Neues Zentrum zur Bündelung der Kräfte für den Klimaschutz

Das CLIMACT-Zentrum vereint Fachleute für Klimawandel von der Universität Lausanne und der EPFL. Sein Ziel ist es, eine wirksame Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu bilden. Präsentation und Interviews.
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Es besteht kein Zweifel, die Zeit zum Handeln ist gekommen. Unser Klima verändert sich immer schneller, und die biologische Vielfalt der Erde ist in Gefahr, wie zahlreiche Studien belegen. Um den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen, müssen Fachleute aus den verschiedensten Bereichen zusammenarbeiten. Zu diesem Zweck haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Lausanne und der EPFL zusammengetan und das Center for Climate Impact and Action (CLIMACT) gegründet. Dieses interdisziplinäre Forschungszentrum, das kürzlich eröffnet wurde, soll als Anlaufstelle für Fachleute im Bereich des Klimawandels dienen und eine effiziente Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bilden.

Exekutivdirektor Nicolas Tétreault und die beiden akademischen Co-Direktoren Julia Steinberger (UNIL) und Michael Lehning (EPFL). ©A.Herzog/2021EPFL

Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) hat in diesem Sommer in seinem Sechsten Sachstandsbericht erneut eindringlich vor dem Klimawandel gewarnt. Er wies darauf hin, dass sich die Wettermuster immer schneller ändern und extreme Wetterereignisse – wie Hitzewellen, Rekordtemperaturen, Überschwemmungen und grosse Waldbrände – weltweit immer häufiger auftreten.

«Nichtstun ist keine Option», sagt Nicolas Tétreault, der geschäftsführende Direktor von CLIMACT. «Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen müssen zusammenarbeiten und ganzheitliche Lösungen für diese Herausforderung entwickeln.» Er weist darauf hin, dass das Problem über die blosse Verringerung der Emissionen von Kohlendioxid (CO2), dem häufigsten Treibhausgas, hinausgeht, dessen Anreicherung in der Atmosphäre in den letzten 150 Jahren bereits zu einem globalen Temperaturanstieg von über 1 °C geführt hat. «Das Problem hat viele Dimensionen und muss als solches angegangen werden», sagt Tétreault. Das bedeute, dass wir nicht nur unsere Systeme und Infrastrukturen überdenken müssen, sondern auch unseren Lebensstil.

Ein Zentrum, das es in sich hat

Die Vielschichtigkeit des Klimawandels hat die Gründenden von CLIMACT dazu veranlasst, ein breites Expertengremium zusammenzustellen, das nicht nur aus den Kernbereichen der Natur- und Ingenieurwissenschaften wie Klimatologie, Biologie, Physik und Chemie besteht, sondern auch aus den Geisteswissenschaften – Wirtschaft, Soziologie, Psychologie – sowie aus den Schnittstellen zwischen diesen Bereichen, wie Architektur, Stadtplnaung oder Umwelt. Das Zentrum unterstützt fächerübergreifende Forschung, die sich über beide Universitäten erstreckt und gesellschaftliche, wissenschaftliche und technologische Herausforderungen durch innovative, systemische Ansätze und eine enge Zusammenarbeit mit Wirtschaftsführenden und politischen Entscheidungstragenden angeht. Es hat Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit spezifischen Themen befassen, z. B. mit der Frage, wie Klimafragen besser in die Lehrpläne integriert werden können, welche neuen Studiengänge angeboten werden können und welche Pilotprojekte mit Studierenden und Verbänden beider Universitäten durchgeführt werden können.

Die Kommunikation des Zentrums geht über den akademischen Kreis hinaus und umfasst Materialien, die sich an gemeinnützige Organisationen, Bürgerbewegungen, Journalisten und die breite Öffentlichkeit richten. Die Idee ist, ihnen die Werkzeuge und Ressourcen an die Hand zu geben, die sie benötigen, um die richtigen Fachleute zu finden, die vielen mit dem Klimawandel verbundenen Probleme zu verstehen und die wichtigsten Umweltprozesse zu begreifen. CLIMACT wird ihnen auch dabei helfen, sich in der Masse der verfügbaren Informationen zu diesem Thema zurechtzufinden und Versuche des Greenwashing besser zu erkennen. Die Mitarbeitenden des Zentrums werden mit Hilfe ihrer ausgedehnten Kontaktnetze versuchen, den Klimadiskurs neu zu gestalten und dabei den Schwerpunkt auf die Vorteile und positiven Aspekte des Wandels zu legen, den die Gesellschaft unweigerlich vollziehen muss.

