Junge Frauen und Technik: Überwindung der Kluft
Obwohl die EPFL viele Studierende hat, sind nicht genug Frauen darunter. Dafür gibt es viele Gründe: weil es jungen Mädchen an Selbstvertrauen fehlt oder sie sich nicht trauen, die Herausforderung anzunehmen; weil sie glauben, dass Ingenieurwesen nichts für sie ist, sie darin keine Zukunft für sich sehen oder einfach nicht ausreichend informiert sind. Was kann getan werden, um diese kulturellen Missverständnisse zu beseitigen, die Frauen allzu oft von einem Ingenieurstudium abhalten? Die EPFL hat eine umfassende Reihe von Strategien entwickelt, um diese zentrale Herausforderung anzugehen.
Die erste Strategie besteht darin, von klein auf das Interesse von Kindern an Naturwissenschaften und Technik zu wecken: «Unsere Programme, wenn wir Grund- und weiterführende Schulen besuchen, richten sich sowohl an Jungen als auch an Mädchen im Alter von 7 bis 16 Jahren. Aber wir stellen sicher, dass auch geschlechtsspezifische Aspekte angesprochen werden», sagt Farnaz Moser, Leiterin des Science Outreach Department (SPS) der EPFL. Sie erklärt, wie: «Wir bieten Inhalte, die beide Geschlechter ansprechen, unsere Lehrmethoden und Sprache sind inklusiv, und die Menschen, die mit diesen Kindern arbeiten, sind sich bewusst, worum es geht.»
Selbstvertrauen aufbauen und Entmutigung überwinden
Gleichzeitig hat SPS eine Reihe von ausserschulischen Aktivitäten geschaffen, um Kinder unterschiedlichen Alters an Wissenschaft und Technik heranzuführen. Die Hälfte der Plätze in gemischten Gruppen sind für Mädchen reserviert, was bedeutet, dass es Wartelisten für Jungen gibt. Andere Gruppen sind nur für Mädchen. Zu diesen Aktivitäten gehören semesterlange Kurse wie «Internet and Coding for Girls» und «Robots are for Girls», Sommerkurse wie «Science is Fun» und Workshops wie «Math Matters!». «Neben dem Wecken von Interesse und dem Aufbau von technischem Wissen geht es auch darum, den Mädchen Selbstvertrauen zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind», sagt Moser. Auch für diese Programme gibt es Wartelisten.
Lena, Bachelor-Studentin im dritten Semester Life-Sciences-Engineering, kann die Bedeutung von reinen Mädchengruppen bestätigen. Sie gibt Kryptografie-Workshops im «Escape-Game»-Format für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in der Westschweiz. Diese Workshops dienen als Einführung in den landesweiten Kryptographiewettbewerb Alkindi und werden von der SPS und der Fakultät für Informatik und Kommunikation der EPFL in Zusammenarbeit mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen durchgeführt: «In den allermeisten Fällen setzen sich reine Mädchengruppen durch. Aber wenn eine Gruppe nur aus Jungen besteht, geht das oft schief: Konkurrenz übertrumpft Zusammenarbeit», sagt Lena.
Lena ist auch studentische Hilfskraft und gibt Workshops im Girls' Coding Club. Sie meint: «Wenn Jungs in der Überzahl sind, können Mädchen entmutigt werden. Da macht es Sinn, sie zu trennen, denn so können die Mädchen ihren Raum zurückgewinnen und fühlen sich nicht beurteilt oder unter dem Zwang zu konkurrieren. Wenn es sich um eine gemischte Gruppe handelt, neigen Jungen dazu, sich in den Vordergrund zu stellen, ihre Leistungen zu rühmen und ihre Fehler zu verharmlosen. Mädchen hingegen haben das Gefühl, sich beweisen zu müssen und lassen sich beim kleinsten Fehltritt entmutigen.»
Barrieren abbauen und disziplinübergreifende Ansätze fördern
Die zweite Strategie der EPFL konzentriert sich auf den Berufsweg und die Ausbildung junger Menschen. Hier ist ein subtilerer Ansatz gefragt, denn es geht darum, Jugendliche für natur- und ingenieurwissenschaftlich orientierte Studiengänge zu begeistern: «In bestimmten kulturellen Milieus hat die Wissenschaft heute wenig oder gar keinen Platz. Unser Ziel ist es, eine Kultur zu fördern, in der diese Bereiche eine Rolle spielen», sagt Sabrina Rami-Shojaei, Leiterin des Education Outreach Department (SPE) der EPFL. Die Idee ist, das Silo-Denken zu überwinden und fächerübergreifende Ansätze zu fördern: «Um ein weibliches Publikum zu erreichen, muss man Barrieren abbauen und das Ingenieurwesen relevant machen», sagt Rami-Shojaei.
Das bedeutet zum Beispiel, den Beitrag der Ingenieurwissenschaften zu Themen wie Klimawandel, Energie, Gesundheit, Sport und Unternehmertum hervorzuheben – Bereiche, die an der EPFL studiert werden können. «Wie sich herausstellt, sind Mädchen in diesen Bereichen oft überrepräsentiert», sagt Laura Tibourcio, Marketingmanagerin bei SPE. In der Praxis arbeitet die Abteilung eng mit den Lehrenden zusammen, oft in Zusammenarbeit mit dem LEARN Center der EPFL, und versorgt sie mit Unterrichtsmaterialien, die mit den kantonalen Lehrplänen kompatibel sind. So hat SPE zum Beispiel während der Olympischen Jugendspiele 2020 ein Unterrichtskit entwickelt, das die technischen Konzepte hinter Helmen und Skiern erforscht. Die Sommersessionen sind ein weiteres fächerübergreifendes Beispiel, wie etwa die Session im letzten Herbst mit dem Titel «Nature, in Code», die zeigte, wie die Codierung auf genetische Mutationen angewendet werden kann, und eine Session über die allgemeine Relativitätstheorie, die eine philosophische Dimension einschloss.
Barrieren abbauen, indem man gesellschaftliche Codes aufbricht – das war das Ziel von «Brilliant Inside», einer landesweiten dreisprachigen Kampagne, die SPE im vergangenen Jahr startete. Die Idee war, die Vorstellungskraft von Mädchen und Jungen im Teenageralter zu wecken, die, ohne es zu wissen, oft eine versteckte Begabung für Technik haben, die nur gefördert werden muss.
Landesweites Know-how
«Als wir das Programm Les sciences, ça m'intéresse! im Jahr 2003 einführten, hatten wir nur 24 Mädchen», sagt Moser. Heute erreicht das Programm jedes Jahr über 12 000 Mädchen und Jungen (zu gleichen Teilen), und über 1000 Mädchen unter 16 Jahren nehmen an Aktivitäten teil, die speziell für sie entwickelt wurden. Der Erfolg dieser Bemühungen spiegelt sich in einer steigenden Anzahl von Frauen in den Klassenräumen der EPFL wieder. Der Fortschritt geht jedoch langsam voran, weil mehrere Faktoren am Werk sind. Durch ihre verschiedenen Initiativen hat die EPFL ein landesweites Fachwissen in dieser Geschlechterfrage entwickelt, was durch ihre Partnerschaften mit kantonalen Erziehungsdirektionen und anderen Schulen und Institutionen belegt wird.