Diese raren Start-ups, die eine Milliarde wert sind

Die Institutionen des ETH-Bereichs bringen jedes Jahr rund 60 Spin-offs hervor. Darunter sind fünf, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden. Wir stellen diese «Einhörner» vor.
Fünf Spin-offs der EPFL und der ETH Zürich haben den bemerkenswerten Status von «Einhörnern» erreicht, d. h. eine finanzielle Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar. (Bild: ETH-Rat / Shutterstock)

Die Schweiz belegt in internationalen Innovationsrankings regelmässig Spitzenplätze. Dies lässt sich konkret an den rund 100 neuen Unternehmen für technologische oder soziale Innovationen ablesen, die jedes Jahr gegründet werden, insbesondere von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an den Hochschulen des Landes arbeiten.

Die Institutionen des ETH-Bereichs tragen mit einem stetigen Anstieg der Zahl der Spin-offs und einem starken Wachstum der Finanzierungen, die diese jedes Jahr aufbringen – im Jahr 2021 werden es über eine Milliarde Franken sein –, stark zu dieser Dynamik bei.

Spin-off: Vom Labor zum Unternehmen

Als Spin-off wird ein Unternehmen bezeichnet, das auf der Grundlage von Wissen und Technologien gegründet wird, die im Rahmen einer wissenschaftlichen Forschung erworben bzw. entwickelt wurden. Die Hochschulen transferieren auf diese Weise die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in die Wirtschaft und Gesellschaft und leisten damit einen Beitrag zum Wohlstand der Schweiz.

Der Grund für diesen Erfolg liegt in den sehr günstigen Rahmenbedingungen für Innovation in der Schweiz: politische und finanzielle Stabilität, zahlreiche nationale und internationale Spitzenunternehmen, eine sehr gut ausgebildete, mobile und internationale Bevölkerung, die Entwicklung von regionalen Hubs in Bereichen wie Gesundheit oder Informationstechnologie und natürlich Hochschulen auf höchstem Niveau. «Die Institutionen des ETH-Bereichs verfolgen sehr zukunftsträchtige Forschungsschwerpunkte», stellt André Catana fest, der an der EPFL für die Unterstützung zur Gründung von Start-ups zuständig ist, «und sie haben die Innovationsförderung mit finanziellen Anreizen, Schulungen, Informations- und Networking-Aktivitäten stark ausgebaut. Das zahlt sich aus.»

Fünf Spin-offs, die aus der EPFL und der ETH Zürich hervorgegangen sind, haben den bemerkenswerten Status eines «Einhorns» erreicht, d. h. eine finanzielle Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar. «Ich glaube nicht, dass es ein Ziel an sich ist, ein Einhorn zu werden, aber dieser Status bringt sicherlich eine hohe Sichtbarkeit mit sich», so André Catana. «Dies kann Türen öffnen und renommierte Leute für strategisch wichtige Positionen anziehen. Umfangreiche Risikokapitalfinanzierungen ermöglichen es, ohne Börsengang zu wachsen und so die Entwicklung fortzusetzen, ohne detaillierte Halbjahresberichte veröffentlichen zu müssen.»

Dieser beneidenswerte Status kann aber auch einige Nachteile mit sich bringen. Eine extreme Bewertung kann eine mögliche Übernahme erschweren, da die Käuferinnen und Käufer zögern, solche Beträge zu zahlen. Ausserdem ist das Wachstum eines Unternehmens oft mit einer Verlagerung seiner Aktivitäten verbunden, mit dem Risiko, dass ein Teil der Arbeitsplätze anderswo geschaffen wird. «Das hängt hauptsächlich vom Markt ab und ist nicht nur bei Einhörnern der Fall», schränkt André Catana ein, «und in den meisten Fällen behalten die Unternehmen einen bedeutenden Teil ihrer Aktivitäten, insbesondere Forschung und Entwicklung, in der Schweiz, um von dem günstigen Umfeld, das wir hier haben, zu profitieren.»

