Anzeichen von Burnout lassen sich im Schweiss erkennen

EPFL-Forschende haben in Zusammenarbeit mit dem Start-up Xsensio ein tragbares System entwickelt, das die Konzentration des Stresshormons Cortisol im menschlichen Schweiss messen kann. Ihr Gerät ermöglicht künftig eine quasi kontinuierliche Überwachung und kann Ärztinnen helfen, stressbedingte Erkrankungen wie Burnout und Fettleibigkeit besser zu verstehen und zu behandeln.
© 2021 EPFL

Wir alle haben uns schon einmal gestresst gefühlt, sei es in unserem persönlichen oder beruflichen Leben oder als Reaktion auf aussergewöhnliche Umstände wie die COVID-19-Pandemie. Aber bis jetzt gab es keine Möglichkeit, den Stresspegel auf objektive Weise zu quantifizieren.

Das könnte sich bald ändern, dank eines kleinen, tragbaren Sensors, der von Ingenieurinnen des Nanoelectronic Devices Laboratory (Nanolab) der EPFL und Xsensio entwickelt wurde. Das Gerät hat das Potenzial, als tragbares Pflaster direkt auf der Haut eines Patienten angebracht zu werden und in Zukunft quasi kontinuierlich die Konzentration von Cortisol, dem wichtigsten Stress-Biomarker, im Schweiss des Patienten zu messen.

Cortisol: Ein zweischneidiges Schwert

Cortisol ist ein Steroidhormon, das von unseren Nebennieren aus Cholesterin hergestellt wird. Seine Sekretion wird durch das adrenocorticotrope Hormon (ACTH) gesteuert, das von der Hirnanhangsdrüse produziert wird. Cortisol erfüllt wichtige Funktionen in unserem Körper, wie z. B. die Regulierung des Stoffwechsels, des Blutzuckerspiegels und des Blutdrucks; es beeinflusst auch das Immunsystem und die Herz-Kreislauf-Funktionen.

Wenn wir uns in einer stressigen Situation befinden, egal ob lebensbedrohlich oder alltäglich, ist Cortisol das Hormon, das die Kontrolle übernimmt. Es weist unseren Körper an, die benötigte Energie zu Gehirn, Muskeln und Herz zu leiten. «Cortisol kann spontan ausgeschüttet werden – man fühlt sich gut und plötzlich passiert etwas, das einen unter Stress setzt, und der Körper beginnt, mehr von dem Hormon zu produzieren», sagt Adrian Ionescu, Leiter des Nanolab.

Während Cortisol unserem Körper hilft, auf Stresssituationen zu reagieren, ist es eigentlich ein zweischneidiges Schwert. Normalerweise wird es über den Tag verteilt nach einem zirkadianen Rhythmus ausgeschüttet, der zwischen 6 und 8 Uhr morgens seinen Höhepunkt erreicht und dann zum Nachmittag und Abend hin allmählich abnimmt. «Wenn der Körper zu viel oder zu wenig Cortisol produziert, kann das die Gesundheit eines Menschen ernsthaft schädigen und möglicherweise zu Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen oder Burnout führen.»

Qualitative Darstellung von regelmässigen und unregelmässigen zirkadianen Pegeln im Tagesverlauf. © Nanolab, EPFL

Erfassen des Hormons zu Messzwecken

Mit Hilfe von Bluttests können Momentaufnahmen des Cortisolspiegels von Patientinnen und Patienten gemessen werden. Nachweisbare Mengen an Cortisol können jedoch auch in Speichel, Urin und Schweiss gefunden werden. Ionescus Team im Nanolab entschied sich für Schweiss als Nachweisflüssigkeit und entwickelte ein tragbares Smart Patch mit einem miniaturisierten Sensor.

Das Pflaster enthält einen Transistor und eine Elektrode aus Graphen, das aufgrund seiner einzigartigen Eigenschaften eine hohe Empfindlichkeit und sehr niedrige Nachweisgrenzen bietet. Das Graphen ist durch Aptamere funktionalisiert, das sind kurze Fragmente von einzelsträngiger DNA oder RNA, die an spezifische Verbindungen binden können. Das Aptamer im EPFL-Pflaster trägt eine negative Ladung. Wenn es mit Cortisol in Kontakt kommt, fängt es das Hormon sofort ein, wodurch sich die Stränge auf sich selbst falten und die Ladung näher an die Elektrodenoberfläche bringen. Das Gerät detektiert dann die Ladung und kann so die Cortisolkonzentration im Schweiss des Trägers messen.

Prozessablauf zur Erfassung von Cortisol mit der Graphenelektrode und Aptameren. © Nanolab, EPFL

Bessere Gesundheitsversorgung dank Technik

Die Ingenieurinnen und Ingenieure testeten ihr Gerät auf der proprietären Lab-on-SkinTM-Plattform von Xsensio; der nächste Schritt wird sein, es in die Hände von medizinischem Personal zu geben. Esmeralda Megally, CEO von Xsensio, sagt: «Das gemeinsame F&E-Team der EPFL und von Xsensio hat einen wichtigen F&E-Meilenstein bei der Erkennung des Hormons Cortisol erreicht. » Das Team hat ein Brückenprojekt mit Prof. Nelly Pitteloud, Leiterin der Abteilung für Endokrinologie, Diabetes und Stoffwechsel am Universitätsspital Lausanne (CHUV), ins Leben gerufen, damit ihre Mitarbeitenden das System zur kontinuierlichen Cortisol-Überwachung an menschlichen Patienten erproben können. An diesen Versuchen werden sowohl gesunde Personen als auch Menschen teilnehmen, die unter dem Cushing-Syndrom (wenn der Körper zu viel Cortisol produziert), der Addison-Krankheit (wenn der Körper zu wenig Cortisol produziert) und stressbedingter Fettleibigkeit leiden. Die Ingenieurinnen glauben, dass ihr Sensor einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der physiologischen und pathologischen Rhythmen der Cortisolsekretion leisten kann.

Und wie sieht es mit psychischen Erkrankungen aus, die durch zu viel Stress verursacht werden? «Bisher werden sie nur anhand der Wahrnehmung und des Gemütszustands der Patientinnen und Patienten beurteilt, die oft subjektiv sind», sagt Ionescu, «mit einem zuverlässigen, tragbaren System könnten Ärztinnen also objektiv feststellen, ob eine Patientin zum Beispiel unter Depressionen oder Burnout leidet und ob seine Behandlung wirksam ist. Ausserdem würden Ärztinnen und Ärzte diese Informationen in Echtzeit erhalten.» Und wer weiss, vielleicht wird diese Technologie eines Tages in intelligente Armbänder eingebaut: «Die nächste Phase wird sich auf die Produktentwicklung konzentrieren, um diese spannende Erfindung zu einem wichtigen Bestandteil unserer Lab-on-SkinTM -Sensorplattform zu machen und die Stressüberwachung in die nächste Generation von Wearables zu bringen», sagt Megally.