Von welchen Faktoren hängt es ab, ob wir bleiben oder umziehen?

Was macht eine Wohnung zu einem Ort, den wir unser Zuhause nennen wollen? Und warum fällt es uns so schwer, umzuziehen, selbst wenn eine Verkleinerung der Wohnung die logische Wahl wäre? Um diese Fragen zu beantworten, befragte ein Team von EPFL-Forschenden 968 Mieterinnen und Mieter in der Schweiz.
Das wichtigste Ergebnis von Paganis Doktorarbeit ist ein neues Computermodell für Genossenschaftsbesitzer und Vermieter. © iStock 2021

Die Wohnungen in der Schweiz sind in den letzten vier Jahrzehnten deutlich grösser geworden – genau wie unsere Autos, Fernseher und Taillen. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf ist von 32 m² im Jahr 1980 auf 46 m² im Jahr 2019 gestiegen, und diese Zahl wird voraussichtlich weiter steigen.

Was steckt hinter diesem wachsenden Platzbedarf? Wie können wir diesen Trend umkehren, um das Wohnen ökologisch nachhaltiger zu gestalten? Und vor allem: Wie können wir unsere Wohnungen verkleinern, ohne unseren Lebensstandard zu beeinträchtigen? Claudine Karlen, Anna Pagani und Claudia Binder vom Laboratory on Human-Environment Relations in Urban Systems (HERUS) der EPFL gehen diesen Fragen in einem Artikel nach, der im Journal of Housing and the Built Environment veröffentlicht wurde. Ihre Forschungsarbeit berührt einige sensible Themen im Zusammenhang mit Wohnen, die bisher noch nie in dieser Tiefe untersucht wurden.

«Ein nachhaltigerer Ansatz für dieses Segment des Wohnungsmarktes könnte in den nächsten zehn Jahren einen grossen Unterschied machen.»      Anna Pagani

Nationales Forschungsprogramm

Der Wohnungsbau ist der zweitgrösste Verursacher von Energieverbrauch und CO2-Emissionen in der Schweiz, gleich nach dem Verkehr. Und wenn das aktuelle Wachstumstempo anhält, wird es keine andere Möglichkeit geben, als weiterhin neue Wohnungen auf der grünen Wiese ausserhalb der Stadtzentren zu bauen. 2017 lancierte die Schweizer Regierung ein nationales Forschungsprogramm zur Ressourceneffizienz, auch in der Wohnungswirtschaft. Professor Philippe Thalmann vom Labor für Umwelt- und Stadtökonomie (LEURE) der EPFL betreut derzeit eine Doktorarbeit, die sich mit den Faktoren befasst, die die Entscheidungen von Hausbesitzenden über Renovierung, Abriss oder Neubau von Wohnungen beeinflussen. Eine weitere Doktorarbeit an der ETH Zürich untersucht den ökologischen Fussabdruck von Häusern, insbesondere im Hinblick auf Baumaterialien und Energieverbrauch. Die HERUS-Forscherinnen konzentrierten sich auf die Miterinnen und Mieter, da sie wussten, dass ihre Forschung einen entscheidenden Einfluss haben könnte: «Etwa 60 % der Schweizer Bevölkerung wohnen zur Miete», sagt Pagani, Architektin und Doktorandin, «ein nachhaltigerer Ansatz für dieses Segment des Wohnungsmarktes könnte in den nächsten zehn Jahren einen grossen Unterschied machen.»

Fragebogen und Interviews

Im Herbst 2019 verschickten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Fragebogen und organisierten Gruppendiskussionen mit Mieterinnen und Mietern von zwei Genossenschaften – der Société Coopérative d'Habitation Lausanne (SCHL) und der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) – sowie von der Versicherungsgesellschaft Swiss Mobiliar, die zusammen 10 000 Wohnungen repräsentieren. Auf die Umfrage gingen 968 Antworten ein. Die Mieterinnen und Mieter wurden gefragt, was sie dazu veranlasst hat, in ihre jetzige Wohnung zu ziehen, und was sie dazu veranlassen könnte, in Zukunft wieder umzuziehen.

