Paraplegiker kann durch die Kraft seiner Gedanken wieder gehen

Neurowissenschaftlerinnen und -chirurgen der EPFL/CHUV/UNIL und des CEA/CHUGA/UGA in Grenoble berichten in der Fachzeitschrift Nature, dass sie die Kommunikation zwischen Gehirn und Rückenmark mit einer drahtlosen digitalen Brücke wiederhergestellt haben, so dass eine gelähmte Person wieder auf natürliche Weise gehen kann.
Gert-Jan und Andrea Galvez, Doktorandin, beim Spaziergang am Sauvabelin-See in Lausanne. Foto Gilles Weber, CC-BY-SA

«Wir haben eine drahtlose Schnittstelle zwischen dem Gehirn und dem Rückenmark mit Hilfe der Brain-Computer-Interface-Technologie (BCI) geschaffen, die das Denken in Handeln umwandelt», fasst Grégoire Courtine, Professor für Neurowissenschaften an der EPFL, dem CHUV und der UNIL, zusammen. Die in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie «Walking naturally after spinal cord injury using a brain-spine interface» beschreibt die Situation des 40-jährigen Gert-Jan, der nach einem Fahrradunfall eine Rückenmarksverletzung erlitt, die ihn lähmte. Die digitale Brücke ermöglichte es ihm, die natürliche Kontrolle über die Bewegung seiner gelähmten Beine wiederzuerlangen, so dass er stehen, gehen und sogar Treppen steigen konnte. Gert-Jan erklärt, dass es ihm wieder Spass macht, mit Freunden in einer Bar stehend ein Bier zu trinken: «Dieses einfache Vergnügen bedeutet eine wichtige Veränderung in meinem Leben.»

Eine digitale Brücke mit zwei elektronischen Implantaten: eines im Gehirn, das andere im Rückenmark

Um diese digitale Brücke zu schlagen, sind zwei Arten von elektronischen Implantaten erforderlich. Die Neurochirurgin Jocelyne Bloch, Professorin am CHUV, an der UNIL und an der EPFL, erklärt: «Wir haben WIMAGINE®-Geräte über der Hirnregion implantiert, die für die Steuerung der Beinbewegungen verantwortlich ist. Diese vom CEA entwickelten Geräte ermöglichen es, die elektrischen Signale zu entschlüsseln, die das Gehirn erzeugt, wenn wir an das Gehen denken. Ausserdem haben wir einen Neurostimulator, der mit einem Elektroden-Array verbunden ist, über dem Bereich des Rückenmarks angebracht, der die Bewegung der Beine steuert.»

Guillaume Charvet, Leiter des BCI-Programms am CEA, fügt hinzu: «Dank Algorithmen, die auf Methoden der adaptiven künstlichen Intelligenz beruhen, werden die Bewegungsabsichten in Echtzeit aus den Gehirnaufzeichnungen entschlüsselt», und diese Absichten werden dann in Sequenzen elektrischer Stimulation des Rückenmarks umgewandelt, die wiederum die Beinmuskeln aktivieren, um die gewünschte Bewegung zu erreichen. Diese digitale Brücke funktioniert drahtlos und ermöglicht es dem Patienten, sich unabhängig zu bewegen.

Wiederherstellung der neurologischen Funktionen

Die von der digitalen Brücke unterstützte Rehabilitation ermöglichte es Gert-Jan, neurologische Funktionen wiederzuerlangen, die er seit seinem Unfall verloren hatte. Die Forschenden konnten bemerkenswerte Verbesserungen seiner Sinneswahrnehmungen und motorischen Fähigkeiten feststellen, selbst wenn die digitale Brücke ausgeschaltet war. Diese digitale Reparatur des Rückenmarks deutet darauf hin, dass sich neue Nervenverbindungen entwickelt haben.

Bislang wurde die digitale Brücke nur an einer Person getestet. Jocelyne Bloch und Grégoire Courtine erklären, dass eine vergleichbare Strategie in Zukunft auch zur Wiederherstellung von Arm- und Handfunktionen eingesetzt werden könnte. Sie fügen hinzu, dass die digitale Brücke auch bei anderen klinischen Indikationen, wie z. B. bei Lähmungen infolge eines Schlaganfalls, eingesetzt werden könnte. Das Unternehmen ONWARD Medical hat zusammen mit dem CEA und der EPFL von der Europäischen Kommission über den Europäischen Innovationsrat (EIC) Unterstützung erhalten, um eine kommerzielle Version der digitalen Brücke zu entwickeln, mit dem Ziel, die Technologie weltweit verfügbar zu machen.

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Finanzierung

Diese Arbeit wird unterstützt von:

Defitech Foundation, Rolex Award for Enterprise, International Foundation for Research in Paraplegia, Translational Medical Research Award 2021 der Leenaards Foundation, Pictet Group Charitable Foundation, ONWARD medical, Medtronic, Schweizerischer Nationalfonds über den Nationalen Forschungsschwerpunkt Robotik (51NF40-185543), Sinergia (CRSII5-183519), das Lead Agency Programm mit der Französischen Nationalen Forschungsagentur (Think2Move SNF-32003BE-205563, ANR-21-CE19-0038), A F Harvey Prize award, Schweizerische Innovationsagentur InnoSuisse (CTI-41871.1 IP-LS Bridge), Eurostars (E!12743 Confirm und E!113969 Prep2Go), die Europäische Kommission (ERC-2019-PoC Braingait 875660, EIC 2021-TransitionChallenges-01-01 ReverseParalysis 101057450, Horizon-EIC-2021-Pathfinderchallenges-01-02 NEMO-BMI 101070891), Fonds de dotation Clinatec (WIMAGINE Implantatentwicklung) und das Institut Carnot Leti.

Referenzen

Henri Lorach et. al., Walking naturally after spinal cord injury using a brain–spine interface, Nature, 24 Mai 2023