Erste endovaskuläre Technik zur Erkundung von Kapillaren
Das Herz-Kreislauf-System ist erstaunlich. Es nutzt das Blut, das in unseren Venen und Arterien zirkuliert, um Sauerstoff und Nährstoffe zu jedem Gewebe im Körper zu transportieren. An der EPFL haben der Doktorand Lucio Pancaldi und der Assistenzprofessor Selman Sakar beschlossen, die hydrokinetische Energie (mechanische Energie, die aus der Bewegung von Flüssigkeiten resultiert) zu nutzen, um an Orte im menschlichen Körper zu gelangen, ohne auf invasive Methoden zurückzugreifen. «Grosse Teile des Gehirns bleiben unzugänglich, weil die vorhandenen Geräte unhandlich sind und die Erforschung des winzigen, komplizierten zerebralen Gefässsystems ohne Gewebeschädigung extrem schwierig ist», sagt Sakar.
Miniaturisierung endovaskulärer Geräte
Ärztinnen können sich Zugang zu den Arterien der Patienten verschaffen, indem sie Führungsdrähte schieben und drehen und später hohle Röhren, sogenannte Katheter, verschieben. Doch wenn die Arterien beginnen, sich zu verengen, vor allem im Gehirn, zeigt diese Vorschubtechnik ihre Grenzen. Forschende des MicroBioRobotic Systems (MICROBS)-Labors der EPFL haben in Zusammenarbeit mit Forschenden aus der Gruppe von Prof. Diego Ghezzi kabelgebundene mikroskopische Geräte entwickelt, die mit beispielloser Geschwindigkeit und Leichtigkeit in Kapillaren eingeführt werden können. «Unsere Technologie soll herkömmliche Katheter nicht ersetzen, sondern ergänzen», so Pancaldi.
Suchen nach Antworten
Die Geräte bestehen aus einer magnetischen Spitze und einem ultraflexiblen Körper aus biokompatiblen Polymeren. «Stellen Sie sich einen Angelhaken vor, der nach und nach in einem Fluss ausgesetzt wird. Er wird von der Strömung mitgerissen. Wir halten einfach das eine Ende des Geräts fest und lassen es vom Blut zu den periphersten Geweben ziehen. An Verzweigungen drehen wir die magnetische Spitze des Geräts sanft, um einen bestimmten Weg zu wählen», sagt Pancaldi. Da keine mechanische Kraft direkt auf die Gefässwand ausgeübt wird, ist das Risiko, Schäden zu verursachen, sehr gering. Ausserdem könnte durch die Nutzung des Blutflusses die Operationszeit von mehreren Stunden auf wenige Minuten reduziert werden.
Auf dem Weg durch das Gefässsystem
Sowohl die Auslösung des Geräts als auch die magnetische Steuerung erfolgen computergesteuert. Ausserdem ist keine Kraftrückkopplung erforderlich, da die Spitze des Geräts nicht gegen die Gefässwände stösst. «Wir können uns vorstellen, dass ein chirurgischer Roboter die detaillierte Karte des Gefässsystems, die von den MRT- und CT-Scans des Patienten geliefert wird, nutzt, um die Geräte autonom zu den Zielstellen zu führen. Das Hinzufügen von maschineller Intelligenz würde endovaskuläre Operationen transformieren. Alternativ könnte ein Computerprogramm die visuellen Informationen des Fluoroskops nutzen, um das Gerät zu lokalisieren und eine Verlaufskurve in Echtzeit zu berechnen, um manuelle Eingriffe zu erleichtern», sagt Sakar.
Schematische Darstellung, die die Merkmale der strömungsgesteuerten Navigation hervorhebt. Die hydrokinetische Kraft wird genutzt, um mit einer Spritze injizierbare mikroskopische Sonden anzutreiben, die eine autonome Navigation und Hindernisvermeidung gewährleisten. Magnetfelder sorgen für die Steuerung, um drahtlos zu den Ziel-Tochterarterien zu gelangen. © 2020 EPFL
Die Forschenden der EPFL-Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie haben das Gerät in künstlichen Mikrogefässsystemen getestet. Die nächste Phase wird Tests an Tieren mit modernsten medizinischen Bildgebungssystemen beinhalten. Die Forschenden hoffen auch, weitere Geräte mit einer Reihe von On-Board-Aktoren und Sensoren zu entwickeln.