Künstliches Molekül kann Grippevirus vernichten

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der EPFL haben ein künstliches Molekül entworfen, das in der Lage ist, das Grippevirus zu vernichten. Sie hoffen, dass daraus in Zukunft ein wirksames Medikament entsteht.
iStock © 2020 EPFL

Die Grippe ist eine der am weitesten verbreiteten Virusinfektionen und ein grosses Problem für die öffentliche Gesundheit. Für manche Menschen bedeutet eine Ansteckung, eine Woche im Bett zu verbringen, für andere besteht das hohe Risiko eines Krankenhausaufenthalts und in den schwersten Fällen der Tod. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Supramolecular Nano-Materials and Interfaces Laboratory (SuNMIL) der EPFL haben in Zusammenarbeit mit dem Team von Caroline Tapparel, Professorin am Departement für Mikrobiologie und Molekularmedizin der Universität Genf, ein Molekül geschaffen, das in der Lage ist, das Grippevirus zu zerstören. Diese Entdeckung ist sehr vielversprechend für die Entwicklung eines Medikaments gegen saisonale Krankheiten. Die Forschung wurde in Advanced Science veröffentlicht.

Spätsymptome

«Die Grippe stellt ein hohes Pandemierisiko dar», betont Francesco Stellacci, Professor an der EPFL, «die Impfstoffe müssen jedes Jahr aktualisiert werden, da der Virusstamm mutiert. Und manchmal erweisen sie sich als weniger effektiv. Es wäre daher sinnvoll, sie mit Medikamenten zu ergänzen, die die Auswirkungen einer massiven Ansteckung begrenzen können.» Grippemedikamente gibt es bereits. Tamiflu ist das bekannteste. Es hat jedoch einen Nachteil: Es muss innerhalb von 36 Stunden nach der Infektion verabreicht werden, danach verliert es seine Wirksamkeit. Meistens treten die Symptome 24 Stunden nach der Infektion auf. «Wir lassen uns oft zu spät behandeln, um Tamiflu nehmen zu können», sagt Francesco Stellacci. «Ausserdem sollten Grippemittel, um wirklich zu wirken, viruzid sein, das heisst, sie hemmen die virale Infektion irreversibel. Dies ist heute nicht der Fall.»

Effektiv und nicht-toxisch

Die Entwicklung eines Grippemittels ist jedoch eine echte Herausforderung: Nicht nur, weil das Virus mutiert, sondern auch, weil das Medikament nicht nur wirksam, sondern auch nicht-toxisch sein muss. «Bei dieser Krankheit sind die Überlebenschancen hoch, deshalb braucht man ein Medikament mit sehr wenigen oder gar keinen Nebenwirkungen, sonst lohnt es sich nicht», erklärt Francesco Stellacci.

Francesco Stellacci in seinem Labor © 2020 EPFL

Das Grippevirus heftet sich an eine Zellmembran, um einen menschlichen Körper zu infizieren; dann löst es sich ab und fährt fort, andere Zellen zu infizieren. Bestehende antivirale Medikamente wirken, indem sie das Virus innerhalb einer Wirtszelle angreifen und die virale Replikation vorübergehend blockieren. Die EPFL-Forschenden verfolgten mit ihrem antiviralen Wirkstoff einen neuen Ansatz, um ihn sowohl gegen Influenza wirksam als auch nicht-toxisch zu machen. Sie entwickelten ein modifiziertes Zuckermolekül, das eine Zellmembran nachahmt und das Grippevirus dazu bringt, sich an diese zu heften. «Sobald das Virus angeheftet ist, übt unser Molekül lokal Druck aus und zerstört es. Und dieser Mechanismus ist unumkehrbar», sagt Stellacci.

Da sich dieses Phänomen ausserhalb der Zellen abspielt, ist die Wirksamkeit der Komponente in den ersten 24 Stunden nach der Infektion konstant, wie Tests an Mäusen zeigen. Dies deutet auf eine Wirksamkeit von mehr als 36 Stunden für den Menschen hin. «Im gleichen Tiermodell geht die Wirksamkeit von Oseltamivir (der wissenschaftliche Name für Tamiflu) fast vollständig verloren», sagt der Wissenschaftler. Das im Labor der EPFL-Fakultät für Ingenieurwissenschaft und Technologie geschaffene Molekül hat zudem den Vorteil, dass es ein Breitspektrum aufweist, das heisst, es wirkt gegen mehrere Grippearten. Diese Forschung ist in erster Linie auf die saisonale Grippe anwendbar und beinhaltet nicht die Entwicklung von Behandlungen für COVID-19