Wichtige Funktionen des Hauses

Etwa 40 % der Befragten zogen in eine grössere Wohnung um, obwohl sich ihre Haushaltsgrösse verringert hatte. Auf die Frage nach einem möglichen zukünftigen Umzug gaben nur 25 % der Befragten an, dass sie zu einer Verkleinerung bereit wären, wenn sich ihr Haushalt verkleinern würde. In 46 % der Fälle gaben die Befragten an, dass sie nicht bereit wären umzuziehen, weil sie an ihrer jetzigen Wohnung hängen, während 30 % angaben, dass sie ihre jetzige Wohnung bereits zu klein finden. Weitere Gründe waren die gute Lage und die günstige Miete (jeweils 7 %) sowie die Verbundenheit mit der aktuellen Nachbarschaft und der Gemeinde. «Wir haben diese Präferenzen in neun Funktionen zusammengefasst», erklärt Pagani, und wir haben festgestellt, dass mehrere von ihnen einer Verkleinerung der Wohnung im Wege stehen: zum Beispiel Statussymbol, d. h. unsere Wohnung spiegelt unseren sozialen Status wieder; Beständigkeit, d. h. unsere Verbundenheit mit der aktuellen Wohnung und der Nachbarschaft; Privatsphäre, die zunimmt, wenn unsere Wohnungen mehr Platz pro Haushaltsmitglied bieten.

Mehrere mögliche Antworten

Ein Rentnerehepaar davon zu überzeugen, aus einer grossen Wohnung im Stadtzentrum auszuziehen, ist keine leichte Aufgabe. Ebenso wenig ist es möglich, eine Nachbarin oder einen Nachbarn davon abzuhalten, in eine grössere Wohnung zu ziehen, nur weil sie/er etwas mehr Platz haben möchte. Die Forschenden schlagen mehrere mögliche Lösungen vor, darunter die Einführung finanzieller Anreize, um die Menschen zum Umzug zu bewegen, die Sicherstellung eines ausreichenden Angebots an kleinen Wohnungen im Stadtzentrum mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und das Vorhandensein von Wohnungen unterschiedlicher Grösse im selben Gebäude, damit die Menschen umziehen können, ohne den Kontakt zu Freunden und Nachbarn zu verlieren. Ausserdem empfehlen sie, Downsizern den Vorrang vor anderen potenziellen Mietern zu geben.

«Wir sollten unser Konzept für den Schutz der Privatsphäre im gesamten Gebäude überdenken, z. B. durch die Bereitstellung von Werkstätten und Musikräumen, die von den Mietenden dazugemietet werden können.»      Anna Pagani

Workshops und Musikräume zur Miete

Pagani plädiert dafür, «unsere Herangehensweise an die Privatsphäre auf der Ebene des gesamten Gebäudes zu überdenken, beispielsweise durch die Bereitstellung von Werkstätten und Musikräumen, die von den Mietenden dazugemietet werden können», und fordert eine grössere Flexibilität bei der Gestaltung von Gebäuden, um sich an die Entwicklung der Haushalte anzupassen und das Bedürfnis nach Beständigkeit zu erfüllen. Und was das Haus als Statussymbol angeht, so verweist sie auf die Schlüsselrolle, die Medien, Architektur- und Designfachleute bei der «Schaffung eines neuen 'nachhaltigen' Statussymbols spielen können, indem sie sich beispielsweise für kleinere Wohnungen einsetzen, die einen hohen Lebensstandard bieten.»

Computermodell

Das wichtigste Ergebnis von Paganis Doktorarbeit ist ein neues Computermodell, in das sie die Ergebnisse der Studie einfliessen liess. Genossenschaftsbesitzende und Vermietende können das Modell nutzen, um die Auswirkungen von Massnahmen zur Verringerung des ökologischen Fussabdrucks von Wohnungen zu bewerten und dabei die Präferenzen der Mietenden zu berücksichtigen.