Peptide in Pillenform

Peptide stellen einen Milliardenmarkt in der pharmazeutischen Industrie dar, aber sie können in der Regel nur als Injektion gegeben werden, da sie sonst durch Magenenzyme abgebaut werden. Forschende an der EPFL haben nun eine Methode entwickelt, um Peptide herzustellen, die dem enzymatischen Abbau widerstehen und oral eingenommen werden können.
Struktur eines doppelt überbrückten Peptids, das von Enzymen im Magen und Darm nicht abgebaut wird. Die beiden stabilisierenden chemischen Brücken sind rot dargestellt. (Bild: C. Heinis, EPFL)

Peptide sind kurze Ketten von Aminosäuren, die in unserem Körper, in Pflanzen oder Bakterien vorkommen, um verschiedene Funktionen zu kontrollieren. Mehrere Peptide werden als Medikamente eingesetzt, z.B. Insulin, das den Zuckerstoffwechsel steuert, und Cyclosporin, das die Abstossung von Organen nach Transplantationen unterdrückt. Mehr als 40 Peptide sind bereits als Arzneimittel zugelassen und erwirtschaften Einnahmen in Milliardenhöhe. Derzeit befinden sich mehrere hundert peptidbasierte Medikamente in klinischen Studien.

Aber fast keines dieser Arzneimittel-Peptide kann oral eingenommen werden. Da Peptide ein wichtiger Bestandteil der Nahrung sind, beherbergen Magen und Darm unzählige Enzyme, die sie abbauen können. Das bedeutet, dass die meisten Medikamente auf Peptidbasis die Passage durch den Magen-Darm-Trakt nicht überleben.

«Zyklischen» Peptide, deren Enden durch chemische Brücken miteinander verbunden sind, haben die Hoffnung geweckt, dass sie stabiler sind als lineare Peptide, da ihr Skelett weniger flexibel ist und daher von Enzymen schwerer angegriffen werden kann. Im Jahr 2018 entwickelte die Forschungsgruppe von Christian Heinis an der EPFL ein Peptidformat, das als Doppelbrückenpeptid bezeichnet wird und bei dem die Peptide durch zwei chemische Brücken zyklisiert werden, die für eine noch höhere Stabilität sorgen. Trotz des Erfolgs waren die meisten dieser Peptide nicht stabil genug, um den enormen enzymatischen Druck zu überleben, der im Magen-Darm-Trakt herrscht.

Jetzt hat Heinis' Gruppe eine neue Methode entwickelt, die unter Milliarden von doppelt überbrückten Peptiden diejenigen identifiziert, die an ein pathologisches Ziel binden und Enzyme des Magen-Darm-Trakts überleben. Die Methode wurde in Nature Biomedical Engineering veröffentlicht und umfasst drei Schritte.

Erstens werden Milliarden genetisch kodierter, zufälliger Peptidsequenzen durch zwei chemische Brücken zyklisiert, die dem Peptidrückgrat strukturelle Beschränkungen auferlegen, so dass sie für Enzyme schwerer angreifbar sind.

Zweitens wird diese Peptidbibliothek Enzymen aus dem Kuhdarm ausgesetzt, um all jene Peptide zu eliminieren, die nicht stabil sind.

Im dritten und letzten Schritt tauchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zielproteine in den Pool der überlebenden Peptide, um diejenigen herauszufischen, die an das gewünschte Krankheitsziel anbinden. «Es ist ein bisschen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, und diese Methode macht das einfach», sagt Heinis.

Mit dieser Methode ist es den Forschenden zum ersten Mal gelungen, zielspezifische Peptide zu entwickeln, die dem Abbau im Magen-Darm-Trakt widerstehen können. Zum Beispiel gaben sie Mäusen ein Leitpeptid, das Thrombin – ein wichtiges Anti-Thrombose-Ziel – hemmt, in Form einer Pille. Das Peptid blieb im Magen und Darm intakt, und obwohl es in eher geringen Mengen in den Blutkreislauf gelangte, war das meiste davon nach Durchlaufen des gesamten Verdauungstraktes vollständig intakt. Dies ist ein entscheidender Schritt zur Entwicklung oraler Peptid-Medikamente.

Heinis' Gruppe wendet die neue Methode nun an, um orale Peptide zu entwickeln, die direkt auf gastrointestinale Ziele wirken, so dass sie nicht in den Blutkreislauf gelangen müssen. «Wir konzentrieren uns auf chronisch entzündliche Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie auf bakterielle Infektionen», sagt Heinis. «Es ist uns bereits gelungen, enzymresistente Peptide gegen den Interleukin-23-Rezeptor zu erzeugen, eine Hauptquelle dieser Krankheiten, von denen weltweit Millionen von Patienten betroffen sind, ohne dass ein orales Medikament zur Verfügung steht», sagt Heinis.

Mehr Informationen

Andere Mitwirkende

  • EPFL Proteinproduktion und Struktur Kernanlage
  • Laboratorium für biomolekulare Modellierung der EPFL
  • Schweizerisches Institut für Bioinformatik

Finanzierung

  • EPFL
  • Schweizerischer Nationalfonds
  • NFS Chemische Biologie

Literaturhinweise

Xu-Dong Kong, Jun Moriya, Vanessa Carle, Florence Pojer, Luciano A. Abriata, Kaycie Deyle, Christian Heinis. De novo Entwicklung von proteolytisch resistenten therapeutischen Peptiden zur oralen Verabreichung. Natur Biomedizinische Technik 11. Mai 2020. DOI: 10.1038/s41551-020-0556-3