Mehr als eine Milliarde Franken aufgebracht

Der ETH-Bereich positioniert sich klar als Lokomotive der wissenschaftlichen Innovation in der Schweiz. Jedes Jahr melden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seiner Institutionen über zweihundert Patente an und gründen rund sechzig neue Unternehmen. Bis 2021 haben die Spin-offs des ETH-Bereichs über eine Milliarde Franken aufgebracht (siehe ETH Zürich und EPFL), was einem Drittel der gesamten Finanzierung entspricht, die von allen Start-ups in der Schweiz eingeworben wurde.

Scandit (ETH Zürich, 2009) – Scannen per App erleichtert die Logistik

Fedex, DHL und Die Post für Sendungen, Carrefour und Decathlon für Produkte, SAS und Cathay Pacific für Gepäck und Tickets: All diese Unternehmen nutzen die Produkte von Scandit, einem Spin-off, das 2009 von zwei Studenten und einem Alumnus der ETH Zürich gegründet wurde. Das Unternehmen entwickelt und vermarktet Logistik-Tools, die auf dem Scannen von Barcodes mit Smartphones basieren. Die Zuverlässigkeit und Geschwindigkeit der App profitiert von Algorithmen des maschinellen Lernens. Sie kann mehrere Etiketten gleichzeitig scannen, zusätzliche Informationen durch Augmented Reality anzeigen oder mit einer Kamera in automatischen Reinigungsgeräten verbunden werden, um Sortimente zu inventarisieren, wenn das Personal nicht anwesend ist.

Im Februar 2022 kündigte das Start-up eine weitere Finanzierung von 150 Millionen US-Dollar und eine Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar an. Das Unternehmen beschäftigt 450 Mitarbeitende und hat 1700 internationale Kundinnen und Kunden, darunter drei der fünf grössten Postunternehmen der Welt und acht der zehn grössten Lebensmittelgeschäfte in den USA.

Nexthink (EPFL, 2004) – Die IT-Tools der Mitarbeitenden verwalten

2004 gründete ein aus Spanien stammender Informatikstudent der EPFL das Unternehmen Nexthink in Lausanne. Er sah eine Marktlücke: Er nutzte fortschrittliche Analysetools, einschliesslich maschinellem Lernen, um die Stabilität der IT-Systeme von Unternehmen zu verbessern. Eine bessere Überwachung aller IT-Vorfälle und -Probleme der Mitarbeitenden hilft der IT-Abteilung, schnell zu reagieren, die im Unternehmen verwendeten digitalen Tools zu verwalten und die Erfahrungen der Mitarbeitenden besser zu verstehen, was ein notwendiger Schritt zur Verbesserung ist.

Nexthink wächst sehr schnell. Im Jahr 2020 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von über hundert Millionen US-Dollar. Es beschäftigt mehr als 700 Mitarbeitende, die Hälfte davon im Ausland, vor allem in den USA, und hat tausend Kunden wie Toyota, Siemens, 3M, Lufthansa, SNCF oder Sega. Im Februar 2021 gab das Unternehmen bekannt, dass es eine Finanzierung in Höhe von 180 Millionen US-Dollar unter der Leitung des britischen Investmentfonds Permira aufgenommen hat. Die geschätzte Bewertung von Nexthink stieg auf 1,1 Milliarden US-Dollar und das Unternehmen holte einen ehemaligen CEO des IT-Unternehmens Adobe in den Vorstand.

Climeworks (ETH Zürich, 2009) – CO2 aus der Atmosphäre absaugen

Climeworks ist eines der Pionierunternehmen im Bereich der Abscheidung von CO2 aus der Luft. Das Unternehmen wurde 2009 von zwei Doktoranden des Maschinenbaus an der ETH Zürich gegründet und hat seitdem fast 800 Millionen Euro an Finanzmitteln aufgebracht, davon 600 Millionen bis April 2022, was ihm den Status eines Einhorns verleiht.

