Neues Implantat steuert die Aktivität von Nervenzellen durch Licht

Ein revolutionäres Implantat, das an der EPFL entwickelt wurde, ermöglicht es Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern, bestimmte Neuronen im Rückenmark durch die Anwendung von Licht einer bestimmten Wellenlänge zu aktivieren oder zu hemmen. Es gibt den Forschenden Einblicke in die Funktionsweise des Nervensystems und eröffnet ihnen die Möglichkeit, neue Wege zur Behandlung neurologischer Erkrankungen zu entwickeln.
Das weiche Implantat kann direkt auf die Dura mater unter den Wirbelkörper implantiert werden. © LSBI / EPFL 2021

Grégoire Courtine zögert nicht, das Wort «revolutionär» zu verwenden, wenn er das aufstrebende Gebiet der Optogenetik beschreibt – eine Technologie, die Lichtimpulse zur Steuerung individueller neuronaler Aktivitäten verwendet – und was sie für die Neurowissenschaften bedeuten könnte. Courtine, Leiter des Forschungszentrums NeuroRestore (zusammen mit der Neurochirurgin Jocelyne Bloch), entwickelt derzeit zusammen mit Stéphanie Lacour, Inhaberin des Lehrstuhls der Bertarelli-Stiftung für Neuroprothetik, ein optogenetisches Implantat: «Mit unserem System können wir die Aktivität jedes Neurons im Rückenmark steuern», sagt Courtine, «das wiederum hilft uns zu verstehen, welche Rolle es für die Gesamtfunktion des Nervensystems spielt.»

Der Schlüssel zum Durchbruch liegt in der neuen Implantattechnologie, die Lacours Forschungsgruppe entwickelt hat: «Wir haben einen Weg gefunden, miniaturisierte LEDs in ein flexibles Implantat einzukapseln, das dünn und dennoch stabil genug ist, um es auf der Oberfläche des Rückenmarks einer Maus anzubringen, indem wir es unter die Wirbel entlang des gesamten Lendenabschnitts schieben», erklärt sie. «Dann arbeiteten wir mit unseren Kolleginnen an der ETH Zürich zusammen, um eine drahtlose elektronische Schaltung zu entwickeln, mit der eine oder mehrere LEDs eingeschaltet und die Dauer und Intensität des ausgestrahlten Lichts mit äusserster Präzision gesteuert werden können. Schliesslich können die Lichtimpulse durch ein massgeschneidertes, eingebettetes System-on-Chip auf natürliche Weise gesteuert werden, zum Beispiel als Reaktion auf die Muskelaktivität oder ein anderes physiologisches Signal».

Sich so natürlich wie möglich verhalten

Courtine betont, dass die Fähigkeit des Systems, autonom zu laufen, von entscheidender Bedeutung ist: «Das befreit uns von den drahtgebundenen Systemen, die im Allgemeinen für diese Art von Forschung erforderlich sind. Jetzt können wir Mäuse beobachten, wie sie sich frei bewegen, und die Rolle untersuchen, die Neuronen bei komplexen Bewegungen wie Gehen und Schwimmen in einer ökologischen Umgebung spielen.»

Eine der grössten Herausforderungen bei der Entwicklung der Technologie bestand darin, einen Weg zu finden, Lichtimpulse zu verabreichen, die in die Tiefe des Rückenmarks eindringen, ohne von den Nervenfasern absorbiert und reflektiert zu werden. Um dieses Problem zu lösen, modifizierte das Forschungsteam die LEDs so, dass sie rotes Licht aussenden – eine Farbe, die von den Nervenfasern viel weniger beeinträchtigt wird als das blaue Licht, das die Dioden normalerweise aussenden.

Auf dem Weg zu neuen Therapien

Die Entdeckung von Courtine und Lacour dürfte die Entwicklung neuer therapeutischer Anwendungen für die Optogenetik fördern. Die Fähigkeit, bestimmte Rückenmarksneuronen mit Lichtimpulsen zu stimulieren oder zu hemmen, wird es Ärzten schliesslich ermöglichen, Schmerzen zu lindern, die autonome Funktion zu verbessern und sogar Lähmungen zu behandeln. Bis zur klinischen Anwendung ihrer Implantate ist es zwar noch ein weiter Weg, aber das Forschungsteam ist zuversichtlich, dass eine Version ihres Implantats in nicht allzu ferner Zukunft für menschliche Patientinnen und Patienten verfügbar sein wird.