Pritzker-Preis an ETH-Professorin Anne Lacaton

Anne Lacaton, emeritierte Professorin für Architektur und Entwurf der ETH Zürich, und ihr Partner Jean-Philippe Vassal erhalten den wichtigsten internationalen Architekturpreis für ihren nachhaltigen und sozialen Zugang zum Bauen.
Anne Lacaton

Der Pritzker-Preis gilt als Nobelpreis der Architektur. Seit 1979 wird er jedes Jahr an eine Architektin oder einen Architekten verliehen, deren Werk der Menschheit einen neuen Blick auf den gebauten Raum ermöglicht. Frühere Preisträger waren Architekturgrössen wie Zaha Hadid, Peter Zumthor, Rem Koolhaas oder die ETH-Professoren Jacques Herzog und Pierrre de Meuron.

Mit Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal wird der illustre Kreis der Preisträger nun um ein Architekturduo erweitert, dessen Bauten der Zitation der Jury zu Folge den Anspruch in sich tragen, das Leben möglichst vieler Menschen zu verbessern. Das Werk des französischen Architekturteams, so die Jury, zeichne sich vor allem dadurch aus, dass es auf die klimatischen und ökologischen Notlagen unserer Zeit ebenso reagiere, wie auf soziale Dringlichkeiten. Dieser Anspruch werde insbesondere im Bereich des städtischen Wohnungsbaus deutlich.

Anne Lacaton ist erst die sechste Frau, die den Pritzker-Preis erhält. Damit ist sie auch die erste ETH-Professorin, die eine international so hochstehende Auszeichnung wie den Nobelpreis oder die Fields-Medaille gewinnt.

Umbau vor Abriss

Anne Lacaton kam 1955 im französischen Saint-Pardoux zur Welt. Ihren 1954 in Casablanca geborenen Partner Jean-Philippe Vassal lernte sie in den 70er Jahren beim Studium in Bordeaux kennen. 1987 eröffneten die beiden ein Architekturbüro in Paris. Seither haben Lacaton und Vassal gemeinsam an mehr als 30 Projekten in Europa und Afrika gearbeitet. Zu den bekanntesten gehört der Aus- und Umbau des Ausstellungsgebäudes Palais de Tokyo in der französischen Hauptstadt.

Das Duo verschrieb sich früh einer nachhaltigen Architektur, die - wann immer möglich - mit bestehenden Strukturen arbeitet. Nie haben Lacaton und Vassal ein Gebäude abgerissen, um ein neues zu bauen. Auf diese Art und Weise haben die beiden viele bestehende Bauwerke in neue, oft auch erschwingliche Wohnanlagen umgebaut.

«Es werden zu viele existierende Gebäude demoliert, die nicht alt sind, noch ein Leben vor sich haben und noch nicht ausrangiert sind», sagte Lacaton gegenüber der New York Times. «Wir glauben, dass das eine zu grosse Verschwendung von Materialien ist. Wenn wir genau hinschauen, wenn wir die Dinge mit frischem Blick sehen, gibt es immer etwas Positives, was man aus einer bestehenden Situation mitnehmen kann.»

Die Bescheidenheit der Unwissenden

Anne Lacaton wurde 2017 als ausser­ordentliche Professorin für Architektur und Entwurf an das Departement für Architektur berufen. Gegenüber ihren Studierenden betonte sie immer wieder, dass man als Architektin bereit sein müsse, sich auf Neues einzulassen. «In unseren Projekten stellen wir uns zu Beginn immer auf den Standpunkt, dass wir nichts über den Kontext wissen, in dem wir bauen», beschreibt Lacaton ihr Credo in einem ETH-Globe-Beitrag aus dem vergangenen Jahr. «Das zwingt uns dazu, unsere Augen weit zu öffnen und einen eigenen Weg zu finden, um auf die gegebene Situation angemessen zu reagieren.» Die «Bescheidenheit der Unwissenden» nennt die Professorin dies. Auch für diese Haltung wird die 2020 emeritierte ETH-Professorin nun mit der höchsten Auszeichnung der Architektur geehrt.