Schweizer Bevölkerung bevorzugt strenge Food-Waste-Regeln

ETH-Forschende zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung bereit ist, für die Reduktion von Food Waste tiefer ins Portemonnaie zu greifen. Sie bevorzugt staatliche Vorschriften, die strenge Reduktionsziele vorgeben und eine transparente Kontrolle der Umsetzung garantieren.
Der in der Schweiz verursachte Food Waste belastet das Klima in etwa gleich, wie der halbe motorisierte Individualverkehr auf Schweizer Strassen. (Image: Adobe Stock)

300 Kilogramm einwandfreie Lebensmittel landen in der Schweiz jedes Jahr pro Kopf im Abfall. Weltweit ereilt dieses Schicksal etwa ein Drittel aller Lebensmittel – Tendenz steigend. Verschwendete Lebensmittel – kurz Food Waste – sind zudem für mindestens acht Prozent der weltweiten menschlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Die Schweiz hat sich im Rahmen der Vereinten Nationen darauf verpflichtet, die Nahrungsmittelverluste pro Kopf bis 2030 zu halbieren. Ohne ehrgeizige staatliche Vorschriften ist dieses Ziel kaum zu erreichen. Doch wie stehen Schweizer Bürgerinnen und Bürger zu strengeren Vorschriften gegen Food Waste? Wie müsste man diese gestalten und begründen, damit sie mehrheitsfähig sind? Und wäre die Bevölkerung für weniger Food Waste auch bereit, höhere Kosten in Kauf zu nehmen?

Diesen Fragen widmet sich eine neue Studie der ETH-Forschenden Lukas Fesenfeld, Lukas Rudolph und Thomas Bernauer, die in der Fachzeitschrift Nature Food erschienen ist. Dass das Thema nicht nur von akademischem Interesse ist, zeigt die 2018 von 62 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung abgelehnte «Fair-Food-Initiative». Ein wichtiger Grund: Viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger befürchteten höhere Lebensmittelpreise.

Präferenz für strenge und transparente Regeln

Die Studie der ETH-Forschenden kommt zum Schluss, dass sich die Politik mit einer geeigneten Ausgestaltung und Begründung von Vorschriften zur Verhinderung von Food Waste die Unterstützung der Bevölkerung sichern kann.

«Eine Mehrheit der Schweizer Bürgerinnen und Bürger ist bereit, für strengere Food-Waste-Vorschriften höhere Lebensmittelkosten zu akzeptieren, wenn diese ambitionierte Reduktionsziele vorgeben und transparent überwacht werden», erklärt ETH-Professor Bernauer vom Lehrstuhl für Internationale Politische Ökonomie und Umweltpolitik. Dieses Ergebnis überrascht insofern, da Bürgerinnen und Bürger in anderen Bereichen viel sensibler auf Preiserhöhungen reagieren.

Starke Norm gegen Food Waste

«Ein wichtiger Grund für diese Bereitschaft scheint das Bestehen einer starken Norm gegen Food Waste zu sein. Dass man Lebensmittel nicht wegschmeisst, scheint fest im kollektiven Bewusstsein verankert zu sein», sagt Lukas Fesenfeld, der sowohl an der Universität Bern als auch an der ETH Zürich forscht.

Wenn Bürgerinnen und Bürger an diese Norm erinnert werden, sind sie eher bereit, ehrgeizigen Reduktionszielen zuzustimmen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um eine nationale oder internationale Norm handelt. Diese Erkenntnis kann auch bei anderen Themen genutzt werden: «Kampagnen können vor allem dann etwas bewirken, wenn sie bei Menschen tief verankerte Normen aktivieren», so Fesenfeld.

Staat oder Wirtschaft?

Doch wer soll Vorschriften zur Reduktion von Food Waste erlassen und umsetzen? Der Staat mit verbindlichen Regeln, oder die Lebensmittelindustrie selbst, mit freiwilligen Initiativen? In diesem Punkt deutet die Studie der ETH-Forschenden darauf hin, dass Bürgerinnen und Bürger eine starke Rolle für den Staat sehen.

«Wenn freiwillige Initiativen als wenig ehrgeizig wahrgenommen werden, sieht die Schweizer Bevölkerung den Staat in der Pflicht, strenge Vorgaben mit starker Rechenschaftspflicht für Unternehmen zu erlassen», sagt Mitautor Lukas Rudolph von der Universität München und der ETH Zürich.

Repräsentative Umfrage

Um überprüfen zu können, was die Schweizer Bevölkerung von strengeren Food-Waste-Regeln hält, führten die Wissenschaftler gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt repräsentative Umfrageexperimente bei 3329 Schweizerinnen und Schweizern durch.

Die Studie ist Teil des Schweizer Umweltpanels. Sie hat zum Ziel, reale Entscheidungen möglichst gut zu simulieren. Dass die Ergebnisse von Umfrageexperimenten in der Schweiz mit realen Abstimmungsentscheidungen übereinstimmen, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt.

Reale Entscheidungen durch Experimente simulieren

Die Umfrage konfrontierte die Befragten mit einer Reihe von möglichen Vorschriften: Staatlich verordnete oder von der Privatwirtschaft freiwillig umgesetzte Regeln, ambitionierte oder schwache Reduktionsziele, strenge Kontrollmechanismen oder freiwillige Berichterstattung, zehn Prozent höhere Preise oder keine Preiserhöhung. Anschliessend wurden sie zu ihrer Einstellung gegenüber Food-Waste-Vorschriften befragt. So konnten die Autoren erheben, wie sich unterschiedliche Regeln auf die Haltung der Bevölkerung auswirken.

Ein ähnliches Experiment führten die Forschenden zur Begründung von Food-Waste-Regeln durch. Die Probanden wurden entweder mit keinen, mit nationalen oder internationalen Normen zur Reduktion von Food Waste konfrontiert. Dabei sah eine Gruppe die Aussage, dass alle Staaten der Welt sich im Rahmen der Vereinten Nationen das Ziel gesetzt haben, Lebensmittelabfälle bis zum Jahr 2030 um die Hälfte zu verringern. Einer zweiten Gruppe wurde hingegen die nationale Norm präsentiert, dass eine Mehrheit des Schweizer Parlamentes mit Unterstützung von Abgeordneten des gesamten politischen Spektrums sich diesem Ziel verschrieben hat. Durch dieses sogenannte Framing-Experiment konnten die Forschenden untersuchen, ob sich die Einstellungen der Probanden zu strengeren Food Waste Regeln durch den Verweis auf nationalen oder internationalen Normen ändern.

Schliesslich untersuchten die Forschenden auch, wie sich verschiedene privatwirtschaftliche Initiativen zur Reduktion von Food Waste auf die Zustimmung der Bürger:innen zur stärken staatlichen Food Waste-Regulation auswirken.