mitteleuropa zeigen, dass Hitzeextremen und Starkniederschlägen in den letzten Jahren bereits zugenommen haben und weiter stark zunehmen werden. Die Region wird auch mit zunehmender globaler Erwärmung vermehrt von Dürren betroffen sein, die grosse Auswirkungen auf Ökosysteme und Landwirtschaft haben. Eine der wichtigsten Botschaften des Berichts ist, dass der Klimawandel in allen Regionen der Welt stattfindet. Die Schweiz, bildet da keine Ausnahme. Die Industrieländer sind keineswegs vor den Folgen des Klimawandels gefeit.

Für die Schweiz bedeutet dies, dass wir das im vergangenen Juni gescheiterte CO2-​Gesetz hinter uns lassen und andere Wege finden müssen, um sicherzustellen, dass unser Land seinen Beitrag zur Reduzierung der Emissionen im globalen Massstab leisten kann. Wir sollten nicht warten, bis die Klimabedingungen so unerträglich sind, dass wir uns dazu gezwungen fühlen. Dann wird es zu spät sein, da die nötige Infrastruktur Jahre braucht, bis sie bereit-​ und umgestellt ist. Aufgrund der neuesten Erkenntnisse der Klimaforschung ist es klar, dass kein Weg an einer Netto-​Null-CO2-Welt vorbeiführt, und dass dieses Ziel so schnell wie möglich erreicht werden soll. Es liegt daher in unserem eigenen Interesse, und auch dessen der Schweiz, diesen Weg so schnell wie möglich zu beschreiten.

Schritt für Schritt in die richtige Richtung

Beschreiten wir den Weg mit ersten, praktikablen Schritten. So sollte es möglich und gesellschaftlich verträglich sein, dass wir in einigen Jahren keine benzinbetriebenen Autos oder Ölheizungen mehr haben. Es gibt in diesen Bereichen sinnvolle technische Alternativen, wie Wärmepumpen und Elektroautos. Im Bereich der Mobilität wird es auch darauf ankommen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu verbessern und Zugverbindungen anzubieten, die sowohl preislich als auch zeitlich mit Billigflügen konkurrieren können.

Wir zahlen Steuern für unsere Müllsäcke, um Abfall zu vermeiden. Das ist ein gerechtes Prinzip, denn wer mehr Abfall produziert, zahlt auch mehr. Ich glaube, es ist unvermeidlich, dass wir das Verursacherprinzip auch bei den CO2-​Emissionen konsequenter umsetzen. Und wie die Abfallsackgebühren zeigen: Die Schweizerinnen und Schweizer gewöhnen sich daran und haben eine bewundernswerte Disziplin.

Wir müssen aber auch entscheiden, welche Richtung wir ganz allgemein einschlagen wollen. Als nächstes ist die Gletscher-​Initiative eine ausgezeichnete Option, um Klimaziele in der Schweizer Verfassung zu verankern, die mit den Zielen des Pariser Abkommens vereinbar bleiben. Die extremen Klimaereignisse weisen uns den Weg. Nehmen wir die Erkenntnisse aus dem AR6 ernst und tun wir alles, um die aufgrund unserer Emissionen weiter fortschreitende Klimaerwärmung zu stoppen.

Zur Autorin

Sonia Seneviratne ist Professorin für Land-​​Klima Dynamik an der ETH Zürich.