Wie wichtig ist Wasserstoff für die Energiewende?

Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein, damit die Schweiz ihre Ziele zur Klimaneutralität erreichen kann. Thomas Justus Schmidt, Leiter des Forschungsbereiches Energie und Umwelt, erklärt die Bedeutung des Gases für die Zukunft.
Thomas Justus Schmidt ist Leiter des Forschungsbereichs Energie und Umwelt am Paul Scherrer Institut PSI. (Foto: Paul Scherrer Institut/Mahir Dzambegovic)

Die wichtigste Frage zuerst: Brauchen wir Wasserstoff für die Energiewende und das Ziel der Schweiz, bis 2050 netto klimaneutral zu werden?

Thomas Justus Schmidt: Ja, ganz klar, alle unsere Berechnungen und Computermodelle zeigen, dass wir Wasserstoff (H2) brauchen, um dieses Ziel zu erreichen. Das deckt sich auch mit allen anderen wissenschaftlichen Einschätzungen. Wasserstoff ist das zentrale Element der Energiewende. Seine Anwendungszwecke sind vielfältig, darunter Energiespeicherung, Stromerzeugung, Heizen, die Herstellung von Chemikalien oder die Produktion von Treibstoffen für den Verkehr oder die Luftfahrt. Er ist flexibel einsetzbar, und die meisten Technologien für Herstellung, Umgang und Nutzung sind ausgereift. Das Allerbeste: Mit grünem Wasserstoff – wenn wir ihn also durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien herstellen – werden wir endlich das «C» los – den Kohlenstoff – und damit das Kohlendioxid (CO2), das wesentlich für den Klimawandel verantwortlich ist.

Welche Rolle spielt das PSI bei der Erforschung von Wasserstoff-Technologien?

Die Forschung zu Wasserstoff-Technologien am PSI ist so alt wie das PSI selbst, nämlich 35 Jahre. Angefangen hat es mit Brennstoffzellen, also mit der Stromerzeugung aus Wasserstoff. Seit etwa zehn Jahren beschäftigen wir uns mit der Elektrolyse, also der Erzeugung von grünem Wasserstoff aus Wasser mit Strom aus erneuerbaren Energien. Eine dritte Forschungsrichtung ist Power-to-X, also die Verwendung von Wasserstoff beispielsweise für die Herstellung von synthetischem Methan, Diesel oder Kerosin. Ich arbeite seit 2011 am PSI und im Forschungsbereich Energie und Umwelt beschäftigen wir uns über die ganz praktischen Prozesse im Energiesystem hinaus mit der Modellierung des gesamten Energiesystems.

Was heisst das?

Wir entwickeln Zukunftsszenarien. Das heisst, wir zeigen mögliche Pfade auf, entlang derer sich das Energiesystem entwickeln könnte und rechnen diese durch. Wir sagen damit aber nicht die Zukunft voraus, wie manche meinen, sondern zeigen nur mögliche Pfade zum Erfolg auf. Diese hängen ja immer von einer sehr komplexen Gesamtkonstellation ab.

Bezüglich der Vergangenheit ist eine Einschätzung einfacher. Täuscht der Eindruck, dass Wasserstoff einige Zyklen in der Wahrnehmung durch Wissenschaft und Öffentlichkeit durchlaufen hat? Mal war er die Lösung für alles, dann verschwand er wieder in der Versenkung.

Der Eindruck stimmt. Schon Anfang der 1970er kam der Begriff Wasserstoff-Wirtschaft auf, damals als Reaktion auf die Ölkrise. Und in den 1990ern haben manche Automobilhersteller vollmundige Ankündigungen gemacht, dass schon Anfang der 2000er Millionen Wasserstoff-Autos auf den Strassen fahren werden.

Daraus wurde nichts. Warum?

