Ingenieurbaupreis für Baukunst mit Schweizer Beitrag

Elegant, effizient und wegweisend: Die feingliedrige Stadtbahnbrücke in Stuttgart-Degerloch wurde mit dem Deutschen Ingenieurbaupreis 2022 ausgezeichnet – wegen ihrer innovativen Konstruktion als Netzwerkbogen-Brücke mit kohlefaserverstärkten Kunststoffseilen. Eine Premiere, die auch Fachleute der Empa und ihres Spin-offs Carbo-Link AG mit langjähriger Forschungs- und Entwicklungsarbeit möglich machten.
Neuer Werkstoff für eine klassische Konstruktion: Die Seile aus kohlefaserverstärktem Kunststoff und ihre Befestigung an den beiden Brückenbögen. (Bild: sbp/Andreas Schnubel)

Die Jury des bedeutenden deutschen Staatspreises für Baukonstruktionen begründete ihre Entscheidung damit, dass «die Netzwerkbogenbrücke mit kohlefaserverstärkten Kunststoffseilen mit Carbon-Hängern als Innovation weltweit ein überaus gelungenes Beispiel für die Ingenieurbaukunst ist und prägende Antworten auf aktuelle Fragestellungen im Bauwesen gibt».

Der Preis ist mit 30'000 Euro dotiert und geht an das international tätige Ingenieurbüro schlaich bergermann partner, sbp, mit Hauptsitz in Stuttgart, das die Brücke von den ersten Entwürfen bis zum fertigen Bauwerk umsetzte – mit tatkräftiger Unterstützung von Fachleuten der Empa und der Firma Carbo-Link AG in Fehraltorf, die als Spin-off-Unternehmen der Empa entstand und ihre Erfahrung mit kohlefaserverstärkten Kunststoffen (CFK) einbringen konnte.

Eine Idee, viele Experimente

Ursprünglich war die Brücke mit herkömmlichen Stahlhängern geplant worden, bevor Lorenz Haspel aus dem sbp-Team die Idee hatte, die Stahlseile durch vorgespannte CFK-Hänger zu ersetzen. Der Startschuss zu umfangreichen Vorarbeiten war ungewöhnlich: Für neue Produkte und Konstruktionen dieser Art ist in Deutschland eine bauaufsichtliche Zulassung nötig – in diesem Fall war für das völlig neue Bauprodukt eine «Zustimmung im Einzelfall» möglich, die wiederum den detaillierten Nachweis der Eignung erforderte.

Im Oktober 2016 begannen Empa-Fachleute um Masoud Motavalli von der Abteilung «Ingenieur-Strukturen» mit Experimenten, die auch den Langzeit-Einsatz von Prototypen im Bahnbetrieb und die entsprechenden Belastungen simulierten. Die Empa-Gutachter Urs Meier – ein Pionier der CFK-Forschung – und Peter Richner, heute stellvertretende Direktor der Empa, analysierten und bewerteten die umfangreichen Daten. Neben «Ermüdungs»-Eigenschaften der CFK-Seile beachteten sie auch Fragen zu Witterungsbeständigkeit, Blitzschlag oder Brand; zudem wurde der Einfluss elektrischer und magnetischer Felder sowie Vandalismus einkalkuliert.

Im Mai 2017 schickten Meier und Richner schliesslich ihr Gutachten nach Stuttgart – und knapp ein Jahr später traf endlich ein Schreiben der baden-württembergischen Zulassungsbehörde ein, das die Verwendung von CFK-Hängern beim Bau der Brücke über die Autobahn A8 unter bestimmten Auflagen erlaubte.

Effizientes Tragwerk – und damit kostengünstig

Obwohl Kostenfragen das Projekt zwischenzeitlich in Frage stellten, zeigte sich am Ende, dass die Variante der schlanken CFK-Hängeseile letztlich günstiger war als eine Konstruktion mit herkömmlichen Stahlseilen. Und in puncto Nachhaltigkeit belegten Empa-Forscher später mit Analysen an einem anderen Projekt, dass auch die CO2-Emissionen und der Energieverbrauch bei dem «neuen» Werkstoff deutlich niedriger sind als für die Stahlvariante.

Angesichts der Vorteile von kohlefaser-verstärkten Kunststoffen glaubt CFK-Pionier Urs Meier, dass sie im Bauwesen sukzessive weitere Anwendungsbereiche erobern werden – so wie dies auch im Flugzeugbau geschah. Die Ehrung mit dem Deutschen Ingenieurbaupreis, so der Fachmann, dürfte dies fördern.

Bedeutende Auszeichnung für Glanzleistungen

Der Deutsche Ingenieurbaupreis ist eine renommierte Auszeichnung und wurde bereits zum vierten Mal in gemeinsamer Trägerschaft des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und der Bundesingenieurkammer ausgelobt. Er wird im Zweijahresrhythmus verliehen. Das Wettbewerbsverfahren wurde vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung durchgeführt – mit einer Jury aus sieben anerkannten Fachleuten. Neben dem Hauptpreis für die Stuttgarter Brücke wurden drei Auszeichnungen mit jeweils 5000 Euro Preisgeld und eine Anerkennung mit 3000 Euro vergeben.