Forschen, um die Pestizidbelastung zu reduzieren

Modernste Analysetechnik weist potenziell toxische Stoffe bereits in sehr tiefen Konzentrationen nach. Doch die Forschung will nicht nur dokumentieren, sondern auch verstehen, wie es zur Belastung in Bächen und im Grundwasser kommt und Verbesserungsmassnahmen vorschlagen. 
Kleine Bäche stehen unter Druck. Kurzschlüsse in der Entwässerung können die Risiken stark erhöhen. (Foto: Markus Zeh)

Im Landwirtschaftsgebiet fliesst viel Wasser von den Feldern sowie von Strassen und Wegen über Schächte und andere künstliche Entwässerungen direkt in Bäche. Weil dieses Wasser weder über eine Bodenpassage noch in einer Kläranlage gereinigt wird, sprechen Fachleute von hydraulischen Kurzschlüssen, über die auch Pestizide in die Gewässer gelangen. Zwanzig Einzugsgebiete im Mittelland und im Jura haben Forscherinnen und Forscher der Abteilung Umweltchemie dafür unter die Lupe genommen – mit Drohnenaufnahmen, Plänen und Begehungen.

Vor allem für kleine Bäche problematisch

Von den untersuchten Ackerflächen, die mit einem Gewässer verbunden sind, gelangen unterschiedliche Anteile des Abflusses über Kurzschlüsse in die Bäche, je nach Topographie, Zahl der Schächte und weiteren Faktoren. Über alle Einzugsgebiete liegt der Wert bei 55 Prozent. Die Autoren der Studie schliessen daraus, dass über diesen Weg die Bäche erheblich mit Pflanzenschutzmitteln belastet werden. Dies umso mehr, als auch die Abschwemmung von Pestiziden von Strassen und Wegen deutlich höher sein dürfte als bisher angenommen. Das haben die Forschenden mit Wasserproben aus Einlaufschächten untersucht: Während Regenfällen stiegen die Pflanzenschutzmittel-Konzentrationen dort stark an. Das Wasser aus den Schächten müsste bis um das 50-fache verdünnt werden, um im Bach eine Gefährdung der Organismen zu vermeiden.  

Risikoreduktion möglich

Die Studie wurde im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel durchgeführt. Die Forschenden empfehlen nun, die hydraulischen Kurzschlüsse bei Massnahmen zur Reduktion der Pestizideinträge in Gewässer besser zu berücksichtigen. So sollten neu ganze Einzugsgebiete betrachtet werden, statt wie bisher nur die Ackerflächen entlang der Gewässer. Die Risiken liessen sich ausserdem verringern, wenn vermehrt Kurzschlüsse ganz unterbunden oder für den Einsatz bestimmter Pflanzenschutzmittel grössere Abstände zu Gewässern verfügt würden.

Zum ausführlichen Artikel «Kurzschlüsse erhöhen Pestizidbelastung»

Ohne Modelle kaum verlässliche Aussagen

Zusätzlich zu den Arbeiten im Feld kamen in der Studie mehrere konzeptuelle modellbasierte Ansätze, verknüpft mit geographischen Informationssystemen, zum Zug. Dies geschah in Zusammenarbeit mit Forschenden um Peter Reichert, Titularprofessor an der ETH Zürich und bis Ende 2020 Leiter der Eawag-Abteilung Systemanalyse und Modellierung. Denn auch mit aufwändiger Feldarbeit sind ohne Modelle keine verlässlichen Aussagen zur gesamtschweizerischen Situation möglich. Die Zusammenarbeit zwischen Umweltanalytikern, Bodenhydrologen und Modellierungsspezialisten hat die Transportprozesse im Kleinen erfasst und schliesslich mit Statistik für das ganze Mittelland und den Jura hochgerechnet.

Zum Forschungsschwerpunkt «Hydrologische Modellierung»

Unterschätzte Konzentrationsspitzen

Neben den Kurzschlüssen können auch andere Gründe zu Konzentrationsspitzen von Pestiziden in einem Gewässer führen. Das zeigt eine weitere Studie aus den Abteilungen Umweltchemie, Verfahrenstechnik und Siedlungswasserwirtschaft, bei der das mobile Massenspektrometer MS2field erstmals an einem Bach zum Einsatz kam. Arbeiten Gewässerschutzbehörden üblicherweise mit Mischproben, die über mehrere Tage entnommen werden, analysiert das an der Eawag entwickelte MS2field alle 20 Minuten automatisch eine Probe. So wurde die hohe Dynamik der Gewässerbelastung nahezu live sichtbar: Um bis 170-fach höher als in den 3.5-Tagesmischproben lagen in einzelnen Proben die Konzentrationen bestimmter Pestizide.

Akuttoxische Risiken

Die mit dem MS2field registrierten Konzentrationsspitzen lagen nicht nur höher als in herkömmlichen Mischproben, sondern mehrfach auch höher als die in der Gewässerschutzverordnung verankerten Kriterien, die eine akute Schädigung von Gewässerorganismen verhindern sollen – im Fall des Insektizids Thiacloprid bis 30-fach über dieser Schwelle. Das ist für die Bewertung der Gewässerbelastung bedeutend. Denn bei einzelnen Wirkstoffen haben schon Spitzen, die kürzer als eine Stunde anhalten, negative Auswirkungen auf aquatische Organismen. Treten Konzentrationsspitzen wiederholt auf, kann eine zweite oder dritte Spitze noch grössere Wirkung haben – selbst wenn sie weniger hoch ist als die erste, weil sich die Organismen in der Zwischenzeit nicht erholen konnten.

Zum ausführlichen Artikel «Kurzzeitige Konzentrationsspitzen werden stark unterschätzt»

Analytik – Ökotoxikologie – Verfahrenstechnik – Sozialwissenschaften

Das Thema Pestizide zeigt exemplarisch, wie wertvoll die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Eawag und mit externen Partnern ist. Die immer präzisere Analytik im Bereich von Milliardstel Grammen pro Liter genügt nicht. Expertinnen und Experten für Ökotoxikologie müssen einordnen, welche Risiken von den festgestellten Werten ausgehen. So hat der Bund auf der Basis von Arbeiten aus der Eawag und dem Oekotoxzentrum auf den 1. April 2020 in der Gewässerschutzverordnung für zwölf Pestizide stoffspezifische Grenzwerte verfügt. Analysen der Eawag haben zudem nicht nur die Pestizidwirkstoffe selbst, sondern auch deren möglicherweise ebenfalls problematischen Abbauprodukte aufgespürt, auch im Grundwasser. Für die langlebigen Folgestoffe des Fungizids Chlorothalonil wurden zusammen mit Wasserversorgern bereits Eliminationsverfahren getestet, für den Fall, dass die Vorsorgemassnahmen zu wenig Erfolg haben sollten. Im Projekt «Zukunftsfähige, gewässerschonende landwirtschaftliche Produktion» schliesslich wurden gemeinsam mit dem Bundesamt für Landwirtschaft und Agroscope Zielhierarchien und messbare Indikatoren festgelegt, mit deren Hilfe Verwaltung und Praxis fachlich abgestützte und transparente Entscheidungen treffen können. Das sind Methoden, wie sie bisher vor allem aus der sozialwissenschaftlichen Forschung bekannt sind.