Im September 2021 eröffnete Climeworks in Island die grösste Abscheidungsanlage der Welt und demonstriert erstmals die Möglichkeit, in grossem Massstab Kohlendioxid aus der Atmosphäre abzuscheiden. Der Standort Island verfügt über günstige Bedingungen: eine geothermische Energiequelle und Basaltgesteinsformationen im Untergrund, die es ermöglichen, CO2 in Form von Kalziumkarbonat, einem mineralischen Gestein, zu speichern. Die Anlage kann 4000 Tonnen CO2 pro Jahr binden, eine noch bescheidene Zahl, die in etwa den jährlichen Emissionen von 400 Personen in der Schweiz entspricht. Die Kosten des Prozesses sind noch extrem hoch, rund 700 US-Dollar pro Tonne CO2, was dem Zehnfachen der Preise für europäische Kohlenstoffzertifikate entspricht. Trotz dieser Einschränkungen wurde die technologische und unternehmerische Meisterleistung weithin als potenzielles neues Instrument im Kampf gegen den Klimawandel wahrgenommen. Im Juni 2022 begann Climeworks mit dem Bau einer zweiten Anlage in Island, die eine zehnmal grössere Kapazität von 36 000 Tonnen pro Jahr haben wird.

Mindmaze (EPFL, 2012) – Videospiele unterstützen die körperliche Rehabilitation

Die Idee klingt einfach, aber sie musste umgesetzt werden: Videospiele und körperliche Übungen in einem therapeutischen Rahmen zu kombinieren. Diesen Ansatz verfolgt Mindmaze, das 2012 an der EPFL gegründet wurde. Die Geräte von Mindmaze gamifizieren die Übungen, die notwendig sind, um motorische Fähigkeiten wiederzuerlangen, die aufgrund eines Schlaganfalls oder einer neurodegenerativen Krankheit wie Parkinson verloren gegangen sind. Das Unternehmen zog schnell grosse Geldsummen an und erreichte nach nur vier Jahren im Jahr 2016 den Status eines Einhorns. Danach durchlebte es eine schwierige Phase, kündigte aber für 2021 und 2022 neue Grossfinanzierungen an.

Die Körperübungen – oder Spiele – von Mindmaze werden während eines Arztbesuchs oder zu Hause durchgeführt. Sie ermutigen die Patientinnen und Patienten, bestimmte Hand-, Arm- oder Ganzkörperbewegungen auszuführen, um den Parcours einer Videospielfigur erfolgreich zu steuern. Das System zeichnet den Fortschritt in aufeinanderfolgenden Sitzungen auf und erleichtert so die Überwachung durch die Therapeutin oder den Therapeuten. Das Unternehmen entwickelt auch Sensoren mit mehreren Beschleunigungsmessern, die die Parameter beim Gehen oder Laufen genau messen und sich so den Markt für Spitzensportarten erschliessen.

GetYourGuide (ETH Zürich, 2009) – Eine zentrale Plattform für touristische Angebote

2009 gründeten vier Studenten der ETH Zürich, die Biochemie, Informatik und Physik studierten, ein Start-up-Unternehmen in einem Bereich, der weit von ihrem eigentlichen Fachgebiet entfernt war: dem Tourismus. Ihre Plattform GetYourGuide sollte zunächst geführte Touren anbieten, die von lokalen Reiseführern durchgeführt werden. Die Idee ging nicht auf, und die Website entwickelte sich zu einem weltweiten Online-Marktplatz für touristische Angebote und Ausflüge, ähnlich wie Viator.

Nur zehn Jahre später, im Jahr 2019, wird die Bewertung von GetYourGuide nach einer neuen Finanzierung in Höhe von 484 Millionen US-Dollar unter der Leitung des japanischen Risikokapitalfonds SoftBank Vision Fund auf fast zwei Milliarden Dollar geschätzt. Das Unternehmen hat 700 Mitarbeitende, davon 500 in Berlin und 70 in Zürich. Es bietet rund 60 000 touristische Angebote an und hat nach eigenen Angaben seit seiner Gründung 58 Millionen Tickets verkauft.