Pioniere einer nachhaltigen Architektur

Für ihre soziale und nachhaltige Architektur erhielten die emeritierte ETH-Professorin Anne Lacaton und ihr Partner Jean-Philippe Vassal den diesjährigen Pritzker-Preis. Dieser gilt als der Nobelpreis der Architektur. Die ETH feierte diesen Erfolg am Mittwoch mit einem virtuellen Ehrenanlass, an dem neben den beiden Preisträgern auch ETH-Präsident Joël Mesot teilnahm.
Anne Lacaton und Jean-​Philippe Vassal lernten sich in den 70er Jahren beim Studium in Bordeaux kennen und eröffneten 1987 ein Architekturbüro in Paris. (Bild: ETH Zürich)

Jedes Bauwerk ist ein Abbild der ökonomischen, sozialen und kulturellen Wertvorstellungen seiner Zeit. Doch manchmal ist Architektur ihrer Zeit voraus. Dann bildet sie die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur ab, sondern leistet einen Beitrag dazu, sie zu verändern. Die nachhaltige und soziale Architektur von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal gehört zu dieser Kategorie. Dafür wurde das Pariser Architekturduo im März mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet.

Anne Lacaton ist erst die sechste Frau, der diese Ehre zu Teil wird. Gleichzeitig ist sie die erste ETH-​Professorin, die eine international so hochstehende Auszeichnung entgegennehmen darf. Die ETH feierte diese aussergewöhnliche Leistung am Mittwoch mit einem Ehrenanlass, an dem neben den beiden Preisträgern und ETH Präsident Joël Mesot über 500 weitere Gäste virtuellen teilnahmen.

Nachhaltig und trotzdem sozial

Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal verschrieben sich schon früh einer nachhaltigen Architektur. Sie hatten lange bevor dies modern wurde, den Mut, bestehende Bauwerke auf eine ökonomische und humane Art und Weise zu rehabilitieren, sagte ETH-Professor Christophe Girot in seiner Laudatio. Bis heute hat das Architekturduo nie ein Gebäude abgerissen, um ein neues zu bauen.

«Die Entwürfe von Lacaton und Vassal waren immer Ausdruck ihrer sozialen und ökologischen Überzeugungen. Sie weisen den Weg zu einer kohärenten Einfachheit in der Architektur, welche die Bewohner in den Mittelpunkt stellt», erklärte Girot.  Geleitet vom Credo, mit möglichst wenig Material den grösstmöglichen Raum für Menschen zu schaffen, seien ihre Bauten ein eindrücklicher Beweis dafür, dass nachhaltige Architektur auch sozial sein könne.

Bescheidenheit als architektonische Haltung

Anne Lacaton wurde 2017 als ausserordentliche Professorin für Architektur und Entwurf an das Departement für Architektur berufen. Welchen Einfluss sie in den drei Jahren an der ETH auf ihr Umfeld hatte, kommt in einer Videobotschaft zum Ausdruck, die während der Veranstaltung gezeigt wurde. Darin schildern ehemalige Studierende, Mitarbeitende und Kolleginnen und Kollegen die Architektin als einen überaus offenen, respektvollen und bescheidenen Menschen. Ob Stararchitekt oder Student im ersten Semester, Anne Lacaton begegnete anderen immer mit der gleichen Neugier und Aufmerksamkeit.

Eine Nachricht für Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal.

Bescheidenheit und Offenheit liegen auch ihrer architektonischen Haltung zu Grunde: Ihre Architektur ist einfühlsam, nicht anmassend. Denn nur wer sich unvoreingenommen auf einen Ort und seine Gegebenheiten einlässt und zunächst seine eigene Unwissenheit akzeptiert, ist auch in der Lage angemessene bauliche Lösungen zu entwickeln.  Diese Haltung, so ETH-Präsident Joël Mesot, verdient nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Wissenschaft im allgemeinen grössere Beachtung.

Aufzeichnung der Online-Veranstaltung vom 19. Mai 2021.