Online-Seminare

CLIMACT arbeitet mit Entscheidungstragenden aus Politik und Wirtschaft zusammen: «Es gibt viele Menschen in der Unternehmenswelt, die über den Klimawandel besorgt sind und etwas dagegen tun wollen», sagt Tétreault, «unsere Idee ist es also, ihnen zu zeigen, wie das geht, indem wir zum Beispiel mit ihnen zusammen Pilotprojekte durchführen.»

Das Zentrum bietet auch interaktive Online-Seminare an, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Hier stellen Fachleute wichtige Klima- und Umweltdaten vor und diskutieren verschiedene Themen, darunter auch die Rolle, die Bürgerinnen und Bürger sowie politische Entscheidungstragende spielen können. Im vergangenen Jahr hielten rund 30 Fachleute Seminare ab; die Aufzeichnungen sind auf dem Kanal von Climact Suisse auf YouTube verfügbar. Mit dem Beginn des neuen Schuljahres startete im Herbst eine neue Seminarreihe. Das nächste findet am 1. November von 12 bis 13 Uhr statt.

«Wir wollen einen proaktiven Dialog zwischen allen Beteiligten fördern»

Julia Steinberger ist Professorin für ökologische Ökonomie an der Universität Lausanne (UNIL) und akademische Ko-Direktorin von CLIMACT, dem neuen gemeinsamen Forschungszentrum der EPFL und der UNIL zum Klimawandel. Ihre Forschungen befassen sich insbesondere mit den Umweltauswirkungen der sozialen und wirtschaftlichen Aktivitäten. Sie sprach mit uns über ihre Hoffnungen für das neue Zentrum.

Welchen Bedarf deckt CLIMACT ab?

Die Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels erfordert einen interdisziplinären Ansatz. Sowohl die UNIL als auch die EPFL verfügen über Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Weltrang, die sich mit diesem Thema befassen, aber bisher gab es kein übergreifendes Forschungszentrum, in dem sie sich treffen, Ideen austauschen und gemeinsam Projekte konzipieren konnten. Gute Ideen entstehen selten isoliert; sie sind meist das Ergebnis einer gesunden Debatte und produktiver Interaktion. Mit CLIMACT wollen wir die Qualität der Forschung und Lehre an beiden Universitäten verbessern, sie innovativer machen und ihre Wirkung verstärken.

Welche konkreten Wirkungen erhoffen Sie sich?

Als Forschende denken wir manchmal, dass sich die Dinge automatisch weiterentwickeln werden – dass die politischen Entscheidungsträgerinnen unsere Studien lesen, die Bedeutung unserer Ergebnisse verstehen und Massnahmen ergreifen werden. Aber so funktioniert das nicht. CLIMACT wird daher eine Katalysatorrolle spielen, indem es einen proaktiveren Dialog zwischen allen Beteiligten fördert, einschliesslich des öffentlichen und des privaten Sektors. Wir hoffen, dass dies dazu beitragen wird, mehr unserer Forschungsergebnisse in konkrete Massnahmen umzusetzen, und dass wir im Gegenzug eine bessere Vorstellung von den Zwängen und praktischen Erwägungen haben werden, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist, und davon, was machbar ist. Diese Art von Feedback wird es uns ermöglichen, unsere Forschung gezielter auszurichten. Die Idee ist, eine echte konzertierte Aktion anzustossen, die in der Folge effektiver sein wird.

Müssen sich auch die Forschenden stärker engagieren?

Die Forschenden haben bereits grosse Fortschritte gemacht. Als die Schweizer Bürgerinnen und Bürger beispielsweise über ein Gesetz zur Verringerung der Treibhausgasemissionen abstimmen sollten, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehr aktiv ihren Standpunkt verteidigt und Fehlinformationen widerlegt. Und während der Pandemie protestierten Gesundheitsexpertinnen gegen Regierungsmassnahmen, die auf verzerrten Informationen beruhten. Dies zeigt, wie wichtig es für Forschende ist, sich öffentlich zu äussern und die Fakten zu bekräftigen – und damit Leben zu retten. Immer mehr Studien zeigen, dass Wissenschaftler nicht diskreditiert werden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit äussern. Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tatsächlich an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie feststellen, dass eine bestimmte Situation eine ernste Bedrohung darstellt, aber nichts sagen und nicht nach ihren eigenen wissenschaftlichen Erkenntnissen handeln. Das ist ein weiteres Ziel von CLIMACT – diese Themen auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen.

Was ist mit Bildung?

