Das Klimasystem beruht auf mikroskopisch kleinen Teilchen

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL und des Mediterranean Institute of Oceanography (MIO) haben eine neue Quelle für organischen Phosphor entdeckt, der über atmosphärische Partikel weit entfernte marine Ökosysteme düngt. Diese Entdeckung könnte den Forschenden helfen, besser zu verstehen, wie marine Ökosysteme auf den Klimawandel reagieren.
Die vielen Formen und Farben des Phytoplanktons. Diese Mikroalgen, die auf der Oberfläche von Seen, Meeren und Ozeanen leben, sind für das Klima und das Leben auf der Erde unerlässlich. ©iStock

Das Klima der Erde ist ein äusserst komplexes System, das von einem subtilen Gleichgewicht vieler verschiedener Prozesse angetrieben wird – ein wichtiger davon ist der CO2-Austausch zwischen Luft und Meer. Die Überwachung der CO2-Aufnahme durch den Ozean ist der Schlüssel zum Verständnis des Klimawandels. Forschende der EPFL und des Mediterranean Institute of Oceanography (MIO, Frankreich) haben kürzlich einen neuen Teil dieses Prozesses entdeckt. Sie haben eine neue Quelle für organischen Phosphor aus der Atmosphäre identifiziert, die möglicherweise das Wachstum von Phytoplankton und Mikroalgen fördert, die eine entscheidende Rolle für die Bewohnbarkeit unseres Planeten spielen. Die Ablagerung von organischem Phosphor in der Meeresumwelt wurde bisher nicht untersucht, aber diese bahnbrechende Arbeit hat gezeigt, dass es sich um eine wichtige – und völlig übersehene – Quelle des kritischen Nährstoffs handelt, die wichtige Auswirkungen auf das Klima hat. Die Ergebnisse der Forschenden wurden kürzlich in der Zeitschrift Nature npj Climate and Atmospheric Science veröffentlicht.

Phytoplankton, das in den Oberflächenschichten von Seen, Meeren und Ozeanen lebt, benötigt für sein Wachstum eine Reihe von chemischen Elementen, vor allem Eisen, Stickstoff und Phosphor. Ein Überfluss an diesen Nährstoffen ermöglicht es dem Phytoplankton zu blühen und die kritische Funktion der Photosynthese auszuführen, bei der grosse Mengen an CO2 aus der Luft aufgenommen und in Biomasse umgewandelt werden, während gleichzeitig Sauerstoff freigesetzt wird. Damit sind sie für die Lebewesen von grosser Bedeutung und spielen eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Erdklimas. Das Phytoplankton bildet auch die Grundlage der aquatischen Nahrungskette, die die Meeressysteme aufrechterhält.

Das Angebot und die Bioverfügbarkeit von Phosphor beeinflussen die Wachstumsrate des Phytoplanktons, die Photosyntheserate und damit die CO2-Aufnahme. Es ist daher wichtig, alle Arten der Düngung von Meeresökosystemen zu ermitteln; dies kann wichtige Erkenntnisse über das Klimasystem und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf dieses System liefern.

«Die Erkenntnis, dass terrestrische Ökosysteme marine Ökosysteme über Bioaerosole befruchten können, eröffnet uns eine völlig neue Perspektive.»      Athanasios Nenes, Mitautor der Studie

Das vollständige Bild

«Forschende wussten bereits, dass grosse Mengen anorganischen Phosphors in Form von Phosphatmineralien und -ionen durch Staub aus der Luft in marine Ökosysteme gelangen. Aber das ist ein unvollständiges Bild», erklärt Kalliopi Violaki, Hauptautorin der Studie und Wissenschaftlerin am Labor für atmosphärische Prozesse und ihre Auswirkungen (LAPI), das zur School of Architecture, Civil and Environmental Engineering (ENAC) der EPFL gehört.

Kalliopi Violaki organisierte und leitete ein zweijähriges Forschungsprogramm am MIO. In dieser Zeit entdeckte sie, dass Bioaerosole – in der Luft befindliche biologische Partikel wie Viren, Bakterien, Pilze, Pflanzenfasern und Pollen – erhebliche Mengen an organischem Phosphor enthalten. Obwohl die genaue Menge noch unklar ist, wissen wir, dass sie bedeutend ist, da sie mit der Menge an anorganischem Phosphor vergleichbar ist, die Staubaerosole liefern. Ausserdem kommt organischer Phosphor häufig in Form von Phospholipiden vor, einer Schlüsselkomponente von Zellmembranen.

«Die Erkenntnis, dass terrestrische Ökosysteme marine Ökosysteme über Bioaerosole düngen können, eröffnet uns eine völlig neue Perspektive», sagt Athanasios Nenes, Leiter des LAPI und Mitautor der Studie, «dieses Wissen wird uns helfen, die Prozesse, die den Kohlenstoffkreislauf und das Klima beeinflussen, besser zu verstehen.»

Eine wichtige Entdeckung

Organischer Phosphor wurde bisher noch nicht in Klimamodelle einbezogen, aber dies könnte sich als wichtige Verbesserung erweisen, um zu verstehen, wie marine Ökosysteme auf die anhaltende Klimakrise reagieren. Die Meeresschichten unterscheiden sich in Bezug auf Dichte, Temperatur, Sauerstoffgehalt und Salzgehalt voneinander, und der Klimawandel führt zu weiteren Veränderungen. Dadurch wird die Durchmischung zwischen den Schichten erschwert und die CO2-Absorption gestört. Mit der zunehmenden Schichtung des Ozeans wird es auch für die in der Tiefsee verfügbaren Nährstoffe schwieriger, die verschiedenen Schichten zu erreichen. Dies könnte sich nachteilig auf die marinen Lebensräume und die Nahrungsgrundlage vieler mariner Arten auswirken, insbesondere in abgelegenen Gebieten mit begrenzter Phosphorversorgung. Die neue Phosphorquelle könnte die voraussichtliche Reaktion des Mittelmeers (und anderer Meere) auf den Klimawandel völlig verändern.

Diese Studie zeigt, wie wichtig die atmosphärischen Partikel für die Umwelt sind. Obwohl sie nur mikroskopisch klein sind, könnten Schwankungen in ihrem Angebot grosse Veränderungen im gesamten Klimasystem bewirken. Die Forschenden werden daher weitere Forschungsarbeiten durchführen, um diese neue Quelle für organischen Phosphor und ihre möglichen Auswirkungen auf das Erdklima besser zu verstehen.