Kontakt zwischen zwei Fäden erklärt durch Theorie und Experimente

Maschinenbauingenieurinnen und Mathematikerinnen der EPFL haben sich zusammengetan, um die Geometrie und die Mechanik zweier sich berührender Fasern – wie bei Knoten und Geweben – besser zu verstehen.
© 2021 EPFL

Pedro Reis, Leiter des EPFL-Labors für flexible Strukturen, und John Maddocks, Leiter des EPFL-Labors für Berechnung und Visualisierung in Mathematik und Mechanik, haben etwas gemeinsam: eine Faszination für Seile und Knoten. Der Ingenieur Reis ist begeisterter Bergsteiger, während Maddocks, Mathematiker, eine Leidenschaft für das Segeln hat. Doch ihr gemeinsames Interesse an Knoten beschränkt sich nicht auf ihre Hobbys, denn Knoten werden in einer Vielzahl von Anwendungen eingesetzt – man denke nur an chirurgisches Nahtmaterial. Und obwohl Knoten seit Anbeginn der Zeit Teil unseres täglichen Lebens sind, wird ihre Mechanik immer noch wenig verstanden.

Ein vereinfachter Knoten

Reis, Maddocks und die Forschenden in ihren Labors haben eine bestimmte Konfiguration des Kontakts zwischen zwei Fäden untersucht – die orthogonale Verschlingung –, die als der grundlegendste Baustein für jeden Knoten angesehen wird: «Diese Verschlingung ist der einfachste aller Knoten; oder genauer gesagt, es ist die Verbindung, auf der Knoten basieren. Es ist auch der am meisten verwendete Knoten. Man findet ihn zum Beispiel in den Fadenmustern unserer Kleidung», sagt Reis. Er, Maddocks und ihr Forschungsteam haben den Kontaktbereich zwischen den beiden Fäden detailliert untersucht, und ihre Ergebnisse wurden gerade in den Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) veröffentlicht.

Seit über 30 Jahren erforscht Maddocks (unter anderem) die mathematischen Theorien, die die Mechanik von Knoten erklären, insbesondere die komplexe Geometrie der Kurven, die den Kontaktbereich zwischen den Fäden bilden. Im Jahr 2003 veröffentlichte sein damaliger Kollege Eugene Starostin eine Arbeit speziell über die orthogonale Klammer. Die Kontaktzone ähnelt einer Raute, und die vier Ecken markieren die Hauptdruckspitzen. Seine Theorie konnte jedoch aufgrund technischer Einschränkungen nie empirisch bestätigt werden. «Als Pedro und ich beschlossen, zusammenzuarbeiten, fragten wir uns, ob Starostins frühere Ergebnisse in der Praxis noch relevant sind», sagt Maddocks. «Wir haben dann Tests, Messungen und Experimente durchgeführt, um diese Frage zu beantworten.» Reis fügt hinzu: «Die Kontaktregion wurde immer nach einer idealen Hypothese berechnet, aber nie experimentell überprüft.»

Prüfen des Erstbefundes

Die Forschenden in Reis' Labor führten Experimente mit einem Tomographen durch, der mit Hilfe von Röntgenstrahlen und Computermodellen 3D-Bilder von Objekten erzeugt: «Mit der Tomographie können wir in den Kontaktbereich zwischen den beiden Fäden hineinschauen. Unsere experimentellen Ergebnisse haben wir dann mit Computersimulationen untermauert. Wir hatten nicht erwartet, eine so heterogene Druckverteilung zwischen den beiden Fäden vorzufinden», sagt Paul Grandgeorge, ein Postdoc in Reis' Labor. Ihre Experimente zeigten, dass der Druckbereich zwischen zwei Fäden mit Starostins früheren geometrischen Berechnungen übereinstimmte. «Das ist ein kleiner Schritt vorwärts im Verständnis von Fäden in Kontakt», sagt Maddocks.

Die Capstan-Gleichung

Angespornt durch diese Ergebnisse wollte das Forscherteam noch einen Schritt weiter gehen. Deshalb untersuchten sie den Kontaktbereich zwischen zwei Fasern unter dem Einfluss von Reibung. Ihre erste Hypothese war, dass sich die Reibung durch die Spill-Gleichung erklären lässt: «Das Konzept hinter der Spill-Gleichung ist einfach: Wenn ein Seil um ein zylindrisches Rohr, wie zum Beispiel einen Festmacherpoller, gewickelt wird, sind die Spannungen in den beiden hängenden Litzen getrennt. Je mehr Schlaufen sich um das Rohr befinden, desto grösser ist der Unterschied in der Spannung zwischen den beiden Litzen. Wir sind davon ausgegangen, dass wir mit dieser Gleichung das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Litzen in unseren Experimenten berechnen können», sagt Grandgeorge.