Die Schweiz, ein Hort der Kastanienvielfalt

Die Schweizer Kastanienwälder beherbergen eine in Europa einzigartige genetische Vielfalt, zeigt eine Studie von schweizerischen und europäischen Forschungsgruppen auf. Viele Kastanienwälder bestehen aus veredelten Bäumen, die mit sehr alten Sorten kombiniert wurden.
Erhaltungsobstgarten in S. Antonino. Foto: Marco Conedera

In der Schweiz bedecken Rein- und Mischkastanienwälder eine Fläche von rund 24 000 Hektaren – das entspricht der Fläche des Kantons Zug. Aus historischen und klimatischen Gründen liegen die meisten der noch existierenden Kastanienhaine südlich der Alpen. In den nördlichen Landesteilen ging der Kastanienanbau und das damit verbundene Wissen mit der Klimaabkühlung während der so genannten Kleinen Eiszeit nach dem Mittelalter stark zurück.

In den letzten dreissig Jahren wurden viele Anstrengungen unternommen, um das Erbe der verbliebenen Kastanienbaumsorten wieder aufzubauen, und zwar im Rahmen des «Nationalen Aktionsplans zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft» (NAPRPGAA). Mehr als 10 000 alte Kastanienbäume mit offensichtlichen Veredelungsspuren sind im ganzen Land identifiziert worden. Bei der Pflanzenveredelung werden Zweige anderer Sorten mit dem Stamm eines Baumes verschmolzen («gepropft»), um möglichst rasch neue Eigenschaften zu erhalten.

Genetische Vielfalt in Plantagen schützen

In der letzten Phase dieses Projekts hat ein Forschungskonsortium 962 Kastanienbäumen genetisch charakterisiert, um die Individuen mit der grössten genetischen Vielfalt zu identifizieren. Diese sollen dann mit einem Erhaltungsprogramm geschützt werden. Die Analyse förderte nicht nur eine grosse genetische Vielfalt bei den in den Kastanienhainen der Schweiz noch vorhandenen alten Sorten zu Tage, sondern auch einzigartige genetische Merkmale, die im übrigen Europa nicht vorkommen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift «Biodiversity and Conservation» veröffentlicht. 

«Es war eine enorme gemeinsame Anstrengung auf mehreren Ebenen. Wir konnten nicht nur die Erbinformation der Bäume zurückverfolgen und für die Zukunft sichern, sondern auch wertvolle Informationen über alte Kastaniensorten bewahren. Diese wären mit den letzten Personen, die den traditionellen Kastanienanbau noch aktiv praktizieren, verloren gegangen», erklärt Marco Conedera von der WSL in Cadenazzo (TI).

Auf der Grundlage der gesammelten Daten wird es nun möglich sein, dieses Material zu vervielfältigen, indem junge Kastanienbäume veredelt werden. Sie werden dann in speziellen Erhaltungsplantagen gepflanzt, um das Überleben der kostbaren Erbinformation zu sichern. Im Tessin wurden bereits in Sant'Antonino, Cademario und Biasca Erhaltungsobstgärten angelegt.

Am Projekt beteiligt waren: die Castanicoltori della Svizzera Italiana, die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und EcoControl für den Süden der Alpen; die Haute Ecole Spécialisé de Suisse Occidentale (HES-SO) in Genf und In Situ Vivo für die Westschweiz und die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich sowie die Fachstelle für Lösungen MOGLI für die Deutschschweiz.  Die Gruppe arbeitete auch mit der Universität von Santiago de Compostela in Spanien und INRA Bordeaux in Frankreich zusammen.

Originalmitteilung von der HEPIA/HESSO