Architekturstudierende veröffentlichen Entwürfe als Buch

Die Architekturstudierenden im ersten Studienjahr an der EPFL haben in der Regel die Möglichkeit, ihre Entwürfe in Originalgrösse zu bauen. Der hiesige Jahrgang wird jedoch stattdessen ein Buch mit Entwürfen für Bauwerke an den Ufern von Rhône und Arve in Genf veröffentlichen.
Eine Seite aus The Real Book. © ALICE / EPFL2020

Für Architekturstudierende im ersten Studienjahr an der EPFL bietet das akademische Jahr 2019-2020 eine einmalige Lektion für eine der wichtigsten Herausforderungen, die sie in ihrer zukünftigen Karriere erwartet: die Anpassung an Umstände, die sich ihrer Kontrolle entziehen.

Am Ende jedes akademischen Jahres arbeiten die Studierenden der EPFL traditionell zusammen, um eine Holzkonstruktion zu bauen (siehe Links unten). Der hiesige Jahrgang plante, an zwei Standorten im Genfer Stadtteil Jonction zu arbeiten: am Rhône-Ufer (von den Lehrpersonen «angrove» genannt) und an der Arve (nach dem nahe gelegenen Theater «Galpon» genannt). In Zusammenarbeit mit den Genfer Stadtwerken (SIG) und dem Kanton Genf sollten die Studierenden den Bauleitern helfen, Wege zu finden, um das volle Potenzial des Viertels auszuschöpfen.

Doch als die COVID-19-Krise zuschlug, mussten die Nachwuchsarchitekten ihre Pläne zum Bau von Holzmodellen und lebensgrossen Strukturen aufgeben und sich stattdessen mit digitalen Versionen ihrer Entwürfe begnügen (siehe diesen Artikel, veröffentlicht am 8. April 2020). Doch die Lehrpersonen des Designstudios ALICE (Design Studio on the Conception of Space) der EPFL kamen auf die Idee, die Arbeiten der Studierenden in einem 900 Seiten starken Buch zu präsentieren. Es trägt den Titel «The Real Book», wird diesen Herbst veröffentlicht und kann hier online eingesehen werden. «Wir wollten die ganze digitale Arbeit in etwas Greifbares verwandeln», sagt Daniel Zamarbide, Co-Direktor des ALICE-Labors der EPFL, «und dieses Jahr, mit all seinen Höhen und Tiefen, hat sich irgendwie sehr real angefühlt. Deshalb haben wir es The Real Book genannt, als ein Wortspiel mit dem 'Jahrbuch'.»

Das Virtuelle real werden lassen

Für die Studierenden wurde die verpasste Gelegenheit, ihre Entwürfe in Originalgrösse zu erstellen, durch das Zusammenstellen des Buches wettgemacht. «Zusätzlich zur Arbeit an unseren Zeichnungen schrieb ich eine Erzählung, in der ich festhielt, wie ich mich in dem Raum, den wir gemeinsam gestaltet hatten, fühlte», sagt Studentin Anna Hausel. «Das Buch ist eine physische Manifestation all unserer virtuellen Arbeit, die wir geleistet haben. Es bedeutete mir sehr viel, meine Gedanken und Gefühle teilen zu können.» Hausel war Mitglied des Studios Niederlani, einem Team von 31 Studierenden, dessen Struktur aus einer Reihe von Gehwegen und beweglichen Zäunen bestand, die als Verbindung zwischen der Stadt Genf und anderen, nahe gelegenen Projekten entlang des Rhône-Ufers dienen sollten. In seinem Zentrum befindet sich ein Raum, der abgeschirmt und von der Umgebung abgetrennt ist. «Die Abriegelung hat unser Design definitiv beeinflusst, wenn auch unbewusst», fügt Hausel hinzu. "Man kann sich in dem Bauwerk bewegen, aber das Zentrum ist von der Aussenwelt abgeschottet.

Studienkollege Sacha Toupance gehörte zum Team Maréchal, das an Plänen für einen ummauerten Garten entlang der Rhône arbeitete. Toupance sagt, die Buchidee hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. «Wir mussten einen Berg von Dokumenten durchforsten und die besten auswählen», erklärt er. «Wir entwickelten auch ein erzählerisches Thema, das sich durch das Buch zieht. Das war an sich schon eine Übung in Prägnanz.» Da rund 100 Erstsemester-Studierende an dem Buch mitarbeiteten, bedurfte es einer ernsthaften Koordination – und mehrerer spontaner, nächtlicher Videokonferenzen –, um die Entwürfe konsistent zu halten, z.B. um sicherzustellen, dass keine Treppen durch die Decke führen. Die Studierenden werden zu Recht stolz darauf sein, die Ergebnisse ihrer Bemühungen zu präsentieren, wenn The Real Book im Herbst dieses Jahres herausgebracht wird.

Mehr als ein Buch

The Real Book ist in zehn Abschnitte unterteilt, von denen sich jeder auf ein bestimmtes Thema konzentriert – von der Geschichte des Ortes bis hin zu den Wasser-, Gefälle- und Vegetationsmerkmalen der einzelnen Orte. Und auch wenn die hölzernen Prototypen vielleicht nie das Licht der Welt erblicken werden, gibt es dennoch ein Kapitel über die logistischen Herausforderungen beim Bau von Fertigbauten am Wasser. Das ALICE-Team beauftragte den Grafikdesigner Roman Karrer mit der Arbeit an dem Buch. Mit Zeichnungen, Collagen, Aquarellen und Fotos, die von den Studierenden aufgenommen wurden, ist The Real Book mehr als nur ein Buch. Es ist eine eigenständige symbolische Schöpfung.