Die Automobilhersteller haben die Herausforderungen unterschätzt, vor allem die Haltbarkeit der Brennstoffzelle. Sie dachten, das sei ein reines Engineering-Problem. Dabei fehlte oft das grundlegende Verständnis dafür, was chemisch und physikalisch in den Materialien einer Brennstoffzelle geschieht. Seither hat sich dieses Verständnis massiv verbessert. Deshalb ist die gesteigerte Aufmerksamkeit, die Wasserstoff derzeit erfährt, durchaus gerechtfertigt.

Es existieren aber noch immer Vorurteile gegen Wasserstoff. Lassen Sie uns einige davon ausräumen. Los geht´s: Hindenburg-Katastrophe, bei der im Jahr 1937 das mit Wasserstoff gefüllte deutsche Luftschiff in Flammen aufging.

Ich hatte gehofft, dass ich darauf nicht mehr antworten muss. Aber weil es immer wieder gefragt wird: Die Handhabung von Wasserstoff ist heute so sicher wie die von Benzin oder Erdgas. Es ist eher umgekehrt: Wenn man heute Benzin einführen müsste, würde das wegen seiner Brennbarkeit und seiner Gesundheitsrisiken schwierig zu genehmigen sein.

Verluste durch Diffusion des Wasserstoffs aus Gasflaschen.

Das war bei Druckbehältern aus Metall so. Aber heute bestehen diese Behälter, speziell Wasserstofftanks für Fahrzeuge, aus Kohlefaserverbundstoffen, bei denen das Problem der Diffusion gelöst ist.

Erdgasnetze sind nicht für Wasserstoff ausgelegt, ebenso wenig wie Heizungen oder Gasturbinen.

In der ehemaligen DDR wurde mit Stadtgas geheizt, das bis zu 50 Prozent Wasserstoff enthielt. Man könnte Erdgasnetze auf Wasserstoff umrüsten, anstatt sie stillzulegen. Siemens und General Electric wollen ab 2025 Gasturbinen für Kraftwerke herstellen, die nur mit Wasserstoff betrieben werden.

Grüner Wasserstoff ist viel zu teuer.

Das stimmt zurzeit noch – aber nur, wenn man die Kosten lokal und untersystemisch berechnet. Bezieht man nämlich alle Kosten mit ein – bei fossilen Energieträgern vor allem die Umwelt- und Klimaschäden –, sieht es ganz anders aus. Wobei ich zugebe: Wasserstoff ist nicht für alles der günstigste Energieträger. Man sieht das gerade bei Automobilen. Dort wird sicherlich ein beachtlicher Anteil batterieelektrisch angetrieben werden.

Das letzte Vorurteil: Grüner Wasserstoff ist gar nicht Kohlendioxid-neutral.

Das stimmt. Elektrolyseure und Brennstoffzellen brauchen beispielsweise Edelmetalle, deren Gewinnung in Minen oft Kohlendioxid erzeugt. Ausserdem geschieht das meist in Ländern, in denen nicht unsere Arbeitsbedingungen und ethischen Standards gelten. Deshalb forscht das PSI an Elektrolyseuren und Brennstoffzellen, die weniger Edelmetalle benötigen. Da gab es in den letzten Jahren grosse Fortschritte und ich halte es für realistisch, dass wir irgendwann sogar ganz ohne Edelmetalle auskommen.

Wenn die Vorteile so gross sind, woran hakt es dann mit der Wasserstoff-Wirtschaft?

An der Technologie nicht. Die Gesellschaft sollte jetzt die Entscheidung treffen, dass Wasserstoff eingeführt wird. Dafür bräuchte es dann die Infrastrukturen wie Elektrolyseure, Pipelines und Speicher.

Wir haben jetzt nur über Wasserstoff gesprochen. Wenn man daraus Methan, Benzin oder Kunststoffe – also das «X» – machen möchte, braucht man aber auch Kohlenstoff. Wo soll der herkommen?

