Wie Nanoplastik ins aquatische Nahrungsnetz gelangt

Weil sie sich in der Umwelt nicht nachweisen liessen, blieben die kleinsten aller Kunststoffpartikel bisher weitgehend unerforscht. Nun zeigen Forschende der Eawag: Nanoplastik bleibt am Schleim kleben, der etwa auf Steinen in Fliessgewässern zu finden ist. Dort wird der Kunststoff von Süsswasserschnecken aufgenommen, die sich von diesem Biofilm ernähren.
Nahaufnahme eines Biofilms mit Plastikpartikeln (Foto: Stephanie Merbt, Eawag)

Plastik ist chemisch stabil – und deshalb langlebiger, als vielen von uns bewusst ist. Mit der Zeit zerfällt es in immer kleinere Teile, die – je nach Durchmesser – als Mikro- oder Nanoplastik bezeichnet werden. Während das Mikroplastik ziemlich gut erforscht ist und in den letzten Jahren nicht nur an weit abgelegenen Orten in der Arktis, sondern etwa auch in der menschlichen Muttermilch nachgewiesen worden ist, blieb das Nanoplastik weitgehend unerforscht. «Wir wissen praktisch nichts über Nanoplastik in der Umwelt, weil wir es mit unseren aktuellen umweltanalytischen Methoden nicht messen können», sagt Ahmed Tlili, Umwelttoxikologe am Wasserforschungsinstitut Eawag.

Mit seltenem Edelmetall versetzt

Mit seiner Forschungsgruppe hat Tlili nun zum ersten Mal quantitative Daten über die Aufnahme von Nanoplastikpartikeln von im Süsswasser lebenden Organismen veröffentlicht. Für ihre Versuche haben die Forschenden auf spezielles Nanoplastik aus Polystyren zurückgegriffen, das an der ETH Zürich hergestellt und mit dem seltenen Edelmetall Palladium versetzt worden ist. Dieser Trick erlaubte es Tlili und seinen Kolleginnen und Kollegen, den Eintritt der winzigen Plastikpartikel ins Nahrungsnetz nachzuzeichnen.

Wenn die Partikel in Fliessgewässer gelangen, setzen sie sich ab – und erreichen das so genannte Periphyton. So nennen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den schleimigen und klebrigen Biofilm, der sich in Bächen und Flüssen auf der Oberfläche von Steinen bildet. Für ihr Experiment züchteten Tlili und seine Mitarbeitenden das Periphyton auf Objektträgern aus Glas, die fünf Wochen lang in Wasser aus dem Chriesbach – einem Gewässer in der Nähe der Eawag in Dübendorf – eingelegt wurden. Sobald die Nanoplastikpartikel zugegeben wurden, verfingen sie sich dauerhaft im Biofilm. Auf die Vielfalt der Mikroorganismen im Periphyton scheint sich das Nanoplastik nicht gross auszuwirken, berichten die Forschenden in ihrem Fachbeitrag: Die photosynthetische Leistung, der Lipidgehalt, sowie der relative Anteil an Nährstoffen wie Phosphor oder Stickstoff veränderten sich jedenfalls nicht.

Nanoplastik im Schneckenkot

Doch dann setzten die Forschenden kleine Süsswasserschnecken auf ihre mit dem Periphyton besiedelten Objektträger aus. Die Schnecken ernähren sich vom Biofilm und nehmen so die Nanoplastikpartikel auf, die darin enthalten sind. Aber sie werden das Nanoplastik über den Kot auch rasch wieder los, wie Tlili und seine Mitarbeitenden feststellten, als sie den Schneckenkot einsammelten und das darin enthaltene Palladium massen. Trotzdem wirkt sich das Nanoplastik stark auf die Schnecken aus. Während sie auf unbelastetem Periphyton schon nach fünf Tagen begannen, sich fortzupflanzen, legten die Schnecken, die sich vom Biofilm mit Nanoplastik ernährten, bis zum Schluss der zwei Wochen dauernden Untersuchungsphase kein einziges Ei.

Die Forschenden um Tlili führen in ihrem Fachbeitrag zwei mögliche Mechanismen auf, die erklären könnten, wieso das Nanoplastik die Schnecken unfruchtbar macht. Einerseits könnte sich die Beschaffenheit des Futters aufgrund des Nanoplastiks verschlechtert haben. «Auch wenn der Gesamtfettgehalt, den wir gemessen haben, gleich bleibt, stehen den Schnecken vielleicht weniger qualitativ hochwertige essentielle Fettsäuren zur Verfügung», erklärt Tlili. Andererseits löst das Nanoplastik vielleicht Entzündungen im Schneckendarm aus. Diese Entzündungen könnten sich auf die Geschlechtsorgane ausweiten, die sich anatomisch in der Nähe des Verdauungstrakts befinden. «Bei Mikroplastik sind solche Effekte schon nachgewiesen worden», sagt Tlili.