Das ist ein entscheidender Teil der Gleichung. Klimabezogene Themen müssen in den Lehrplänen der Studierenden einen grösseren Platz einnehmen, denn der Klimawandel wird sich auf alle Branchen auswirken – vom Bauwesen über das Gesundheitswesen bis hin zur Psychologie und den psychischen Störungen, die unweigerlich aus den gesellschaftlichen Veränderungen resultieren werden. Die Studierenden müssen für das neue Paradigma, das wir betreten, ausgebildet und gerüstet werden. Mit CLIMACT hoffen wir, ihnen – und allen anderen an der Klimaproblematik Interessierten – die zuverlässigen Ressourcen an die Hand zu geben, die sie benötigen.

«Der leichte Teil ist geschafft, jetzt müssen wir den schweren Teil in Angriff nehmen»

Michael Lehning, Experte für Schneeprozesse und Leiter des Labors für Kryosphärenwissenschaften (CRYOS) der EPFL, ist akademischer Co-Direktor von CLIMACT. Er sprach mit uns über die wichtige Rolle, die sein Zentrum bei der Eindämmung der Auswirkungen der globalen Erwärmung spielen kann.

Wie trägt die Hochschulforschung zum Kampf gegen den Klimawandel bei?

Die Universitäten sind aufgerufen, eine Vorreiterrolle zu übernehmen und Lösungen vorzuschlagen. Klimawissenschaftlerinnen haben die physikalischen Veränderungen, die unser Planet durchläuft, sehr effektiv analysiert und bewiesen, dass sie das Ergebnis der vom Menschen verursachten Emissionen sind. Jetzt müssen wir uns auf die Umsetzung von Lösungen und die Vorbereitung auf die Folgen des Klimawandels konzentrieren. Dies erfordert eine konzertierte, fachübergreifende Anstrengung, die von der Entwicklung neuer Technologien bis zur Verabschiedung neuer politischer Massnahmen, der Umgestaltung unserer Volkswirtschaften und der Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Problems reicht. Aus diesem Grund passt es gut zur EPFL und zur UNIL.

Was sind die Hauptziele Ihres Zentrums?

Unser Ziel ist es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen zusammenzubringen. Gemeinsam können wir viel mehr erreichen, als wir es einzeln könnten. Wir hoffen auch, die Sichtbarkeit unserer Region in der klimawissenschaftlichen Forschung und Entwicklung zu erhöhen. Wir werden unseren Forschern die Möglichkeit geben, ihre Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen und in größerem Massstab zu einem grösseren Ganzen beizutragen. Dies könnte z. B. die Einführung effizienterer Anlagen für erneuerbare Energien, die Verringerung von Emissionen in der Landwirtschaft oder die Entwicklung neuer Technologien für die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung umfassen.

Geht es auch darum, die Menschen stärker in den Klimaschutz einzubinden?

Ja, das ist richtig. Wir hoffen, dass CLIMACT den Menschen bewusst macht, dass auch sie auf breiterer Ebene zum Klimaschutz beitragen können. Unsere Forschenden werden ihre Forschung in die Praxis umsetzen, indem sie sich mit anderen Fachleuten treffen, an Workshops teilnehmen und sich an gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekten beteiligen. Sie werden auch Verbindungen zu anderen Akteuren – sowohl in der Wirtschaft als auch in der Regierung – im Kampf gegen den Klimawandel knüpfen. Ich denke, dass die heutigen Wirtschaftsführinnen und Politiker bewusster und handlungsbereiter sind und eher bereit sind, Forschende in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Dennoch müssen die Politikerinnen mutiger sein und sich nicht länger hinter der Ausrede verstecken, dass man nichts tun kann. Wenn wir bei CLIMACT neue Systeme entwickeln und in Pilotversuchen zeigen können, dass sie funktionieren, können wir die politischen Entscheidungstragenden überzeugen und auf radikalere Lösungen drängen, die wir jetzt wirklich brauchen.

Was ist die grösste Herausforderung für CLIMACT?

Wir müssen eine messbare Wirkung erzielen. Wir müssen in der Lage sein, nicht nur ein oder zwei Jahre, sondern mindestens 15 oder 20 Jahre lang mit grossen Projekten zu arbeiten, an denen Unternehmen, politische Entscheidungsträger und Gemeinden beteiligt sind. Dies ist eine neue, herausfordernde Rolle für uns als Wissenschaftlerinnen in der Gesellschaft. Wir müssen aus unserer Komfortzone heraustreten. Was den Klimaschutz betrifft, so ist der leichte Teil getan, jetzt müssen wir den schweren Teil in Angriff nehmen.