Silke Pan gewinnt mit dem TWIICE Exoskelett Silber im Cybathlon

Die Paraplegiker-Athletin Silke Pan hat die EPFL am Wochenende beim Cybathlon 2020 glänzend vertreten. Sie trug das von Forschenden der EPFL entworfene TWIICE-Exoskelett und belegte im Finale den zweiten Platz.
© 2020 EPFL / Alain Herzog

Im Wettstreit mit Athletinnen und Athleten aus fünf Ländern (USA, Russland, Korea, Indien und Frankreich) nahm die Schweizer Paraplegiker-Sportlerin und Handbike-Meisterin Silke Pan am Cybathlon 2020 teil, einem von der ETH Zürich organisierten kybernetischen Rennen. Die ehemalige Akrobatin trug das von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der EPFL eigens für sie entworfene TWIICE-Exoskelett. Sie absolvierte einen 40 Meter langen Rundkurs, der sieben Arten von Hindernissen wie Treppen, schräge Hänge, unwegsames Gelände und einen Slalom um Tische umfasste.

TWIICE ist ein Exoskelett der unteren Extremitäten, das von der EPFL-Forschungsgruppe REHAssist entwickelt wurde. Es besteht aus antreibenden Segmenten an den Hüft- und Kniegelenken, die starr mit den Oberschenkeln und den Tibiae verbunden sind. Ein intelligenter Controller koordiniert diese Segmente so, dass sie sich gemäss den gewünschten Laufbahnen bewegen, die einer Person mit Rückenmarksverletzung das Gehen ermöglichen.

Silke Pan holte im Finale am Samstagnachmittag die Silbermedaille, knapp hinter dem Koreaner Byeong-Uk und seinem Team Angel Robotic 1. «Ein zweiter Platz ist einfach wunderbar», freute sie sich nach Bekanntgabe der Ergebnisse. «Ich war dafür verantwortlich, all die Arbeit zum Erfolg zu führen, die zuvor vom TWIICE-Team geleistet worden war. Wir arbeiteten zusammen, um jeden Aspekt des Rennens zu perfektionieren. Am D-Day haben wir alle unser Bestes gegeben, und wir haben nichts zu bereuen. Wir können stolz auf das sein, was wir erreicht haben, auf all die Verbesserungen, die wir seit 2016 am Exoskelett vorgenommen haben. Der Cybathlon ist eine Motivation, noch weiter zu gehen, und in diesem Sinne hat er uns Fortschritte ermöglicht.»

Mohamed Bouri, Vorsitzender der REHAssist-Gruppe, konnte seinen Stolz nicht verbergen: «Die Mannschaft hat sich voll eingesetzt, und dieses Ergebnis ist wohlverdient. Wir freuen uns besonders für Silke, die so sehr einen Sieg wollte und Angst hatte, uns zu enttäuschen. Das konnte nicht passieren, denn es war eine Teamleistung. Es gibt keine Gewinner oder Verlierer, nur Hoffnung, denn der Cybathlon drängt uns, Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen zugänglicher zu machen. Mit Blick auf die Zukunft würde ich mich freuen, wenn diese Entwicklung zu einem Produkt führen würde, das von einem zukünftigen Start-up vermarktet wird und Chancen hätte, ein technologisches Flaggschiff in der Genferseeregion zu werden. Der Cybathlon hat es uns ermöglicht, verschiedene Kontrollstrategien und effiziente Verläufe zu erforschen. Um es noch besser zu machen, müssen wir die Grenzen unseres Wissens erweitern, und das ist das Schöne an der Wissenschaft.» Mohamed Bouri dankte auch den Mitarbeitenden des TWIICE-Teams: Tristan Vouga, Romain Baud, Jemina Fasola, Alireza Manzoori und Julien Pache.

Tristan Vouga, EPFL-Cybathlon-Teamleiter und Mitkonstrukteur des TWIICE-Exoskeletts, ist überzeugt, dass «der Cybathlon sein Ziel erreicht hat, denn alle Teams haben seit 2016 grosse Fortschritte in ihrer technologischen Entwicklung gemacht. Heute gibt es keine Verlierer, wir sind alle siegreich und stehen gleichzeitig vor den Grenzen, die eine Behinderung darstellen kann. Ich bin sehr stolz darauf, Teil eines so eng zusammengeschlossenen und dynamischen Teams zu sein. Ich möchte Silke für diese grossartige Leistung danken, sie hat uns während dieses großen Abenteuers mit unerschütterlicher Entschlossenheit inspiriert!»

Das Ergebnis einer umfassenden Ausbildung

Als Profisportlerin ist Silke Pan mit intensivem Wettbewerb mehr als vertraut. Das ganze Jahr über trainiert sie täglich auf dem Handbike und im Handbalancieren, auf dem Höhepunkt der Trainingssaison 3 bis 5 Stunden pro Tag. Jeden Tag geht sie mit dem Handbike nach draussen und macht Ausdauer-, Intervall- und Krafttraining als Vorbereitung auf verschiedene regionale und internationale Handbike-Wettbewerbe, wie den Europacup, den Weltcup, die Weltmeisterschaften und die Paralympics, die 2021 wieder aufgenommen werden sollen.

