EPFL

«Die Magie von 8 und 24»

Maryna Viazovska, Professorin für Zahlentheorie, hat eine mathematische Frage gelöst, welche Forschende seit Jahrhunderten umgetrieben hat. Mit einem kreativen Ansatz und dem Wissen ihrer Dissertation zeigt sie, wie sich in einem mehrdimensionalen Raum Kugeln optimal, symmetrisch und raumfüllend verpacken lassen. Dafür wurde sie mit der Fields-Medaille ausgezeichnet – so etwas wie der Nobelpreis für Mathematik.
Im Jahr 2022 hat Maryna Viazovska die renommierte Fields-Medaille erhalten, die «Internationale Medaille für herausragende Entdeckungen in der Mathematik», wie sie offiziell heisst. (© ETH-Rat / Kellenberger Photographie)

Am Anfang steht meist ihr schwarzes Notizbuch. Dort hält Maryna Viazovska die Resultate ihrer Denkarbeit fest. Komplizierte Formeln. Maryna Viazovska ist Mathematikerin und Professorin am Lehrstuhl für Zahlentheorie der EPFL. Die Wissenschaft des Rechnens, der Zahlen, der geometrischen Figuren ist ihre Passion. Mit zwölf Jahren hatte sie in ihrer ukrainischen Heimat erfolgreich an Schul-Mathematik-Olympiaden teilgenommen. 25 Jahre später, im Jahr 2022, mit 37 Jahren, hat sie die renommierte Fields-Medaille erhalten, die «Internationale Medaille für herausragende Entdeckungen in der Mathematik», wie es offiziell heisst. Diese, nach dem kanadischen Stifter John Charles Fields (1864–1932) benannte Auszeichnung, wird seit 1936 alle vier Jahre vergeben und gilt als «Nobelpreis der Mathematik». Nach 60 Forschenden hat Viazovska als zweite Frau das begehrte Edelmetall bekommen. Für den «Beweis, dass das E8-Gitter die dichteste Packung identischer Kugeln in acht Dimensionen liefert, und weitere Beiträge zu verwandten Extremproblemen», so die Begründung der Internationalen Mathematischen Union, die den Preis vergibt.

Das klingt kompliziert und ist es auch. Es geht um die grundlegende Frage, wie viele gleiche, sich nicht überlappende Kugeln sich in ein bestimmtes Volumen packen lassen. Forschende beschäftigt dies seit geraumer Zeit. Der deutsche Mathematiker Johannes Kepler etwa propagierte bereits 1611, dass dies im dreidimensionalen Raum am besten in Form einer Pyramide gelinge. Einen Beweis jedoch hatte er nicht. Dieser gelang erst im Jahr 1998. Damit war diese Frage zumindest im dreidimensionalen Raum geklärt. Allerdings: In der Mathematik existieren unzählige Dimensionen, in denen sich die gleiche Frage stellen lässt. «Das ist pure Abstraktion», sagt Viazovska, «ein dreidimensionaler Raum verfügt über drei Koordinaten, in einem achtdimensionalen Raum hat ein Punkt acht Koordinaten.»

Dort hat sie zunächst geforscht. «Es ging um die Frage, wie sich der abstrakte Raum optimal bis zur Obergrenze mit Kugeln füllen lässt», erklärt die Forscherin. Die Dimension 8 hat sich angeboten, weil Vorarbeiten existierten. So hatten Henry Cohn, Mathematiker am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard-Wissenschaftler Noam Elkies bereits vor über zehn Jahren nachgewiesen, dass in dieser Dimension eine nahezu perfekte Packung der Kugeln möglich ist – perfekt, bis auf ein Milliardstelprozent. Viazovska entwickelte diese Arbeiten weiter, kombinierte verschiedene mathematische Bereiche und nahm auch «modulare Formen» zu Hilfe – das Schwerpunkthema ihrer Dissertation.

Im März 2016, nach zwei Jahren intensiver Arbeit, entwickelte sie die definitive Funktion und lieferte auf 23 Seiten den Beweis für die perfekte Packung der Kugeln im achtdimensionalen Raum. Die Fachwelt war beeindruckt, MIT-Forscher Cohn gratulierte und motivierte sie, ihre Methode auf die Dimension 24 auszudehnen, auf das sogenannte Leech-Gitter, das zur Konstruktion besonders effizienter Kugelpackungen im 24-dimensionalen Raum verwendet wird. Eine Woche später stellte Viazovska zusammen mit Cohn und zwei weiteren Wissenschaftlern ein Theorem auf die Open-Source-Plattform arXiv.org, das die Perfektion der Packung mit dem Leech-Gitter in Dimension 24 beweist und damit auch die Bedeutung ihrer ursprünglich für die Dimension 8 entwickelten Idee bestätigte.

««Es ging um die Frage, wie sich der abstrakte Raum optimal bis zur Obergrenze mit Kugeln füllen lässt.»      Maryna Viazovska, Professorin an der EPFL

Die EPFL wurde auf die begabte Nachwuchsforscherin aufmerksam, holte sie als Assistenzprofessorin an den Lac Léman. Später publizierte sie ihre Forschungsergebnisse in den «Annals of Mathematics», einem führenden Fachjournal der Mathematik. Seit 2018 ist sie Ordinaria für Zahlentheorie an der EPFL. Dass sie sich für diese entschieden hat, kommt nicht von ungefähr: Neben dem Ruf der Hochschule war entscheidend, dass diese Hand bot bei einer dualen Karriere: So konnte auch ihr Ehemann, ebenfalls Naturwissenschaftler, dort eine Anstellung finden und die vierköpfige Familie an einem Ort forschen und leben.

Mathematik sei überall im Alltag

«Ich leiste Grundlagenforschung», so Viazovska, doch durchaus mit dem Ziel und der Hoffnung, dass diese Interpolationsformeln Anwendung finden, zum Beispiel bei der Lösung von Differentialgleichungen oder auch bei der Signalverarbeitung. Mathematik sei schliesslich überall im Alltag zugegen, meistens ohne, dass der Mensch etwas davon bemerke. «Ohne Mathematik, kein Skype», meint sie, «oder kein optimierter SBB-Fahrplan». Für Viazovska aber zählt «die Magie von 8 und 24.» So lautete auch der Titel der Laudatio bei der Verleihung der Fields-Medaille.