Attraktive Orte wirken wie grosse Planeten

Forschende der ETH Zürich, des MIT und des Santa Fe Institute haben ein leistungsfähiges und doch überraschend einfaches Gesetz gefunden, das die Anzahl der Besucher an jedem Ort in einer Stadt beschreibt. Dafür verwendeten sie Mobilitätsdaten von Menschen, die in verschiedenen Städten leben.
Dieses Bild visualisiert die Personenströme im Grossraum Boston. (Bild: Guangyu Du / MIT Senseable City Lab)

Die Mobilität von Menschen beeinflusst zahlreiche Aspekte einer Stadt, von ihrer räumlichen Struktur bis hin zu ihrer Reaktion auf eine Epidemie. Sie ist nicht nur der Schlüssel zu sozialen Interaktionen, zu Innovation und Produktivität, sondern führt auch zu Verkehrsstaus und fördert die Ausbreitung ansteckender Krankheiten. Welche Faktoren den Fluss von Menschen hin zu einem Ort bestimmen, ist jedoch nicht vollständig geklärt.

Forschende der ETH Zürich, des MIT und des Santa Fe Institute haben nun herausgefunden, das die Anzahl der Besucherinnen und Besucher eines Ortes davon abhängt, wie weit diese vom Ort entfernt leben und wie häufig sie ihn besuchen. Die Gesetzmässigkeit basiert auf der überraschend einfachen und intuitiv leicht nachvollziehbaren Annahme, dass Menschen Orte häufiger besuchen, wenn sie sich näher an ihrem Wohnort befinden und attraktiv sind. Dieser äusserst robuste Zusammenhang eröffnet neue Möglichkeiten für die genaue Vorhersage von Besucherströmen zwischen Orten und kann in der Stadtplanung gleichermassen angewandt werden wie bei der Bekämpfung von Pandemien.

Analyse von Handydaten in Städten weltweit

«Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem belebten Platz in Zürich und sehen Menschen kommen und gehen. Das mag ziemlich zufällig aussehen, dennoch sind diese Bewegungen erstaunlich strukturiert und vorhersehbar. Sie hängen davon ab, wie viele dieser Menschen aus einem, zwei oder zehn Kilometern Entfernung kommen und wie viele einmal, zweimal oder zehnmal im Monat vorbeischauen», erklärt Erstautor Markus Schläpfer, der am Future Cities Laboratory der ETH Zürich forscht.

Das überraschende an der in der Fachzeitschrift Nature erschienenen Studie ist, dass diese Regelmässigkeit nicht nur in Zürich zu gelten scheint, sondern in allen Städten weltweit. Denn die Erkenntnisse der Forschenden sind das Ergebnis einer Analyse von anonymisierten Handydaten von über vier Millionen Menschen, die in Boston, Singapore, Dakar, Abidjan und in Lisbon, Porto und Braga leben.

Universelles Gesetz zur menschlichen Mobilität

Die Forschenden fanden heraus, dass die Häufigkeit der Besuche mit zunehmender Entfernung abnahm und sich in Gebieten mit höherer Dichte eher Menschen aufhielten, die insgesamt kürzere Wege zurückgelegt hatten. Stadtbesucherinnen und Stadtbesucher, die eine längere Reise hinter sich hatten, wurden vor allem von besonders attraktiven Orten wie Stadtplätzen, Museen oder berühmten Einkaufsstrassen angezogen. Wie die Anziehungskraft eines grossen Planeten ziehen diese Orte mehr Besucher aus weiter Ferne an, als weniger prominente Orte.  

Für Schläpfer zeigt das Modell auf, welche Orte in einer Stadt über- oder unterdurchschnittlich frequentiert werden. Darauf aufbauend können Stadtplanerinnen und Stadtplaner besser einschätzen, wo allenfalls in die Infrastruktur investiert werden muss und wie viel öffentlicher Verkehr für neue Stadtentwicklungen benötigt wird.

Eine längere und leicht angepasste Version des Textes ist bereits auf Santa Fe News erschienen.

Literaturhinweis

Schläpfer, M., Dong, L., O’Keeffe, K. et al. The universal visitation law of human mobility. Nature 593, 522–527, May 26 2021. DOI: s41586-​021-03480-9