Plastikfresser in alpinen Böden gesucht

Können Mikroben aus kalten, alpinen Böden Plastik abbauen? Dies hat eine Studie der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL untersucht. Die Organismen könnten in der Zukunft beim Abbau und beim Recycling von Plastik helfen.
WSL-Mikrobiologe Beat Frey und seine Kollegin Marcia Phillips auf dem Muot da Barba Peider, wo die Bodenproben aus dem Permafrost gesammelt wurden. (Foto: Beat Stierli)

Rückstände von Plastik finden sich mittlerweile überall auf der Welt, sogar im Schnee auf den Bergen oder an den Polen. Gibt es in diesen kalten Regionen Bakterien oder Pilze, die diese Kunststoffe abbauen können? Das wollten die Mikrobiologen Joel Rüthi und Beat Frey von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL wissen. Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur für die Zersetzung der Abfälle vor Ort interessant, sondern auch für den technologischen Plastikabbau, da an Kälte angepasste Mikroorganismen bei tieferen Temperaturen aktiv sind.

Für seine Untersuchung vergrub Rüthi im Labor Plastik in Bodenproben, die aus 3000 Metern Höhe im Engadin stammten: Zwei biologisch abbaubare Sorten, wie sie für Kompostsäcke benützt werden, und ein Stück Polyethylen (PE), aus dem die gewöhnlichen schwarzen Abfallsäcke bestehen. Die Resultate sind im Journal of Hazardous Materials veröffentlicht: Nach fünf Monaten bei 15 Grad Celsius wiesen die beiden abbaubaren Folien kleine Löcher und einen Bewuchs (Biofilm) aus Bakterien und Pilzfäden auf. Das PE dagegen war komplett unverändert. «Die Kompostsäcke wurden zwar teilweise abgebaut, aber bis zur vollständigen Zersetzung würde es sehr viel länger dauern», sagt Rüthi. Deshalb sollten keinesfalls Plastikabfälle in den Alpen – oder sonst irgendwo in der Natur – entsorgt werden, auch nicht solche aus biologisch abbaubarem Plastik.

Molekulares Puzzle

Was genau auf den Folien wuchs und sich anscheinend vom Plastik ernährte, liess sich nur mit genetischen Methoden eruieren. Rüthi zerschnippelte chemisch die gesamte DNA in seinem Biofilm-Proben, vervielfältigte sie und setzte überlappende Sequenzen am Computer zusammen. So entdeckte er Millionen von Genen. Dank Vergleichsdatenbanken konnte er jene herausfiltern, die den Bauplan für molekulare Werkzeuge, sogenannte Enzyme, beinhalten. Diese sind beispielsweise darauf spezialisiert, Substanzen wie langkettige Pflanzenmoleküle wie Lignin und Cutin oder sogenannte Ester (die Bausteine von Polyester) zu zerlegen.

Auf dem kompostierbaren Plastik fanden sich Gene für Enzyme, die solche langen Molekülketten an bestimmten Stellen zerlegen können. «Daraus schliessen wir, dass sich dort Mikroorganismen angesiedelt haben, die chemische Substanzen, wie sie in Plastik vorkommen, abbauen», sagt Rüthi. Auch jene Bakterien, die Luftstickstoff binden und deshalb für gesunde Böden wichtig sind, gediehen gut. Sie nutzten offenbar das Plastik als zusätzliche Energie- und Kohlenstoff-Quelle; insbesondere Letzterer ist in alpinen Böden ansonsten rar. Mit der Studie gelang Rüthi der Nachweis, dass Plastik abbauende Mikroben in den Alpen vorhanden sind und aktiv werden können – wenngleich es bis zur vollständigen Zersetzung Jahre gehen würde.

Neues Plastik aus Abfällen

Zugleich hat er viele neue DNA-Sequenzen entdeckt, aus denen man Plastik abbauende Enzyme gewinnen könnte – die im Gegensatz zu den meisten bisher bekannten auch bei «normaler» Umgebungstemperatur, ohne zusätzliche Wärme, optimal funktionieren. Das Ziel: Plastik wieder in seine Bausteine zu zerlegen und aus diesen dann neue Kunststoffe herzustellen – ohne dass dazu frisches Erdöl nötig ist. Konkrete Versuche, diese Enzyme nutzbar zu machen, gibt es bereits: Die Firma Carbios in Frankreich etwa möchte bis 2025 ein funktionstaugliches PET-Recycling-System zur Marktreife bringen. «Damit wäre eine echte Kreislaufwirtschaft für Plastik möglich», sagt Rüthi. Als nächstes möchte der Forscher nun Böden untersuchen, die er von einer arktischen Expedition mitgebracht hat.