Grundlage für bessere Risikobewertung

«Wir glauben, dass unsere Ergebnisse dazu beitragen, eine Grundlage für eine bessere Bewertung der Risiken zu schaffen, die mit Nanoplastik in Binnengewässern einhergehen», hält das Team um Tlili fest. Dem schleimigen Belag auf den Steinen in Fliessgewässern schenken die meisten Personen keine grosse Beachtung. «Viele ekeln sich sogar davor», sagt Tlili. Doch die Vielfalt aus Bakterien, Pilzen, Algen und Viren, die im Periphyton lebt, ist im Ökosystem von Bächen und Flüssen sehr wichtig. «Das Periphyton ist das Fundament der Nahrungsketten und spielt im Nährstoffkreislauf der Fliessgewässer eine entscheidende Rolle», schreibt das Team um Tlili.

«Der natürliche Biofilm ist sehr komplex und wahrscheinlich in jedem Bach etwas anders zusammengesetzt», sagt Tlili. In weiteren Arbeiten hat Tlilis Forschungsgruppe deshalb eine Anleitung für einen vereinfachten und standardisierten Biofilm veröffentlicht (siehe Kasten). «Nur mit einem klar definierten System lassen sich die strukturelle Dynamik und die funktionalen Eigenschaften dieser Lebensgemeinschaften detailliert untersuchen», meint Tlili. Seine Forschungsgruppe verwendet dieses synthetische Periphyton derzeit, um zu untersuchen, wie sich verschiedene Arten und Grössen von Kunststoffpartikeln in unterschiedlichen Wachstumsstadien des Biofilms auf die Lebensgemeinschaften auswirken. «Wenn inskünftig auch andere Forschungsgruppen unser synthetisches Periphyton verwenden, sind die Resultate aus den verschiedenen Experimenten besser vergleichbar», sagt Tlili.

Standardisierter Biofilm

Der klebrige Schleim, dem man auf der Oberfläche von Steinen im Bach- oder Flussbett begegnet, beherbergt eine beeindruckende Vielfalt an winzigen Lebewesen, die auf engstem Raum eine hoch komplexe Gemeinschaft bilden.

Genau wie ein Wald mehrere Entwicklungsstadien durchläuft, in denen zuerst Pionierpflanzen dominieren, aber nachher von verschiedenen Baumarten abgelöst werden, lässt sich auch die Entstehung des Periphytons in eine Abfolge von mehreren Phasen einteilen, wie Tlili und seine Mitarbeitenden hervorheben.

Um ein reproduzierbares und standardisiertes Periphyton zu erhalten, wird die Oberfläche zuerst von Bakterien (der Art Sphingomonas elodea) besiedelt. Die Bakterien sondern eine Reihe von Substanzen aus, die dem Biofilm ein schleimiges und klebriges Aussehen verleihen. Diese Substanzen bilden das Gerüst des Biofilms, in dem sich danach alle weiteren Winzlinge einquartieren können. In einem zweiten Schritt teilte das Team um Tlili die weiteren Mikroorganismen in drei Gruppen ein, die sie nacheinander im Abstand von einigen Tagen hinzufügten.

Zur ersten Gruppe gehören die Kieselalgen-Pioniere. Dann folgt eine zweite Gruppe mit spät kolonisierenden Kieselalgen, die die dreidimensionale Struktur des Biofilms definieren und festigen. Und schliesslich die dritte Gruppe mit Blau- und Grünalgen. Erst dann, nach dreissig Tagen, ist das synthetische Periphyton fertig gereift. «Wenn wir diese Schritte befolgen, erhalten wir ein synthetisches Periphyton, das in allen Experimente die gleiche Zusammensetzung und relative Häufung der Arten aufweist», sagt Tlili.

Mehr Informationen

Originalpublikationen

Holzer, M.; Mitrano, D. M.; Carles, L.; Wagner, B.; Tlili, A. (2022) Important ecological processes are affected by the accumulation and trophic transfer of nanoplastics in a freshwater periphyton-grazer food chainEnvironmental Science: Nano, 9, 2990-3003, doi:10.1039/D2EN00101BInstitutional Repository

Lamprecht, O.; Wagner, B.; Derlon, N.; Tlili, A. (2022) Synthetic periphyton as a model system to understand species dynamics in complex microbial freshwater communitiesnpj Biofilms and Microbiomes, 8, 61 (14 pp.), doi:10.1038/s41522-022-00322-yInstitutional Repository

Finanzierung / Kooperationen

  • Eawag
  • ETH Zürich
  • Schweizerischer Nationalfonds