In den Genen liegt der Schlüssel

Ob Patienten auf ein Medikament ansprechen werden oder nicht, lässt sich im Voraus bestimmen. So lassen sich Nebenwirkungen vermeiden, die Patienten profitieren, schreibt Ernst Hafen.
Unsere Gene beeinflussen, wie wir auf Medikamente reagieren. (Bild: Shutterstock)

«Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift, allein die Dosierung macht es so, dass ein Ding kein Gift ist.» Dies sagte Paracelsus, ein Schweizer Arzt, im 16. Jahrhundert. Er erkannte bereits damals, dass jedes Medikament sowohl erwünschte als auch unerwünschte Wirkungen hat und die Dosis den Unterschied ausmacht.

Dies ist auch in der heutigen Zeit höchst relevant, denn die meisten Medikamente werden heute als «Einheitsgrösse» angeboten. Patienten mit derselben Krankheit erhalten oft die gleiche Dosis, auch wenn Studien zeigen, dass diese nur für einen Teil der Patienten die optimale ist1. In manchen Fällen passen Ärzte die Dosis anschliessend nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum an. Dieser Ansatz führt jedoch dazu, dass Patienten unnötigerweise Nebenwirkungen von Medikamenten in Kauf nehmen müssen. Ausserdem ist der Ansatz ineffizient, und er verteuert unser Gesundheitssystem.

Präzisionsmedizin und Pharmakogenomik haben das Potenzial, das Gesundheitssystem effizienter zu gestalten und Patienten besser zu behandeln, indem für jeden Patienten das richtige Medikament in der richtigen Dosis zur richtigen Zeit ermittelt wird. Im Wesentlichen kombiniert die Präzisionsmedizin die genetischen Daten eines Patienten mit seinen klinischen Informationen und solchen zu seinem Lebensstil, um damit Entscheidungen für die optimale Prävention, Diagnose und Behandlung von Erkrankungen zu treffen.

Die Pharmakogenomik befasst sich mit dem Einfluss der individuellen Erbanlagen eines Patienten auf die Wirkung von Medikamenten. Mit entsprechenden Tests können Ärzte für Patienten vorab eruieren, welche Medikamente bei ihnen wahrscheinlich wirken werden. Die Tests analysieren Schlüsselgene in unserem Körper, die am Transport, der Verstoffwechselung und der Ausscheidung von Medikamenten in unserem Körper beteiligt sind. Ein Pharmakogenomik-Bericht, der die Medikamente auflistet, auf die wir wahrscheinlich ansprechen, ist ein Leben lang gültig, da sich die Genetik einer Person nicht ändert.

«Die Zukunft der Präzisionsmedizin wird stark von einer kritischen Masse von interessierten und engagierten Personen geprägt werden»      Ernst Hafen

Waren solche Untersuchungen früher noch kostspielig, sind sie heute deutlich günstiger geworden. Auch gibt es mittlerweile klare internationale Richtlinien für solche Tests. Dennoch werden sie erst selten durchgeführt. Ärzte, Behörden und Krankenversicherer müssen von den Vorzügen einer breiten Anwendung solcher Tests erst noch überzeugt werden. Studien, welche deren Wirksamkeit und Kosteneffizienz aufzeigen, wären dazu hilfreich.

Frauen profitieren besonders stark

Dazu braucht es engagierte Bürgerinnen und Bürger. Ich gehe davon aus, dass die Zukunft der Pharmakogenomik und der Präzisionsmedizin stark von einer kritischen Masse von interessierten und engagierten Personen – Patienten und Akteuren im Gesundheitssystem – geprägt wird. Die involvierten Patienten arbeiten dabei eng mit den Ärzten und anderen Akteuren zusammen und werden stark in Entscheidungen zu ihrer eigenen Behandlung einbezogen.

Profitieren von einer solchen Zusammenarbeit würden insbesondere auch Bevölkerungsgruppen, die heute in klinischen Studien untervertreten sind. Dies betrifft zum Beispiel Frauen. Es gibt eine ganze Reihe von Krankheiten, von denen Frauen zwar ähnlich häufig oder häufiger betroffen sind als Männer, Frauen in klinischen Studien jedoch in Unterzahl sind, wie eine amerikanische Studie gezeigt hat2. Das ist bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hepatitis, HIV, der chronischen Nierenkrankheit und Verdauungskrankheiten der Fall.

Eine Kohorte als Initialzündung

Weil sich unterschiedliche Reaktionen von Individuen auf eine medikamentöse Behandlung zu einem Viertel bis zur Hälfte mit genetischen Unterschieden erklären lassen, könnte eine solche Untervertretung zur Folge haben, dass Medikamente bei Frauen schlechter wirken als bei Männern. Das Women's Brain Project3, eine Organisation, die sich für die neurologische und psychische Gesundheit von Frauen einsetzt, schlägt daher einen neuen, personalisierten Ansatz für Frauen vor. Ein solcher erfordert die aktive Beteiligung der Bürgerinnen, die mit ihren Gesundheitsdaten die Optimierung von Behandlungen ermöglichen.

Daten sind die Grundlage einer patientenzentrierten Präzisionsmedizin. Solange diese allerdings in abgeschlossenen «Datensilos» liegen und von Organisationen gehütet werden, die keinen Anreiz haben, sie mit anderen zu teilen, wird die Medizin und werden Patienten nicht ausreichend davon profitieren können. Cause of Health4 ist eine Schweizer Initiative, an der ich beteiligt bin, und welche zum Ziel hat, Gesundheitsdaten zu vernetzen.

Die Initiative wird eine Kohorte von Personen aufbauen, welche Gesundheitsdaten zur Verfügung stellen. Unter anderem wird dabei auch Fragen der Pharmakogenomik nachgegangen. Die Teilnehmer bleiben dabei Eigentümer ihrer Daten. Sie erhalten aber auch eine Kopie ihres eigenen Pharmakogenomik-Berichts. Dies ermöglicht ihnen, stärker in ihre Behandlungsentscheidungen einbezogen zu werden und bereits jetzt schon von den Vorzügen der Präzisionsmedizin und der Pharmakogenomik zu profitieren, von besseren Behandlungsmöglichkeiten und geringeren Nebenwirkungen.

Ernst Hafen verfasste diesen Beitrag zusammen mit Sonali Quantius.