Die Energiewende kommt nicht von alleine

Die wegen der russischen Invasion in der Ukraine derzeit hohen Gas- und Ölpreise könnten helfen, die Energiewende zu beschleunigen. Hohe Preise alleine garantieren jedoch nicht, dass die Wende gelingt. Es braucht weiterhin eine umsichtige Politik, schreibt Florian Egli.
Florian Egli, Wissenschaftler in der Energy and Technology Policy Group der ETH Zürich. (Foto: ETH Zurich)

Die Regierungen in Europas Hauptstädten merken gerade im Schnelldurchlauf, dass Putins Energiestrategie strategische Aussenpolitik ist. Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine und die hohen Energiepreise versuchen sie die energiepolitische Unabhängigkeit zu steigern, zum Beispiel mit neuen Terminals für Flüssiggas aus Katar sowie mit verlängerten Laufzeiten von Kohlekraftwerken.

Das Verfeuern von Kohle für die Stromerzeugung klingt wie aus dem letzten Jahrhundert, aber auch 2020 stammten 13 Prozent des in der EU erzeugten Stroms aus Kohle1. Steigen die Gaspreise, werden nicht nur erneuerbare Energien attraktiver, sondern auch Kohlestrom wieder wirtschaftlicher.

Als zusätzlichen Effekt treiben hohe Energiepreise die Inflation an. Die Europäische Zentralbank schätzt, dass über die Hälfte der gegenwärtigen Inflation darauf zurückzuführen ist2. Dies ist eine schlechte Nachricht für die Energiewende, weil erneuerbare Energieträger kapitalintensiver sind als fossile. Steigt die Inflation, so steigen die Finanzierungskosten, was die Erneuerbaren überproportional verteuert. Ausserdem denken europäische Regierungen seit Kurzem laut darüber nach, die Subventionen für Erneuerbare zurückzufahren3, weil die Kosten mittlerweile tief genug seien, um im freien Wettbewerb zu bestehen. Das Kernelement der wirtschaftlichen Klimapolitik soll der CO2-Preis sein, wie auch in der Schweiz oft gefordert.

In einer kürzlich erschienenen Studie4 haben wir diese Situation analysiert und dabei Risiken aufgezeigt. Sollen die Klimaziele bei Inflation und auslaufender Förderung der Erneuerbaren erreicht werden, so liegt der CO2-Preis vorerst tiefer (weil es teuer ist, Erneuerbare zu bauen), steigt aber in Zukunft stark an. Damit bleiben die Profite von Unternehmen in der Kohle- und Gas-basierten Stromerzeugung kurzfristig hoch und es entsteht eine schwierige politische Situation: Die Befürworter:innen von Erneuerbaren erstarken nicht schnell genug, während die Gegner:innen kurzfristig stark bleiben. Dies birgt das Risiko einer politischen Gegenreaktion. Die Lobby der fossilen Brennstoffe dürfte darauf drängen, die Kohlenstoffpreise zu reduzieren, und es wird schwierig, eine ambitionierte Klimapolitik politisch umzusetzen. Erste kritische Stimmen zu hohen CO2-Preisen sind jetzt schon zu vernehmen.

Energiewende mit Nachdruck vorantreiben

Was könnte eine schlaue Antwort auf diese komplexe Lage sein? Erstens sollte die Energiewende weiterhin mit Nachdruck vorangetrieben werden. Deutschland hat versprochen, bis 2026 200 Milliarden Euro für die Klimawende auszugeben5. Mit der russischen Invasion in die Ukraine ist das Thema politisch auch in der Schweiz angekommen. Allein in der Frühjahrssession wurden über 100 Anträge mit Bezug auf Energiethemen eingereicht. Die Schweiz sollte mitziehen und die Wege für Erneuerbare in der Schweiz freizumachen – Solarstrom kann zum Beispiel eine Chance für den Alpenraum sein6. Das Bewilligungsverfahren für solche Anlagen sollte schnellstmöglich geklärt werden.

«Preissenkungen gefährden den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung.»      Florian Egli

Zweitens sollten wir politischen Forderungen nach einer Senkung von Benzin-, Diesel- und Brennstoffpreisen mit Bedacht begegnen. Solche Entlastungen sollten nicht nach dem Giesskannenprinzip gewährleistet werden und, wenn überhaupt, nur befristet und gezielt zur Abfederung der sozialen Folgen genutzt werden. Denn Entlastungen gefährden den Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung, indem sie die Preise zugunsten von fossilen Energieträgern verzerren. Zudem verlängern sie die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die auch bestehen bleiben, wenn man russisches Gas durch solches aus Katar ersetzt.

Drittens muss die Schweiz den Umbau der Infrastruktur weitsichtiger vorantreiben und unterstützen. Die Kantone Glarus und Zürich gingen mit gutem Beispiel voran. Seit sie Ölheizungen verbieten (Zürich ab 2040), wechseln Hausbesitzer:innen vermehrt auf Wärmepumpen. Interessent:innen müssen jedoch bis zu einem halben Jahr auf eine Wärmepumpe warten7. Das ist die direkte Folge davon, dass es die Politik versäumt hat, rechtzeitig Signale zum Aufbau der dieses Industriezweigs zu senden.

Die aktuellen Öl- und Gaspreise werden nicht auf wundersame Weise das Ende des fossilen Energiezeitalters herbeiführen. Der politische Fokus auf die Energieabhängigkeiten kann aber helfen, die Weichen für eine CO2-neutrale Schweiz zu stellen. In der Energieforschung spricht man vom Energie-Trilemma zwischen Erschwinglichkeit, Nachhaltigkeit und Sicherheit. Erneuerbare sind erschwinglich geworden, und sie sind zentral für eine nachhaltige Energieversorgung. Seit Neuestem spielen sie ihre Vorteile auch unter einem sicherheits- oder neutralitätspolitischen Gesichtspunkt aus. Vielleicht ist das Trilemma also lösbar.