Seit anderthalb Monaten trainierten Silke Pan und das EPFL-TWIICE-Team an einem Nachmittag pro Woche auf dem EPFL-Campus in Lausanne, um sich auf das Rennen vorzubereiten. Pan trug TWIICE und lernte zunächst den gesamten Verlauf der Rennstrecke mit langsamen und überlegten Bewegungen kennen. Im weiteren Verlauf des Trainings steigerte Pan nach und nach die Intensität und das Tempo ihrer Bewegungen, um ihre Geschwindigkeit zu erhöhen. Während des Rennens wurde sie von zwei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern begleitet, die ihre Sicherheit gewährleisteten.

Verbesserung des Exoskeletts

«Seit Beginn der Trainingseinheiten hat sich das Exoskelett dank Silkes Input und ihrem Siegeswillen ständig verbessert», erklärt Tristan Vouga. «Wir haben im letzten Monat 4 Minuten und allein während der letzten Trainingseinheit 45 Sekunden gewonnen. Unser neuestes Upgrade besteht aus einem flexibleren Fuss, der sich an das Gelände anpassen kann. Allgemeiner gesagt ist die neueste Version des Exoskeletts viel ergonomischer und bietet der Pilotin mehr Autonomie, sodass Silke zum Beispiel jetzt direkt vom Rollstuhl aus selbständig in das Exoskelett steigen kann.»

Die aktuelle Version des Exoskeletts mit der Bezeichnung TWIICE One wurde durch die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Industriepartner Sonceboz SA, spezialisiert auf die Herstellung von Elektromotoren, dank einer verbesserten Konstruktion der Motoren kompakter. Laut Vouga ist TWIICE One daher einfacher zu handhaben als das Modell 2016: Es ist näher am Körper, da die Motoren zwei Mal kompakter und zwei Mal stärker sind. Zu den weiteren strategischen Partnerschaften gehört die Zusammenarbeit mit der lokalen Firma Fischer Connectors zur Verbesserung der Ergonomie und Benutzerfreundlichkeit der Kabel.

Online-Rennen

Die neuesten Coronavirus-Massnahmen verhinderten, dass der Cybathlon live in Zürich stattfinden konnte. Die Teilnahme von Silke Pan am Exoskeleton-Rennen wurde deshalb an der EPFL organisiert und vorregistriert. Der Sieger wurde anhand von drei Runden des Rennens ermittelt. Die Leistungen der einzelnen Athleten wurden in Anwesenheit eines Schiedsrichters des Cybathlon-Komitees in ihrem Wohnsitzland aufgezeichnet.

Ein Grundrecht auf Mobilität

«Ein Exoskelett zur Unterstützung einer von Querschnittlähmung betroffenen Person betrifft nicht nur die Mobilität. Es geht auch um grundlegende Menschenrechte, das Recht, wie andere zu leben, das Recht, soziale Räume zu teilen, das Recht, zu gehen und vertikalen Raum zu besitzen», sagt Bouri. «Zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Zürich fördert unsere Teilnahme am Cybathlon über die EPFL das Engagement für einen besseren Zugang zur Exoskelett-Technologie, um einem breiteren Publikum im Alltag zu helfen.»

Die Entwicklung von TWIICE begann erstmals 2015. Das Exoskelett-Team hat drei Jahre in Folge die «Cybathlon experience» gewonnen, einen europäischen Exoskelett-Wettbewerb, der ebenfalls vom Cybathlon-Komitee organisiert wird. Der Cybathlon ist ein von der Schweiz organisierter Wettbewerb, der alle vier Jahre stattfindet, um Technologien zu fördern, die Menschen mit Behinderungen bei ihren täglichen Aktivitäten unterstützen.

Das Vizepräsidium für Innovation der EPFL unterstützt den Cybathlon durch die Sportinitiative, die aus rund vierzig Labors im Dienste des Behinderten-, Gesundheits- und Leistungssports besteht. Die Initiative ist Teil des SmartMove-Netzwerks, das neun regionale akademische Akteure zusammenbringt und dazu beiträgt, die Genferseeregion zu einem bevorzugten Ort für die Entwicklung von Projekten im Bereich Sport und Gesundheit zu machen. Der Cybathlon zeigt, wie eine Sportveranstaltung Forschung und Entwicklung stimulieren, Schaffung von Wissen für die Gesellschaft vorantreiben und durch die Förderung des Unternehmergeistes wirtschaftliche Perspektiven eröffnen kann.

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Unterstützung

Die Teilnahme der EPFL am Cybathlon wurde ermöglicht durch die grosszügige Unterstützung des Vizepräsidiums für Innovation der EPFL und ihrer Initiative Smart Move, der Fondation Avenir Plus, der Bâloise-Gruppe, der Fischer Connectors SA, der Sonceboz SA, des NCCR Robotics und des Zentrums für intelligente Systeme der EPFL.