Idealerweise natürlich aus Kohlendioxid in der Luft. Die Technologie existiert, ist aber sehr teuer. Daher wäre es sinnvoll, das Kohlendioxid dort zu gewinnen, wo es sich bei anderen Industrieprozessen nicht vermeiden lässt – beispielsweise bei der Müllverbrennung oder der Zementherstellung. Man sollte Wasserstoff daher bevorzugt in der Nähe solcher Anlagen erzeugen und dann zu Stoffen wie Methan oder auch anderen sogenannten Plattformchemikalien weiterverarbeiten, wie zum Beispiel Methanol. Diese Grundstoffe sind essenziell in der chemischen Industrie, um beispielsweise Kunststoffpolymere und Kohlenwasserstoffe herzustellen. Damit könnte man fossiles Methan, also Erdgas, ersetzen.

Wie viel Wasserstoff braucht die Schweiz denn, um das Netto-Null-Ziel bis 2050 zu erreichen?

Unser Swiss-Times-Energy-Modell – das weltweit umfangreichste Rechenmodell seiner Art – sagt: 7 bis 10 Prozent des gesamten Energiebedarfs der Schweiz müssten mithilfe von Wasserstoff gedeckt werden. Das wären circa 12 Terawattstunden pro Jahr.

Und Sie sind zuversichtlich, dass die Schweiz sich für diesen Weg entscheidet?

Ich bin mir sicher. Die Kosten für die Erzeugung von grünem Wasserstoff sinken momentan. Ausserdem haben viele Länder in Europa Wasserstoff-Strategien aufgestellt, die gute Rahmenbedingungen setzen, allen voran Deutschland mit seiner neuen nationalen Wasserstoffstrategie. Die Schweiz profitiert davon und sollte diesen Weg mitgehen.

Die Farben des Wasserstoffs

Nein, Wasserstoff (Elementkürzel H2) hat keine Farbe – das leichteste aller Gase ist für das Auge unsichtbar. Mit den Farben bezeichnen Forschende, wie der Wasserstoff erzeugt wird.

Grüner Wasserstoff: Die begehrteste Form. Wird durch Elektrolyse aus Wasser abgespalten, wodurch noch Sauerstoff entsteht. Kommt der Strom dafür aus Wind- und Sonnenenergie, fällt dabei kein Kohlendioxid an.

Gelber Wasserstoff: Ebenfalls durch Elektrolyse, aber mit Strom aus dem aktuellen, teilweise fossilen Strommix, daher nicht klimaneutral.

Grauer Wasserstoff: Die weltweit häufigste, aber leider auch schmutzigste Variante. Entsteht durch Dampfreformierung von Erdgas oder Kohle, wobei Kohlendioxid entsteht – zehn Tonnen für eine Tonne Wasserstoff.

Blauer Wasserstoff: Grauer Wasserstoff Plus. Wird durch Dampfreduzierung von Erdgas gewonnen und erzeugt Kohlendioxid, das allerdings für andere Zwecke weitergenutzt oder unterirdisch gespeichert wird.

Türkiser Wasserstoff: Fossil, aber klimaneutral. Wird aus Erdgas durch Methanpyrolyse unter Ausschluss von Sauerstoff hergestellt. Dabei entsteht fester Kohlenstoff, der unterirdisch gelagert oder zu verschiedenen Werkstoffen verarbeitet wird.

Weisser Wasserstoff: Natürliche Vorkommen von Wasserstoff sind selten, aber in einigen Gegenden der Welt vorhanden, zum Beispiel in Afrika. Wird durch Fracking gewonnen.

Pinker Wasserstoff: Gewonnen durch Wasser-Elektrolyse, wobei der Strom aus Kernenergie stammt. Kernkraftwerke produzieren zwar kein Kohlendioxid, jedoch radioaktiven Abfall.

Kontakt

Prof. Dr. Thomas Justus Schmidt
Leiter des Forschungsbereichs Energie und Umwelt
Paul Scherrer Institut, Forschungsstrasse 111, 5232 Villigen PSI, Schweiz
Telefon: +41 56 310 57 65, E-Mail: thomasjustus.schmidt@psi.ch