«2023 kann sich niemand mehr dem KI-Fortschritt entziehen»

Künstliche Intelligenzen sind nicht nur in den Schlagzeilen auf dem Vormarsch. Florian von Wangenheim vom Lehrstuhl für Technologie-Marketing und Forscher am AI Center der ETH erklärt die Entwicklung im Kurzinterview.
Screenshot aus einer Konversation mit ChatGPT.

Schon jetzt werden mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) «ChatGPT» Hausarbeiten für die Uni geschrieben und Texte für Instagram-​Posts und sogar Parlamentsreden verfasst. Welche nächsten grösseren Entwicklungen können wir bei diesen grossen Sprachmodellen erwarten?

Florian von Wangenheim: Immer, wenn etwas Neues im Bereich der Künstlichen Intelligenz passiert, haben wir das Gefühl, am Anfang einer grossen Entwicklung zu stehen. Wir sind aber mittendrin. Aktuell erhält diejenige KI, die mit Sprache zu tun haben, viel Aufmerksamkeit. Spracherkennung, automatisierte Texterstellung, auch Anpassung von Texten an bestimmte Schreibstile etc.

Als nächsten Entwicklungsschritt sehe ich die Personalisierung – Bots werden mit uns kommunizieren und dabei über unsere Gesten und Mimik herauszufinden versuchen, wie wir am besten lernen und für welche Botschaften wir besonders empfänglich sind.

Nach ChatGPT ist KI aufgrund des TikTok-​Filters «Bold Glamour», der kaum als Filter zu enttarnen ist, in den Schlagzeilen. Ist 2023 ein Schlüsseljahr für KI in der digitalen Kommunikation?

Die Entwicklung ist nicht neu, sondern dauert schon einige Jahrzehnte und wird weitergehen. Was wir heute sehen, ist das Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit. Aber man kann sagen, dass sich 2023 niemand mehr den Entwicklungen entziehen kann. Es ist jetzt klar geworden, dass vieles nicht mehr als unrealistisch oder Zukunftsmusik abgetan werden kann.

Wie wird sich unsere digitale Kommunikation durch KI verändern? Werden wir künftig zu KI-​Filtern in Zoom-​Meetings greifen?

Schwierig zu sagen. Meine Beobachtung während Corona war etwa, dass die Nutzer:innen nach einer Experimentierphase die Hintergründe in virtuellen Meetings doch ziemlich konstant gehalten haben. So lange wir alle das Gefühl haben, viel zu tun zu haben, möchte wohl keiner in den Verdacht geraten, nur mit seinem Erscheinungsbild zu tun zu haben, während andere hart arbeiten. Viel wahrscheinlicher finde ich es, dass wir während des Meetings in Echtzeit zu Hilfen greifen, die ähnlich funktionieren wie ChatGPT, aber besser darin sind, ein bestimmtes Problem zu lösen – sei es, die Chefin durch eine besonders geschickte Formulierung zu überzeugen, die mir das Programm vorgibt, oder eine inhaltliche Lösung zu bekommen.

Ob meine Chefin sich freuen würde, wenn ich mir Hilfe von einer KI hole, ist die eine Frage. Die andere: Müssen wir Menschen dann immer weniger wissen?

Einstein sagte, man müsse die Dinge nicht wissen, wenn man wisse, wo man sie nachschauen kann. Wenn man von einer neuen Dimension dieses Phänomens sprechen kann, dann sicherlich im Hinblick darauf, dass Wissen unglaublich breit verfügbar geworden ist. Erst mit dem Internet und Suchmaschinen, jetzt damit, dass das Wissen dialogbasiert über KI wie etwa ChatGPT abrufbar ist.